Argentinien | Nummer 279/280 - Sept./Okt. 1997

Guerillero-Entsorgung

Enrique Gorriarán Merlo in fünf Verhandlungstagen abgeurteilt

Während im bolivianischen Vallegrande emsig nach den Gebeinen Che Guevaras gebuddelt wurde, erlebten die ArgentinierInnen eine “Entsorgung” guerilla-geschichtlicher “Reste” anderer Art: Enrique Haroldo Gorriarán Merlo, der letzte und meistgesuchte Kämpfer der lateinamerikanischen Guerilla-Bewegungen der 60er und 70er Jahre wurde in einem skandalösen Schnellprozeß zu lebenslänglich, mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Seine mitangeklagte Ex-Ehefrau Ana María Sívori, erhielt eine Haftstrafe von 18 Jahren. Nach 25 Jahren “freier Gefangenschaft” im Untergrund, wie Merlo das un-normale Leben eines Guerilleros selbst bezeichnet, und 598 Tagen in argentinischer Isolationshaft wurden beide in nur fünf Verhandlungstagen abgeurteilt. Schuldig befunden der Planung und Anführung einer Attacke des Movimiento Todos por la Patria MTP (“Bewegung Alle für das Vaterland”) auf die argentinische Kaserne von La Tablada am 23. Januar 1989.

Roman Herzog

Im Morgengrauen des 23. Januar 1989 stürmten rund 60 schlecht bewaffnete meist junge Menschen der Oppositionsbewegung MTP die Infanteriekaserne Nr. 3 von La Tablada, einem Vorort der Hauptstadt Buenos Aires. Dreißig Stunden dauerte die darauf folgende von Rundfunk und Fernsehen live übertragene Schlacht zwischen den Angreifern, die eine beinahe leere Kaserne vorfanden, und den von außen attackierenden über 3000 (!) Militärs. Diese schlugen mit martialischem Aufwand – Panzer, Infanterie und Luftwaffe – den Angriff nieder, schossen die Kaserne buchstäblich in Schutt und Asche: 39 Tote, 70 Verletzte und 20 Gefangene waren die Bilanz (siehe LN 179, 180, 181). Die Angreifer wollten nach eigenen Angaben einem geplanten Militärputsch zuvorkommen. Informationen darüber seien ihnen aus zuverlässigen Kreisen zugespielt worden. Bis heute halten die überlebenden MTPistas an dieser Version fest, und auch an dem Glauben, daß vor mittlerweile mehr als acht Jahren tatsächlich eine Rebellion der nationalistischen Militärfraktion der Carapintadas bevorstand. Der Überfall auf La Tablada leitete 1989 die erneute Militarisierung Argentiniens und den unrühmlichen und vorzeitigen Abgang des damaligen Präsidenten Raúl Alfonsín ein (LN 183/4).
Schon damals zirkulierte das Gerücht, daß der vermeintliche Kopf hinter dem Angriff Gorriarán Merlo gewesen sei, der erfolgreich fliehen konnte. Merlo ist eine der schillerndsten Gestalten der argentinischen und lateinamerikanischen Guerilla-Bewegungen. Als enfant terrible tauchte sein Name in Argentinien immer dann auf, wenn die Militärs meinten, die auch in der Demokratie noch virulente Bedrohung durch den Linksradikalismus behaupten und diese “Subversion” bekämpfen zu müssen. Aber tatsächlich: In einem im Mai 1995 klandestin gegebenen Fernsehinterview gab Merlo nicht nur seine Beteiligung an La Tablada zu. Er war ebenfalls am erfolgreichen Attentat auf den geflüchteten nicaraguanischen Ex-Diktator Anastasio Somoza am 17. September 1980 in der paraguayischen Hauptstadt Asunción beteiligt.

25 Jahre “freie Gefangenschaft”

1970 war Merlo gemeinsam mit Roberto Santucho führendes Gründungsmitglied des trotzkistischen Ejército Revolutionario del Pueblo (ERP). Neben den peronistischen Montoneros war der ERP die wesentliche Guerilla Argentiniens der 70er Jahre. Derweil festgenommen, gelang Merlo 1972 mit fünf Mitgefangenen die Flucht aus dem Hochsicherheitsknast von Rawson per Flugzeug nach Chile und weiter nach Kuba. 1974 führt er einen mißglückten Angriff auf die größte argentinische Militärkaserne von Azul an, bei dem drei Soldaten und zwei Guerrilleros starben. 1979 wurde Merlo Mitglied der nicaraguanischen FSLN, verantwortlich für den Sicherheitsdienst. Zurückgekehrt nach Argentinien engagierte sich Merlo ab 1987 in der populären Basisbewegung MTP. Der MTP war eine weit verbreitete BürgerInnenbewegung in den Armenvierteln der Großstädte. Die Mitglieder arbeiteten in Basisgruppen für partizipative Demokratie, gegen soziale Ausgrenzung und Ungerechtigkeit und gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft.
Auf der Fahndungsliste stand Merlo nicht nur immer ganz oben, seit Beginn der 90er Jahre war er in Argentinien der einzige, der überhaupt noch darauf zu finden war – alle anderen waren tot, festgenommen, verurteilt oder – wie die meisten – verschwunden. Am 28. Oktober 1995 fand Merlos bewegtes Leben im Untergrund ein jähes Ende. Seit mehr als einem Monat war der argentinische Geheimdienst SIDE ihm auf den Fersen. Bei einem Besuch in Mexiko wurde er in einer heftigen Schießerei von 60 (!) Mitgliedern des mexikanischen und argentinischen Geheimdienstes gemeinsam festgenommen und kurzerhand im Flugzeug nach Argentinien abtransportiert. Diese binationale Entführungskooperation erregte damals weder eine zwischenstaatliche Krise noch internationales Aufsehen. 21 Tage lang wurde Merlo im Gefängnis des ehemaligen Konzentrationslagers von La Perla vernommen und nach eigenen Angaben von Angehörigen der Gendarmerie gefoltert. Danach saß er bis zum Prozeßbeginn am 20. Juni 1997 in Villa Devoto 577 Tage in Isolationshaft, mit abgeschotteter Einzelzelle, eingeschränkter Besuchserlaubnis und Bewegungsfreiheit, und begrenztem Postzugang. Merlos Ex-Frau Ana María Sívori war ebenfalls 1995 bei einem Besuch ihrer Mutter in Rosario festgenommen worden. Seit Jahren hatten beide keinerlei Kontakt mehr gehabt. Die Tatsache vor Jahren mit dem Guerillero verheiratet gewesen zu sein, war alleiniger Verdachtsmoment gegen Sívori. Später tauchte aus Polizeikreisen ein Beutel mit Dokumenten auf, der ihre angebliche Mitgliedschaft im MTP und Verbindung mit dem Angriff auf die Kaserne von La Tablada belegen sollte.

“Die Wunden schließen”

Unter Hubschrauberüberwachung, Militärpräsenz und mittels zahlreicher bewaffneter Polizeieinheiten wurde am 20. Juni 1997 der Prozeß gegen Merlo und Sívori im Vorort San Martín von Buenos Aires eröffnet. Einige Tage vor und während des Prozesses wurde in den Medien eine regelrechte Kampagne gestartet, die auf das Bild Merlos als durchgeknallter Fanatiker des militärischen Kampfes hinauslief. Entsprechend groß war das Interesse der Medien aber auch vieler gesellschaftlicher Kreise und Gruppierungen an dem Prozeß. Unter ihnen beispielsweise der ehemalige Verteidiger im Prozess gegen die Militärs Víctor Seguí: “Ich bin gekommen, weil dies eine historische Chance ist. Es hilft, die seit dreißig Jahren offenen Wunden zu schließen.”
“Wir sind politische Geiseln”, rief Sívori beim Betreten des Gerichtssaales, in dem vor acht Jahren bereits zwanzig Mitglieder des MTP von den selben Richtern und mit zum Teil identischen Anwälten in einem Farce-Prozeß unter der Regie der Militärs für den Angriff mit lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren (LN 186). Keine guten Vorzeichen, wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte.
300 Seiten stark war die Anklageschrift, die vom Staatsanwalt Pablo Quiroga an den ersten beiden Verhandlungstagen verlesen wurde. Sie begründete die über zehn Anklagepunkte aus der Sicht des argentinischen Staates. Neben unerlaubtem Waffenbesitz, schwerem Raub, illegaler Freiheitsberaubung, Rebellion, doppelt-schwerem Mord, Dokumentenfälschung und anderem lag der Schwerpunkt auf Bildung und Führung einer illegalen Vereinigung. Der MTP, so die Kernargumentation der Staatsanwaltschaft, habe sich nach dem Eintritt Gorriarán Merlos 1987 unter seinem Einfluß und seiner Führung in eine bewaffnete, illegale Vereinigung verwandelt, mit dem Ziel der Machtergreifung in Argentinien. Der Angriff auf La Tablada liest sich in dieser Sicht als geplanter Staatsstreich von links namens “Operation Tapir”. So war es laut Quiroga beabsichtigt, “die Universitäten, Militärkasernen, Radios, Fabriken, Ländereien, Wohnungen, Gerichte, öffentliche Einrichtungen, Presse und schließlich die Regierungsgebäude zu besetzen”. Ziel der Angreifer war demnach, mit in La Tablada geraubten Panzern auszurücken, bis sich schließlich die Regierung vor der Casa Rosada ergeben werde. “Es muß darauf hingewiesen werden”, so Quiroga, “daß es nur 150 Personen waren, die die Kaserne von La Moncada angriffen und die kubanische Revolution auslösten. Und nur zehn Mitglieder der Frente Sandinista de Liberación Nacional begannen deren öffentliche Aktivität”. Die “Bedrohung” der sechzig schlecht bewaffneten MTPistas wirkt wahrlich einleuchtend. Aber die waren in der offiziellen Version gar “bestens ausgerüstet und im Waffenumgang geschult”. Entlarvend war ebenso wie 1989 der Sprachgebrauch der Staatsanwaltschaft. So bezeichnete Quiroga Merlo und Sívori in guter diktatorischer Tradition als “subversive Elemente”.
Das aktenschwere “Beweismaterial”, auf das sich die Anklage stützte, war dasselbe wie schon beim 1989er Prozeß gegen die MTPistas. Es stammt nachweislich aus dubiosen Quellen rechtsextremistischer Militärs (Gruppe Albatros), die teilweise seit dem letzten mißglückten Putschversuch 1990 (LN 199) in Uruguay untergetaucht sind, um der Strafverfolgung zu entgehen. Darüber hinaus hatte der Geheimdienst SIDE die “relevanten” 900 von insgesamt 2650 Stunden Telefonabhörungen in Protokollform zur Verfügung gestellt. Über Jahre wurden nicht nur die Telefone der VerteidigerInnen und von Sívori abgehört – ein klarer Verstoß gegen internationale Rechtsstandards -, sondern von Dritten, allen Menschen, die mit diesen Personen in irgendeiner Weise telefonisch in Verbindung traten – JournalistInnen, MenschenrechtlerInnen, StudentInnen etc. In den Protokollen wird nicht der Wortlaut der Telefongespräche wiedergegeben, sondern lediglich Zusammenfassungen der MitarbeiterInnen des SIDE. Darin liest sich unter anderem, die jeweilige politische Einschätzung der Personen (z.B. radikale Ideologie, über ein Mitglied der Oppositionspartei UCR). Und ein Attribut schien von “informativem Wert” bei der Freundin, einer Freundin der Schwiegermutter, einer Tochter von Merlo: “jüdisch”.
“Verhandelte Sache”
Die vier RechtsanwältInnen der Angeklagten stützten ihre Verteidigung auf drei Hauptelemente: Die Widerlegung des angeblichen Putschversuchs des MTP, die Illegalität des Prozesses aufgrund der Inhaftierungsweise der Beschuldigten sowie die Anklage der Unregelmäßigkeiten in Verlauf und Beweisführung dieses, wie des vorangegangenen Prozesses. In der Version von Verteidigung und MTP sollte die Kasernenerstürmung einem Militärputsch zuvorkommen. “La Tablada ereignete sich in einem spezifischen Kontext”, meinte Merlo in einem schriftlichen Zeitungsinterview mit der argentinischen Tageszeitung Página/12 kurz nach seiner Festnahme. Eine detaillierte Selbstkritik könne der MTP aber erst dann leisten, wenn es die Möglichkeit einer gemeinsamen Diskussion gäbe. Die Militärrebellionen der putschistischen Carapintadas von Semana Santa, Monte Caceros und Villa Martelli bildeten ab 1986 ein zunehmendes Klima politischer Unsicherheit und Angst. Der letzte Aufstand hatte Anfang Dezember 1988 ein extrem labiles politisches Klima hinterlassen. Viele hielten es 1989 für möglich, daß es zu einem weiteren Aufstand kommen würde, der erneut die taumelnde Demokratie beseitigen könnte. Tatsächlich erhoben sich die Carapintadas am 3. Dezember 1990 zu ihrer letzten Schlacht. Die nachgiebige Politik von Menems Vorgänger Alfonsín gegenüber den Militärs hatte ihrerseits schon vor der Amnestierung der wenigen verurteilten Hauptverantwortlichen durch Menem im Oktober 1989 zu breiter Frustration und Wut geführt: Nicht nur die Menschenrechtsbewegung und Angehörigen der über 30.000 während der Diktatur Verschwundenen reagierten mit Ohnmacht und Angst vor den kommenden Verhältnissen. In dieser spezifischen Situation erhielten die Mitglieder des MTP im Januar 1989 die Information über einen bevorstehenden erneuten Putschversuch. Sie rekrutierten damals innerhalb kürzester Zeit 60 Frauen und Männer, die zum Teil niemals zuvor eine Waffe in ihrer Hand gehalten hatten, und rüsteten sie teilweise mit schrottreifen, nicht funktionierenden Luftgewehren aus.
Bereits wenige Tage nach dem Angriff auf La Tablada wurde in verschiedenen Kommuniqués des MTP die Folterung und Exekution einiger MitkämpferInnen durch die Militärs bei der Niederschlagung denunziert: Erstaunlicherweise gab es auf Seiten der Angreifer keinen einzigen Verletzten. Mittels Foto- und Fernsehaufnahmen konnte in den folgenden Wochen und Monaten nachgewiesen werden, daß fünf MTPistas sich den Militärs ergaben und gefangen genommen wurden, wenig später aber unter den Toten zu finden waren. Daß dies nach wie vor ohne Konsequenzen geblieben ist, reklamierte die Verteidigung und forderte eine unabhängige Untersuchung sowie eine Wiederaufnahme des Prozesses von 1989. Darüber hinaus forderte sie einen Freispruch für Merlo und Sívori, da die Absicht des Überfalls auf La Tablada eine legitime Verteidigung der Demokratie gewesen sei.
Die Richter – zwei von ihnen hatten schon die 20 anderen MTP-Mitglieder verurteilt – gaben der Argumentation der Staatsanwaltschaft dahingehend statt, daß die “Sache La Tablada” keiner weiteren Beweiserhebung bedürfe, da Merlo bereits im Prozeß von 1989 in Abwesenheit mitverurteilt worden sei. Von Sívori kein Wort. Ihr Name fiel im Prozeßverlauf lediglich bei Anklage und Urteilsverkündung. Die somit “bereits verhandelte Sache” bedurfte keinerlei neuerer Beweisführung oder Hinterfragung – eigentlich, so die Botschaft, war für Richter und Staatsanwalt der ganze Prozeß überflüssig. Der dauerte entsprechend auch nur fünf Verhandlungstage, von denen zwei für die Verlesung der Anklageschrift und einer für die Plädoyers draufging.
Die Verteidigung scheiterte in den ersten drei Tagen mit allen Anträgen und Einwänden gegen das “Beweismaterial” aus den Händen der putschistischen Militärs, gegen Parteilichkeit und Befangenheit der Richter, sowie der Nichtigkeit des Prozesses, der auf der illegalen Entführung Merlos basiere. Da offensichtlich war, daß die Verurteilung von Merlo und Sívori bereits vor dem Prozeß feststand, entließen die Angeklagten am dritten Verhandlungstag ihre VerteidigerInnen. Diese hielten eine Pressekonferenz ab, auf der sie auf die gravierenden Verletzungen der Prozeßregeln verwiesen und ankündigten, beim Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof eine Klage gegen das Verfahren einzureichen. Die von den Richtern eingesetzte Pflichtverteidigerin las sich innerhalb von 48 Stunden in die 1.500 Seiten starke Prozeßakte ein und garantierte so den zügigen Fortgang des Prozesses bis zur Urteilsverkündung am 2. Juli: 18 Jahre Knast für Ana María Sívori wegen begleitender Mittäterschaft und lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung für Enrique Gorriarán Merlo für Anführung des Überfalls und Bildung einer illegalen Vereinigung.
Merlo hatte nichts anderes erwartet: “Aus Überzeugung glaube ich nicht an die Gerechtigkeit dieser Justiz.”
Einen Tag nach der Urteilsverkündung übersandte die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH der argentinischen Regierung ihren Abschlußbericht der Untersuchung des La Tablada Prozesses von 1989. Darin führt sie zahlreiche Unregelmäßigkeiten in der Beweisführung an, die auch in diesem Prozeß die Grundlage bildeten und legt der Regierung nahe, die noch 16 Inhaftierten auf freien Fuß zu setzen und ihnen eine Entschädigung zu zahlen. Darüberhinaus fordert die CIDH eine juristische Untersuchung der behaupteten Vorwürfe der Exekution und Folterung von Gefangenen seitens der Militärs.
Bleierne Zeit
Entscheidend ist der Gesamtzusammenhang in dem der Prozeß gegen Merlo und Sívori vonstatten ging. Seit Beginn der Regentschaft Menems sind die ArgentinierInnen an regelmäßige Skandale in Politik und Justiz gewöhnt. Eine der ersten Amtshandlungen Menems war die Erhöhung der Mitgliederzahl des obersten Gerichtshofs. Die vier neuen RichterInnen ernannte selbstverständlich der Präsident höchstpersönlich und verschaffte sich damit von vornherein einen freien Rücken vor der rechtlichen Ahndung seiner Skandal-Politik. Die “demokratische Rechtsprechung” hat sich in diesen Jahren zunehmend als vollkommen korrumpiert und Farce erwiesen. Ein Prozeß wie dieser hat mit Demokratie gar nichts, dafür aber mit der Tradition militärischer Schauprozesse sehr viel gemein. Aber auch das internationale Kreuzfeuer in das Argentiniens Unrechtspolitik seit einiger Zeit geraten ist, läßt Menems Equipe kalt. Beirus Szmulke, Präsident der Amerikanischen Juristenvereinigung und Beobachter beim La Tablada Prozeß meint: “Hier steht die Legalität auf dem Spiel. Der Bevölkerung soll klar gemacht werden, daß es sehr gefährlich ist, das System herauszufordern, denn dieses respektiert die Normen der Legalität in keinster Weise.”
Seit einigen Monaten mobilisieren Teile der Bevölkerung offensiver als zuvor gegen die Regierungspolitik. So häufen sich die Aufstände und Unruhen in den Provinzen. Die RentnerInnen campieren – ähnlich wie schon 1992 – seit Monaten vor dem Kongressgebäude. Fast so lange, wie sie auf die ausstehenden Rentenzahlungen warten. StudentInnen und SchülerInnen solidarisieren sich mit ihnen und organisieren Demonstrationen mit Zehntausenden. Der oppositorische Flügel der zerstrittenen Gewerkschaftsbewegung hat sich am 14. August gar zum zweiten Generalstreik gegen Menem durchgerungen.
In diesem Jahr hat sich allerdings nicht nur der soziale Sprengstoff weiter verschärft. Justiz und Politik sind dabei sich vollständig zu diskreditieren. Es häufen sich Aktionen, die fatal an die Zeit der Diktatur erinnern: Anfang des Jahres wurde der Journalist Cabezas ermordet. Seine Leiche wurde verbrannt in seinem Auto aufgefunden. Bis heute ist in diesem Mord genauso wenig wie in anderen eine ernsthafte Untersuchung eingeleitet worden, auch wenn klar ist, daß es sich um einen organisierten politischen Mord handelt. Mitte Juli wurde der Chef der links-alternativen Tageszeitung Página/12 Jorge Lanata auf offener Straße überfallen und bedroht. Página/12 ist Menems Crew seit Jahren einer der heftigsten Dornen im Auge. Die Zeitung hat sich vorwiegend der Enthüllung eines Skandals nach dem nächsten gewidmet und ließ sich auch durch vorhergehende Zensurbemühungen in diesem Bestreben nicht einschüchtern. Drei Jahre nach dem fatalen Bombenanschlag auf die jüdische Kulturvereinigung AMIA steht inoffiziell fest, daß die Suche nach den Tätern direkt in Militär- und Polizeikreise führt, nur ist kein offizieller Vertreter bereit, diesen Spuren ernsthaft nachzugehen.
Gleichzeitig treten die Bemühungen einer direkten Rehabilitierung der Militärs immer offener zu Tage. Jüngster Fall, die beabsichtigte Beförderung von Enrique Villanueva zum General. Villanueva war führendes Mitglied der Alianza Argentina Anticommunista (AAA), die als paramilitärische Gruppierung Tausende von Menschen folterte und ermordete und ab 1972 in Vorbereitung des Putsches von 1976 ihren Terror über das gesamte Land ausbreitete. Der angehende General leitete während der Diktatur das berüchtigte Konzentrationslager La Perla.
In diesem Klima der Einschüchterung der demokratischen Opposition durch organisierte Gruppen mit direkten Verbindungen bis hinein ins Militär stößt der Präsident eines Landes, in dem innerhalb eines Jahrzehnts 30.000 Menschen verschwanden, in ein fatales Horn: “Wir akzeptieren die Kritik, aber wir müssen die Demonstrationen derjenigen zurückweisen, die nicht verstanden haben, was Demokratie ist. Das ist keine Kritik. Das ist Müll. Wir sollten ein Müllentsorgungsunternehmen damit beauftragen, diese Art von Kritik einzusammeln und in irgendeinem Ort der Provinz zu vergraben”.

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