Graciela Concha Pineda
Der Tod einer Genossin
Wir haben Dich im Exil kennengelernt, als Aktive des MIR. Es war nicht schwierig, uns in den ersten Jahren in die Haare zu geraten in dieser seltsamen Atmosphäre des Exils, die geprägt war von sektiererischen, parteiorientierten Erwägungen der chilenischen Exilberufspolitiker und denjenigen, die vom revolutionären Aufschwung in Chile zu Beginn der 70er Jahre mitgerissen worden waren.
Du gehörtest weder zu den einen noch zu den anderen. Mit dem Lauf der Jahre entdeckten wir, daß wir -jenseits des Wirbelns um uns herum-, sei es des revolutionären Wortschwalls einiger oder des schlichten Opportunismus anderer, Grundhaltungen teilten, die sich nicht an den Grenzen der Parteimitgliedschaft festmachten – auch Grundsätze der revolutionären Moral, auf die wir unmöglich verzichten konnten und wollten.
Das geschah gerade in den Anfängen einer Entwicklung, an deren Ende so viele aus der früheren chilenischen Linken von ehemaligen “Revolutionären” zu feierlichen Ministern, ausgewogenen Abgeordneten und ansonsten vor allem zu dienstbaren Verwaltern des herrschenden neoliberalen Modells geworden sind. Deine Erfahrungen und Deine Studien im Exil trugen dazu bei, Dein Augenmerk auf den Einfluß der herrschenden Ideologie bis in die Kreise der internationalen, internationalistischen Linken zu richten. Der Eurozentrismus, manchmal hart an der Grenze zu rassistischen Haltungen, der Machismus, besonders unter den Lateinamerikanern, empörten Dich und ließen Dich mit Verzweiflung über die realen Perspektiven nachdenken, eine neue Welt aufbauen zu können.
Als Du von der Krankheit erfuhrst, die Dir jetzt das Leben genommen hat, war Deine Haltung, mit der Du ihr entgegengetreten bist, bewundernswert für uns. Kein Jammern, keine Schwäche. Du zeigtest nur den Schmerz, “zu sehen, daß die Welt sich nicht verändert”, und angesichts dessen konntest Du nicht aufgeben, verankert in Deiner Überzeugung, die Dir nie abhanden kam.
Das war für Dich aber kein Hindernis dafür, eine zutiefst selbstkritische Sichtweise dessen, was die Linke war und ist, zu entwickeln und die Notwendigkeit einer authentischen Erneuerung zu sehen, worunter Du allerdings etwas sehr anderes als die Anpassung an die Ideologie und Interessen der herrschenden Klassen verstanden hast, im Gegensatz zu vielen heute in Chile.
Für diejenigen, die wir noch den Traum vom Aufbau einer neuen, freien, gleichen und solidarischen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus hegen, ist Dein früher Tod ein Verlust, der schmerzt. Wir hatten die Hoffnung, mit Dir zusammen die ersten Kämpfe für das Wiederaufleben unserer Kräfte zu führen, auch wenn es mehr als wahrscheinlich ist, daß wir nicht die Freude haben werden, am Erfolg dieser -im wahrsten Sinne des Wortes- Kraftanstrengung teilhaben zu können.
Heute fühlen wir uns einsamer, auch wenn uns die Erinnerung an Dein konsequentes Leben und Deine Leidenschaft für die Veränderung Kraft gibt. Deswegen halten wir es für angebracht, aus diesen Zeilen einen Akt der Bestätigung gemeinsam gefundener Überzeugungen und gemeinsam geübter Kritiken zu machen.
Deine Kinder können mit wirklichem Stolz auf Deine Rolle in unserer gemeinsamen Vergangenheit, die nun schon Geschichte geworden ist, blicken.
Vielleicht stört es manche, die nicht nur die Reihen der vormaligen chilenischen Linken verlassen haben, sondern auch ihre politischen und ethischen Grundpositionen, aber das hindert uns nicht, in diesem Augenblick großen Schmerzes Dir zu sagen:
Graciela, ¡hasta la victoria siempre!
Berlin, Dezember 1996
FDCL und Deine Berliner Freundinnen und Freunde