Aktuell | Gewalt und Staat | Guatemala | Nummer 585 - März 2023 | Umwelt & Klima

GEWALT UND VERTREIBUNG MIT NACHHALTIGKEITSLABEL

Die Gewalt gegen indigene Gemeinden in Guatemala nimmt kein Ende

Ende 2022 wurde die Maya Q’eqchi-Gemeinde Chapin Abajo zwangsgeräumt. Die Gewaltspirale in Guatemala, die durch den neokolonialen Extraktivismus der Regierung des Landes vorangetrieben wird, setzt sich somit unvermindert fort.

Von Carla Venneri

Gemeinde Sayaxhé in Petén Palmplantage am Fluss La Pasión (Foto: Nanosmile, CC BY-SA 2.0 via Wikipedia)

Ein massiver Einsatz von Polizei und paramilitärischen Kräften zwang am 6. Dezember vergangenen Jahres 154 Familien in der Gemeinde Chapin Abajo El Estor im guatemaltekischen Departement Izabal dazu, ihre Häuser zu verlassen. Die Sicherheitskräfte setzten dabei Tränengas und großkalibrige scharfe Waffen ein. Zahlreiche Frauen und Kinder trugen Verletzungen davon. Einige Bewohner*innen wurden willkürlich festgenommen. Hinter den Zwangsräumungen stecken die Regierung von Präsident Alejandro Giammattei und das guatemaltekische Palmölunternehmen NaturAceites. Laut dem Rat der Maya Bevölkerung (CPO) wurde der 16-jährige Lisbiu Nefali Quileb im Zuge der Räumung ermordet. Die Antwort der Mainstream-Medien auf die Auslöschung dieses jungen Lebens ist absolute Gleichgültigkeit. Nur die Gemeinde selbst machte den tragischen Verlust über einen knappen Facebook-Post bekannt.

Das alles geschah nur ein Jahr nach der Zwangsräumung der Nachbargemeinde Chinabal (siehe LN 571). Wie Ursula Teyul, Mitglied des Bauernkomitees von Altiplano gegenüber dem lokalen Medium Prensa Comunitaria berichtet, handelt es sich bei der Gewalt, die die Gemeinde Chapin Abajo erlebt, um Vorfälle, wie sie auch in den Departements Alta Verapaz, Baja Verapaz, Petén sowie im gesamten Departement Izabal zu beobachten sind. Mit der erneuten Räumung machte die Regierung Giammatteis einmal mehr ihre Unterstützung für die Oligarchie der Großgrundbesitzer*innen und transnationaler Konzerne deutlich. Durch Monokulturen der afrikanischen Ölpalme verursachen diese eine Umweltkatastrophe, die das ganze Land betrifft. Die massive Präsenz des von einer deutsch-schweizerischen Familie gegründeten Unternehmens NaturAceites in indigenen Territorien ist für die Eskalation der Gewalt und illegale Enteignungen verantwortlich. Der Anbau afrikanischer Ölpalmen steht seit den 1990er Jahren im Fokus der guatemaltekischen Entwicklungspolitik. NaturAceites besitzt zahlreiche Plantagen, die sich über das ganze Land verteilen.

Neo-grüne Kolonialpolitik und die Zerstörung der Lebensgrundlagen

Das Unternehmen profitiert von dem lukrativen und umweltschädlichen Geschäft der Verarbeitung von Palmöl. Die Monokulturen setzen die Zerstörung der Natur seit Jahren fort und gefährden das Überleben der einheimischen Bevölkerung, die weitgehend von den natürlichen Ressourcen des Landes abhängig ist. Wie die Plattform für investigativen Journalismus Mongabay Latam berichtet, hat die Verschmutzung des Grundwassers in den Departements, die von den Monokulturen betroffen sind, seit 2016 stark zugenommen. Zusätzlich ist ein hohes Fischsterben zu verzeichnen, verursacht durch die in den Plantagen ausgebrachten Pestizide. Laut einer Untersuchung des Bündnisses tras las huellas de la palma (auf den Spuren der Palme) aus dem Jahr 2021 sind von 60 in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern geführten Klagen wegen Umweltverbrechen neun gegen NaturAceites gerichtet. Palmenmonokulturen verursachen das Aussterben einiger Säugetier- und Vogelarten und begünstigen die Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen im Ökosystem.

Der Anbau der afrikanischen Ölpalme ist nicht nur mit Abholzung und daraus folgender Wüstenbildung verbunden, sondern auch mit der Freisetzung von Kohlendioxid, der Hauptursache für die globale Erwärmung. Der große Wasserbedarf führt wiederum zu großer Wasserknappheit in den betroffenen Regionen.

Die andauernden Verletzungen von Menschen- und Umweltrechten im Zusammenhang mit der Förderung dieser Monokulturen stehen nun im Fokus von Umweltorganisationen und von Enteignung bedrohten indigenen Bevölkerungsgruppen. Die Anwendung von Gewalt und illegale Enteignungen sind etablierte Praktiken der nationalen Regierungen und transnationaler Unternehmen, denen jedes Mittel recht ist, um ihre Profite zu maximieren. Paradoxerweise ist NaturAceite Mitglied des Runden Tisches für nachhaltiges Palmöl (RSPO), einer nichtstaatlichen Organisation, die sich seit 2004 für die Reduzierung der ökologischen und sozialen Auswirkungen des Palmöl-Anbaus einsetzt. Zu diesem Zweck hat sie einen Nachhaltigkeitsstandard eingeführt, der es ihr ermöglicht, sich selbst zu zertifizieren, indem sie auf internationaler Ebene die Verwendung von nachhaltigem Palmöl und damit das Engagement der gesamten Lieferkette für Nachhaltigkeit nachweist (siehe auch LN571). Guatemala ist nach den drei großen asiatischen Exporteuren – Malaysia, Indonesien und Papua-Neuguinea – nach Honduras der zweitgrößte lateinamerikanische Exporteur von Palmöl.

Globale grüne Akkumulation

Zu den Kunden von NaturAceites gehören laut einer Studie der Christliche Initiative Romero, die ADM Mainz GmbH und Vandemoortele, die wiederum zu den Lieferanten von Edeka gehört. Die ADM Mainz GmbH ist Teil des US-Konzerns Archer Daniels Midland Company. Gemeinsam mit Bunge, Cargill und Louis Dreyfus ist Archer Daniels Midland Company einer der größten Konzerne, die den Handel von Agrarrohstoffen (einschließlich Soja, Mais, Palmöl und Zucker) kontrollieren. Ferrero und Danone schließen den Kreis der (noch nicht vollständig ermittelten) Reihe an internationalen Partnern von NaturAceites.

Auf dem Treffen des mesoamerikanischen Netzwerks gegen die Palmen-Monokulturen, das im Oktober 2022 im mexikanischen Bundesstaat Chiapas stattfand, verurteilten Vertreter*innen verschiedener basisdemokratischer Organisationen aus Mittelamerika die zunehmende Gewalt in ihren Gebieten und die von den Palmölbaronen verursachten Spaltung der Bevölkerung.

Die fehlende Transparenz der Unternehmen in Hinsicht auf die ökologischen Folgen der Monokulturen führt dazu, dass einige Gemeinden diese als Mittel zur Überwindung ihrer Armut ansehen. In Guatemala wurde zwischen 2011 und 2014 das Verschwinden von 28 indigenen Gemeinschaften dokumentiert. Das mesoamerikanische Netzwerk gegen die Palmen-Monokulturen unterstreicht gemeinsam mit internationaler Aktivist*innen, dass die Zerstörung der Umwelt und der indigenen Territorien, zusammen mit den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen ein zentrales Thema sein muss, um die Auswirkungen der neokolonialen Politik der Industrieländer zu problematisieren.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren