Gewerkschaft sucht Unternehmen
Im Kampf um ein eigenes Unternehmen könnte die mexikanische ElektrikerInnengewerkschaft SME ein umstrittenes Bündnis eingehen
„Was er hier macht und vorantreibt, scheint uns heute sehr kongruent zu sein“. Diese Worte von Martín Esparza, Generalsekretär der SME, über den fünften Jahresbericht der Regierungsführung von Enrique Peña Nieto sind wohl mehreren Gewerkschaftsmitgliedern bitter aufgestoßen. Der Gouverneur vom wirtschaftlich bedeutsamen Bundesstaat Estado de México konnte sich zwar durch klientelistische Maßnahmen und die mediale Zurschaustellung seiner Person als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2012 positionieren. Gerade für soziale Bewegungen, linke Gruppierungen und auch für unabhängige Gewerkschaften wie die SME selbst ist der stets sorgfältig frisierte Politiker der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) jedoch eigentlich ein rotes Tuch. Seine autoritäre Regierungsführung, die vom größten Medienunternehmen des Landes Televisa kundengerecht aufbereitet wird, erinnert in einiger Hinsicht an den Klientelismus und den Korporatismus des alten PRI-Regimes. Dazu kommen homophobe Äußerungen und bewusste Versäumnisse in Bezug auf die zahlreichen Frauenmorde im Bundesstaat. Vor allem aber ist Peña Nieto einer der Hauptverantwortlichen für die brutale Repression gegen die Front der Dörfer zur Verteidigung der Erde (FPDT) in Atenco im Mai 2006 – gerade jener Bewegung also, mit der sich die SME seit Beginn der Unterdrückung durch die bundesstaatliche Regierung solidarisiert hatte. Umso mehr muss es daher verwundern, wenn Gewerkschaftsboss Esparza plötzlich die Regierungsführung von Peña Nieto in ein positives Licht stellt. Seine Präsenz beim fünften Jahresbericht des Gouverneurs und auch die deutlichen Worte vor laufenden Kameras sind ein eindeutiges politisches Signal in Richtung PRI.
Wie ist nun dieser offensichtliche Widerspruch in der politischen Strategie der Gewerkschaftsführung zu erklären? Ein Rückblick: Im Oktober 2009 löste Präsident Felipe Calderón das für Zentralmexiko zuständige staatliche EnergieunternehmensLuz y Fuerza del Centro (LyFC), dessen ArbeiterInnen und Angestellte in der SME organisiert waren, per Dekret auf (siehe LN 426). Während Calderón diesen Schritt mit mangelnder Effizienz und Korruptionsfällen im Unternehmen begründete, werteten viele BeobachterInnen dies als Maßnahme, um die SME zu entmachten, die Calderóns Plänen einer weitergehenden Privatisierung des Energiesektors im Wege stand. Trotz der großen Unterstützung durch breite Bevölkerungsschichten, die 2009 zu Hunderttausenden auf die Straße gingen und Aktionen wie Hungerstreiks durch SME-AktivistInnen, gab die Führung der SME den Kämpfen auf juristischer Ebene und den direkten Verhandlungen mit der Regierung den Vorrang. Ihr Ziel war es, das Dekret auf legalem Weg zu Fall zu bringen, um damit die Zerschlagung von LyFC rückgängig zu machen. Dem schob der Oberste Gerichtshof am 5. Juli 2010 einen Riegel vor, indem er in einem umstrittenen Urteil die Verfassungsmäßigkeit des Dekrets bestätigte. Gleichzeitig wurde in dem Urteil jedoch die SME als rechtmäßige Vertreterin der ehemaligen ArbeiterInnen von LyFC anerkannt. Dies war nicht unwesentlich, verweigerte die Regierung der SME doch schon seit dem 5. Oktober 2009 die legale Anerkennung als Gewerkschaft. So ebnete das Urteil den Weg für weitere juristische Maßnahmen der Gewerkschaftsführung.
Obwohl also die SME die Mobilisierungen auf der Straße nicht mit Nachdruck betrieb und diese letztlich auch nicht ausreichten, um die Regierung zu Zugeständnissen zu bewegen, konnte die Gewerkschaft zumindest einen beträchtlichen Teil ihrer Mitglieder halten: Dass bis heute rund 16.000 der vormals 44.000 ArbeiterInnen von LyFC die Abfindungszahlungen der Regierung nicht akzeptiert haben, kann allein schon als Erfolg betrachtet werden. Damit steht die Gewerkschaftsführung aber auch unter Zugzwang, denn die verbliebenen Mitglieder befinden sich finanziell ohne regelmäßigen Lohn in einer schwierigen Lage. In Verhandlungen mit der Regierung forderte Gewerkschaftsboss Esparza daher wiederholt die kollektive Wiedereinstellung der verbleibenden Gewerkschaftsmitglieder in der Bundeskommission für Elektrizität (CFE), jenem halbstaatlichen Energieunternehmen, das seit der Zerschlagung von LyFC die Stromversorgung im Zentrum Mexikos mehr schlecht als recht gewährleistet. Erst vor kurzem aber wurde der SME auch diesbezüglich ein negativer Bescheid des Innenministeriums übermittelt. „Die Bundesregierung hält ihre Versprechen nicht“, musste schließlich auch die Gewerkschaftsführung der SME einsehen. Um ihren verbleibenden Mitgliedern doch noch zu einem Arbeitsplatz zu verhelfen, versucht die SME nun über rechtliche Mittel, die Gründung eines eigenen Energieunternehmens voranzutreiben. Dazu bedarf es aber einer Gesetzesinitiative und deren Zustimmung durch das mexikanische Parlament – ein Vorhaben, das nur mithilfe der PRI umgesetzt werden kann. Die Anwesenheit Martín Esparzas beim fünften Jahresbericht von Peña Nieto ist genau in diesem Kontext zu verstehen, vor allem, wenn man sich den großen Einfluss Peña Nietos innerhalb der PRI vor Augen hält.
Dass sich die Gewerkschaftsführung an die Regierung oder an politische Parteien annähert, ist historisch betrachtet nichts Außergewöhnliches. Vor allem unter dem Präsidenten Carlos Salinas de Gortari (1988 bis 1994) bestanden enge politische Kontakte mit der Regierungspartei PRI. Die Unterstützung von Salinas de Gortari durch die SME wurde schließlich im Jahr 1994 mit der Gründung des Unternehmens LyFC abgegolten und verschaffte damit der Gewerkschaft ihr eigenes Unternehmen. Ob diese Strategie auch ein zweites Mal funktioniert, ohne dabei die Legitimität oder andere strategische Bündnisse der SME zu gefährden, ist jedoch fraglich. Peña Nieto könnte einem solchen Pakt zwar durchaus zustimmen. Angesichts der für ihn und seine Partei wichtigen Regionalwahlen im Estado de México im Juli dieses Jahres dürfte er die politische Unterstützung der SME gut gebrauchen – vor allem, wenn seine Partei einem Wahlbündnis aus der rechten Partei der Nationalen Aktion (PAN) und der sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gegenüberstehen sollte.
Ob für die SME selbst ein Bündnis mit der PRI von Vorteil ist, muss dahingestellt bleiben. Gefälligkeiten wie die Zustimmung zur Gründung eines Energieunternehmens haben in Mexiko jedenfalls ihren politischen Preis. Die Annäherung an die PRI setzt die Legitimität der SME und ihre Allianzen mit sozialen Bewegungen und anderen unabhängigen Gewerkschaften gehörig unter Druck. Zwar beteuert die Gewerkschaftsführung immer wieder ihre Solidarität mit sozialen Bewegungen und unabhängigen Gewerkschaften und versucht, ihre Beziehungen auch in diese Richtung auszubauen. Davon zeugt etwa der am 24. Februar diesen Jahres unterzeichnetet „Pakt“ mit der mexikanischen Bergarbeitergewerkschaft, die ebenfalls im Visier der Bundesregierung steht. Was diese Solidaritätsbekundungen und die antineoliberale Haltung der SME wirklich Wert sind, wenn es um handfeste Dinge wie die Gründung eines eigenen Energieunternehmens geht, wird sich zeigen. Der Spagat zwischen regierungskritischen Gruppierungen und sozialen Bewegungen einerseits und konservativen politischen Parteien andererseits ist jedenfalls nicht endlos dehnbar.