Großgrundbesitz erobert Amazonien
Großgrundbesitz erobert Amazonien
Niemand weiß so recht, wie die Firmen im einzelnen zu Gebieten dieser Größenordnung gelangen. Fest steht, daß der Umfang der Flächen, die nicht in Privatbesitz sind, in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen ist: Der Bundesstaat Amazonas verlor in den letzten zehn Jahren fast 10 Millionen (!) ha Staatlichen Landes. Davon wurde nur 2.884.961 Hektar in Indianerreservate oder Naturschutzgebiete umgewandelt. Die Experten der INCRA können nicht erklären, wie der restliche Teil des Landes in private Hände gelangt ist. Es wird vermutet, daß Schenkungen von Gemeinden beziehungsweise deren Bürgermeister an ihre Klientel eine große Rolle dabei spielen.
Inzwischen ist in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß über den Verbleib der staatlichen Ländereien eingesetzt worden. Der Vorsitzende des Ausschusses, Ereno Bezerra, nimmt an, daß der größte Teil des Gebietes in unproduktiven Grundbesitz verwandelt wird. “Der Großgrundbesitz in Amazonas ist in den letzten zehn Jahren in alarmierendem Ausmaß gewachsen,” erklärt er.
Offensichtlich bereiten die Holzfirmen lang- oder mittelfristig eine Verlagerung ihrer Aktivitäten in den Bundesstaat Amazonas vor. Dieser zeigt bisher die niedrigsten Entwaldungsraten, weil ein Straßennetz praktisch nicht existiert und der Schiffstransport langwierig ist. Da in den verkehrstechnisch besser erschlossenen Gebieten Amazoniens das wertvollere Holz langsam zu Ende geht, kann sich bei steigenden Holzpreisen bald lohnen, weiter ins Innere Amazoniens vorzudringen.
Die Firmen handeln dabei nach dem altbewährten Motto: “Legal – Illegal – Scheißegal”. Denn eigentlich müßte jeder Landerwerb von über 2.500 Hektar (nach der Landesverfassung von Amazonas sogar von 1.000 Hektar) durch das nationale Parlament oder den Landtag genehmigt werden.
Die fast unvorstellbare Ausdehnung der Latifundien (definiert als Betrieb, dessen Fläche sechshundertmal größer ist als ein durchschnittlicher Betrieb in einer Region) ist kein Phänomen, das auf den Bundesstaat Amazonas beschränkt ist, sondern prägt die gesamte Amazonasregion. 1986 besaßen von den achtzehn größten Landbesitzern Brasiliens fünfzehn Land in Amazonien und zwar eine Fläche von 162.000 Quadratkilometern, mehr Land als das Gebiet der Neuen Bundesländer plus Niedersachsen. Insgesamt besaßen Latifundisten in Amazonien 1986 1,4 Millionen Quadratkilometer, ein Gebiet also, das fast viermal so groß ist wie die Bundesrepublik.
Diese Zahlen können gut dazu dienen, die in Brasilien wieder aufgekommene Diskussion um die Demarkierung der Indianergbiete zurechtzurücken. Konservative Kreise versuchen nämlich mit dem Hinweis auf die große Ausdehnung der Indianergebiete, diese in Frage zu stellen und insbesondere die Demarkierung des Gebiets der Yanomami wieder rückgängig zu machen. In die aktuelle, allerdings nur schleppend vorankommende Verfassungsreform versuchen diese Kreise eine Änderung einzubringen, die die Demarkierung der Indianergbiete zur Sache der Bundesstaaten macht. Der Effekt wäre klar: In Staaten wie Roraima (in dem das Gebiet der Yanomami liegt), wo der lokale Großgrundbesitz dominiert, wären einer Revision der Demarkierung Tor und Tür geöffnet. Die Zahlen über den Zuwachs des Großgrundbesitzes belegen aber, daß nicht die Indianergebiete sondern die Explosion der unproduktiven Latifundien das Grundproblem der Landfrage in Amazonien ist.
Es zeigt sich auch, daß gesellschaftliche Veränderungen in Amazonien nicht an der Landfrage vorbeikommen. Dies betrifft auch den Umweltschutz. Was nützt die Einrichtung einiger Schutzgebiete, wenn die Latifundien sich so ungeniert und unkontrolliert ausbreiten können. Gerade die Landfrage ist aber in Entwicklungsprogrammen wie dem berühmten Pilotprogramm der G-7 ausgespart. Was immer noch auf der Tagesordnung in Amazonien steht ist eine einschneidende Landreform, ohne die alles Gerede von “nachhaltiger Entwicklung” Makulatur bleibt.