Honduras | Nummer 529/530 - Juli/August 2018

GERECHTIGKEIT FÜR BERTA

Neben den Vorbereitungen auf den Strafprozess bereitet COPINH eine Zivilklage gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO vor

Zwischen dem 10. und dem 28. September 2018 soll laut honduranischer Justiz der Prozess gegen acht Angeklagte im Mordfall Berta Cáceres beginnen. Nach monatelangen Verzögerungen beeilt sich das Gericht, das Verfahren bis Ende November über die Bühne zu bringen. Dann nämlich müssten die überwiegend seit Mai 2016 in Untersuchungshaft sitzenden Häftlinge auf freien Fuß gesetzt werden. Bertas Organisation COPINH und ihre Familie fordern weiter die vollständige Aufklärung der kriminellen Strukturen hinter dem Mord.

Von Andrea Lammers

Berta Cáceres war Generaldirektorin des Zivilen Rats der indigenen und Basisorganisationen von Honduras (COPINH), als sie am 2. März 2016 wegen ihres Kampfes gegen den Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca erschossen wurde. Im Mai 2018 reisten nun Bertas Töchter Bertha und Laura mit Francisco Sánchez, Mitglied der Leitung des COPINH, und Víctor Fernández als Verteidiger der Nebenklage durch mehrere europäische Länder, um Defizite der bisherigen Ermittlungen aufzuzeigen, die internationalen Dimensionen des Falles deutlich zu machen und eine Muster-Klage gegen eine europäische Entwicklungsbank, die niederländische halbstaatliche FMO, anzukündigen. Unterstützt wurde die Delegation von dem guatemaltekischen Juristen Miguel Ángel Urbina, der Mitglied der internationalen Expertengruppe Grupo Asesor Internacional de Personas Expertas (GAIPE) gewesen war (siehe LN 522).

Urbina stellte bei Gesprächen in Berlin klar, dass die GAIPE sich in ihrem Bericht, ganz wie eine offizielle Untersuchungskommission, die ja von der honduranischen Regierung nicht zugelassen wurde, ausschließlich auf belegbare Taten und Strukturen beschränkt habe. Ein Hauptproblem des aktuellen Verfahrens sei, dass die Anwälte der Nebenklage (COPINH und Bertas Familie) wie auch die Anwälte der Angeklagten nicht die vollständige Akteneinsicht erhielten, die ihnen als Prozessbeteiligten zustehe. Die Rechte der Nebenklage seien von Anfang an verletzt worden. Kritikwürdig sei aber auch die Anklage an sich: Es fehle der Punkt „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Als solche habe Desarollos Energéticos (DESA) aber gehandelt, indem das Unternehmen seit 2012 Diffamierungskampagnen, Drohungen und Angriffe gegen die Gegner*innen des Kraftwerks Agua Zarca und COPINH organisiert habe. Anwälte seien angeheuert worden, um Berta Cáceres und weitere Leitungspersonen des COPINH zu kriminalisieren, Staatsanwälte und Richter seien bestochen, ein Auftragsmörder sei geschützt worden. Die honduranische Justiz weigere sich jedoch, die existierende Gesetzgebung im Sinne des Palermo-Abkommens auf die DESA anzuwenden. Sie verfolge damit ausschließlich die kriminellen Banden der so genannten Maras, nicht aber kriminell operierende Unternehmen.

Der Mordfall Berta Cáceres weise alle Charakteristika eines „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ auf. Die honduranische Gesetzgebung entspreche jedoch nicht den internationalen Standards, wie sie das Rom-Statut vorgibt, sodass im bevorstehenden Prozess die Anklage nur auf „Mord“ laute, und nicht, wie es korrekt wäre, auf „außergerichtliche Hinrichtung“, also ein Staatsverbrechen. Internationalen Standards widerspreche auch, so Urbina weiter, dass die Angeklagten keinerlei Rechtssicherheit hätten. So habe GAIPE herausgefunden, dass einer der mutmaßlichen Auftragsmörder, bei dem die angebliche Tatwaffe gefunden wurde, höchstwahrscheinlich gar nichts mit dem Mordfall zu tun habe.
Die Delegation kritisierte heftig, dass als mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes bisher nur der Geschäftsführer der DESA, David Castillo, verhaftet wurde. Castillo sei ganz klar Angestellter gewesen und habe keine endgültigen Entscheidungen getroffen. Allein die begrenzten Ermittlungen der GAIPE hätten ergeben, dass mindestens eine Person aus der Ebene ober­halb der Geschäftsführung mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes gewesen sei. Gegen diese Person und das Netzwerk hinter ihr werde jedoch nicht vorgegangen. Castillo, ein früherer Offizier des militärischen Geheim­dienstes, wurde in einer spektakulären, medien­­wirksamen Aktion genau am zweiten Todes­tag von Berta Cáceres, dem 2. März 2018, verhaftet. Mit einem Prozess gegen ihn wird – wenn überhaupt – erst für 2020 gerechnet.

Der Präsident des indigenen Rates der Region Río Blanco, Francisco Sánchez berichtete, dass die Bauarbeiten für das Wasserkraftwerk Agua Zarca zwar eingestellt worden seien, die DESA aber weiter vor Ort präsent sei und dafür sorge, dass die für den Bau des Kraftwerks absichtlich geschürte tiefe Spaltung der Gemeinden bestehen bleibe. Es gebe weiter Drohungen und einzelne Aktionen, wie das Niederbrennen von Bohnenpflanzungen. Auch Auftragsmörder­*innen seien noch immer in der Gegend.

Laura Zúñiga Cáceres betonte, es seien die Opfer gewesen, die den Prozess vorangetrieben hätten, obwohl der Staat alles getan habe, um sie immer wieder beiseite zu schieben. Bertas Familie und COPINH forderten Garantien für die Nicht-Wiederholung derartiger Verbrechen. Diese Garantien seien nicht gegeben, solange die Auftraggeber*innen des Mordes und die Strukturen, die das Verbrechen ermöglicht haben nicht angetastet würden, solange Menschen­rechts­verteidiger*innen in Honduras nicht geschützt und die Selbstbestimmungsrechte indigener und bäuerlicher Gemeinden nicht respektiert würden: „Die gleichen Faktoren, die Berta und COPINH so verwundbar gemacht haben, werden immer weiter reproduziert. Und sogar die Missachtung der Rechte der Gemeinden wird nun auch noch legalisiert.“ Bertas Tochter kritisierte die Unterstützung der Europäischen Union für das marode und korrupte honduranische Justizsystem mit Programmen wie EUROJUSTICIA, die teuer seien, aber keine positive Wirkung erkennen ließen.

Noch schwerer wiegen die Vorwürfe gegen europäische Entwicklungsbanken. Miguel Urbina: „Es gab eine Allianz zwischen dem internationalen Finanzsystem, dem Unternehmen und der Regierung. Die DESA hatte in einem bestimmten Moment kaum eigene Geldmittel. Das einzige Kapital, das sie besaß, war ihr politisches Kapital.“ Die niederländische FMO sei zu einem Zeitpunkt in die Finanzierung von Agua Zarca eingestiegen, als klar war, dass der DESA das Geld auszugehen drohte und gleichzeitig die Berichte über Menschenrechtsverletzungen – einschließlich Morden – schon lange nicht mehr auszublenden waren. In Amsterdam kündigte COPINH deshalb eine zivilrechtliche Klage gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO wegen unterlassener Sorgfaltspflichten an. Ein weiterer Geldgeber, die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration (span. BCIE, engl. CABEI) hat sich im Gegensatz zu FMO, Finnfund und dem Turbinenlieferanten Voith Hydro (einem Siemens-Joint-Venture, siehe LN 513) immer noch nicht aus dem Projekt Agua Zarca zurückgezogen. Spanien ist Teilhaber dieser multilateralen Entwicklungsbank. Gelder an sie fließen auch über die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Österreichische Entwicklungsbank.

Während die Anwälte der Nebenklage sich auf den Prozess vorbereiten und internationale Expert*innen an Strategien tüfteln, um nach und nach die größeren Dimensionen des Falls in verschiedenen Ländern justiziabel zu machen, kursiert in Honduras seit einigen Monaten eine als seriöses Buch getarnte Schmäh­schrift: Berta Cáceres – Las intimidades de un conflicto. Sie versucht auf ebenso plumpe wie kuriose Weise von den Verstrickungen der DESA abzulenken. Eine kursorische erste Lektüre des über 100-seitigen Pamphlets zeigt die Grundzüge der Dramaturgie. Zunächst wird über viele Seiten das Bild einer bösen, wilden Frau (ungezogenes Mädchen, Guerillakämpferin, Verführerin) aufgebaut, um dann einen dramatischen Wandel einzuleiten: Ein Jahr vor ihrer Ermordung einigt sich die geläuterte Berta friedlich mit DESA-Geschäftsführer David Castillo. Der hilft ihr großzügig aus privaten Finanznöten, bezahlt den Krankenhausaufenthalt ihrer Mutter und die DESA finanziert fortan stillschweigend COPINH mit. So bewirkt der tapfere Held, dass die ehedem gefährliche Organisation nur noch eine symbolische Protestfassade aufrechterhält, die den guten Unternehmensinteressen nicht mehr schadet. Und ganz nebenbei sind Geschäftsführer und Unternehmen von jedem möglichen Tatmotiv gereinigt. Ende gut, alles gut. Nicht ganz. Ein paar mögliche Motive des „wirklichen, bisher vollkommen unbekannten Mörders“ muss der Autor dann doch noch anbieten: Neben der sattsam bekannten und nun wieder aufgewärmten Hypothese „Verbrechen aus Leidenschaft“ und dem „gewöhnlichen Raubmord“ fallen zwei zusätzliche Varianten auf: eine Verschwörung honduranischer Militärs, die aber so undurchsichtig und geheimnisvoll ist, dass sie nicht aufgeklärt werden kann; und, ganz handfest, das Abwälzen aller Verantwortung auf einen einzigen Bösewicht – den mitangeklagten Ex-Sicher­heits­chef der DESA, David Bustillo. Er habe aus Rache das Mordkomplott eingefädelt, weil die geläuterte Berta bei der DESA seinen Rausschmiss wegen Disziplinlosigkeit erwirkt habe.

Ab September wird sich zeigen, ob das Gericht zulässt, dass Teile dieser abgeschmackten Telenovela auf offener Bühne weitergespielt werden. Sicher ist schon jetzt, dass der nicht sehr subtile Subtext des Drehbuchs, nämlich die Diffamierungs- und Hetzkampagne gegen honduranische und internationale Menschenrechtsverteidiger*innen, kritische Medien, Anwält*innen, COPINH und befreundete Organisationen sich weiter in realen Aktionen entfalten wird.


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