Guerillero in Kolumbien: Zwischen Berufung und Beruf
Mit ihrer rund sechzigjährigen Geschichte gilt die kolumbianische Guerilla als die älteste der Welt. Bereits in den dreißiger Jahren gründeten kommunistische Rebellen in Viotá eine “unabhängige Republik”, die von der damaligen Regierung als “Verbrechervereinigung” bekämpft wurde. Der Ermordung des liberalen Parteiführers Gaitán im Jahre 1948 folgte ein Jahrzehnt des Bürgerkrieges (La Violencia) zwischen Liberalen und Konservativen mit über 300.000 Toten. Fortan waren Liberale und Linke starker Verfolgung ausgesetzt, der sie sich mit einer Flucht in die Berge zu entziehen versuchten. Dort bildeten sich die ersten “bäuerlichen Selbstverteidigungsgruppen” zum Schutz gegen die Mörderkommandos der Konservativen.
Im Gefolge der kubanischen Revolution entstanden 1964 die orthodox kommunistisch orientierten “Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens” (FARC). Die heute an die zehntausend bewaffnete KämpferInnen zählenden FARC sind die wichtigste und mächtigste Guerillagruppe. Ihr 67jähriger Gründer Manuel Marulanda Vélez alias Tirofijo (Scharfschütze) gehört zu den großen Mythen der kolumbianischen Guerilla.
1965 gründeten Studenten und Ordensbrüder das castristische “Heer zur nationalen Befreiung” (ELN), in dessen Reihen später der berühmte Priester Camilo Torres kämpfte und fiel. Die ELN bekämpfte von Beginn an neben der Armee auch die ausländischen Erdölgesellschaften, die sie des Raubes an den nationalen Ressourcen bezichtigt. Seit den achtziger Jahren spezialisierte sich die ELN auf die Sprengung von Ölpipelines – eine Strategie, mit der sie häufig Umweltkatastrophen auslöst.
Das “Volksheer zur Befreiung” (EPL), eine 1966 gegründete, maoistisch orientierte Rebellenbewegung, stellte sich sowohl ideologisch als auch militärisch gegen die FARC. Ihre wichtigsten Führer sitzen heute in kolumbianischen Gefängnissen. Erbittert bekämpft die EPL jene abtrünnigen Mitglieder, die sich in der Gruppe Esperanza, paz y libertad (Hoffnung, Frieden und Freiheit) zusammengeschlossen und ein Friedensabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben.
In den siebziger Jahren schließlich gründeten Jaime Bateman und Iván Ospina, einstige Mitglieder der FARC, die nichtmarxistische “Bewegung des 19. April” (M-19). Durch spektakuläre “Robin-Hood-Aktionen” wie etwa den Diebstahl eines Schwertes Simón Bolívars erregte M-19 in der Folgezeit Aufsehen und gewann große Sympathien in der Bevölkerung. Nach einem Friedensschluß mit der Regierung erzielte die Gruppierung Anfang der neunziger Jahre zunächst überraschende Erfolge. Die in sie gesetzten Hoffnungen konnte sie jedoch nicht erfüllen und verlor so rasch wieder an Bedeutung.
Ein weiteres parteipolitisches Projekt der kolumbianischen Linken fiel dem “schmutzigen” Krieg der Armee und der paramilitärischen Truppen zum Opfer: Seit ihrer Entstehung 1985 hat die der kommunistischen Partei PCC nahestehende Unión Patriótica (UP) über 3.000 ermordete AktivistInnen zu verzeichnen.
Heute stellt sich angesichts der immer stärkeren Verwicklung der Guerilla in Drogenhandel und Entführungen unweigerlich die Frage: Was ist von ihren Idealen noch übrig? Auch aus eigenen Reihen wird zunehmend Kritik wie die des ehemaligen FARC-Führers Augusto Zavala Molina laut: “Durch die Allianz zwischen der Guerilla und dem Drogenhandel sind die revolutionären Ziele verlorengegangen.” Dieser zu beklagende Werteverlust geht indes keineswegs mit einem Macht- oder Sympathieverlust einher. Im Gegenteil: Die kolumbianische Guerilla verzeichnet unverändert eine territoriale Expansion mit zunehmendem Einfluß in der Bevölkerung. War sie 1985 in 173 der 1.059 Gemeinden Kolumbiens präsent, so besetzte sie im Jahre 1996 bereits 569 Gemeinden. Zudem sympathisieren schätzungsweise 40.000 Personen mit der Guerilla, ohne unmittelbar einer ihrer Gruppierungen anzugehören. Auf lokaler Ebene üben die Rebellen also reale Macht aus. Nur muß wohl stark bezweifelt werden, ob tatsächlich noch der politische Wille zu einer revolutionären Umwälzung der Gesamtgesellschaft besteht. Denn Guerillero zu sein scheint mehr und mehr zu einer Frage des Berufs und eben nicht der Berufung zu werden.