Mexiko | Nummer 391 - Januar 2007

Hand in Hand

Bund und Bundesstaat gehen gegen die Aufständischen in Oaxaca vor

Seit dem 25. November ist Oaxaca Schauplatz einer Verhaftungs- und Verfolgungswelle: über 200 tatsächliche und vermeintliche Mitglieder der Volksversammlung der Bevölkerung Oaxacas (APPO) wurden verhaftet, etwa 60 Personen gelten als verschwunden. Die Regierung des neuen Präsidenten Calderón hat deutlich gemacht, dass sie den harten Kurs gegen die Aufständischen fortsetzen wird. Doch der seit sieben Monaten andauernde Konflikt schwelt weiter.

Gerold Schmidt

Lebend nahmen sie ihn mit, lebend wollen wir ihn wieder“ steht auf dem Plakat neben dem Foto von Jayro Vásquez. Nein, es handelt sich nicht um eine Ausstellung über die Verbrechen in einer der früheren lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Es ist die Momentaufnahme einer Demonstration mehrerer tausend Menschen in Oaxaca-Stadt am 1. Dezember. Jayro Vásquez ist einer der etwa 60 politisch Verschwundenen des Konflikts in Oaxaca.
Ausgangspunkt der jüngsten Verhaftungswelle war die siebte Großdemonstration der APPO am 25. November. Die anfangs friedlichen DemonstrantInnen forderten einmal mehr den Rücktritt des Gouverneurs von Oaxaca, Ulises Ruiz, sowie den Abzug der Bundespolizei PFP. Die Situation eskalierte, als Männer in Zivilkleidung auf die Demonstration schossen und die PFP Demonstranten angriff. Daraufhin wurden in mehrstündigen Straßenschlachten Fahrzeuge und öffentliche Gebäude in Brand gesteckt. Es gab über hundert Verletzte und mindestens 140 Verhaftungen. Zwar ist nicht auszuschließen, das vor allem radikalisierte junge APPO-Mitglieder an der Brandstifung beteiligt waren. Da sich mindestens neun der unmittelbar Verhafteten inzwischen als Mitglieder Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) herausstellten, spricht jedoch mehr für die APPO-These von eingeschleusten Provokateuren.
Die Verhafteten sind teilweise in Hochsicherheitsgefängnisse oder in Gefängnisse der nördlichen Bundesstaaten Tamaulipas und Nayarit verlegt worden. Dies verhindert in vielen Fällen Besuche von Familienmitgliedern, die sich die weite und teure Fahrt nicht leisten können. Menschenrechtsorganisationen haben zahlreiche Aussagen über erniedrigende Behandlung, Folter und Androhung von Vergewaltigungen dokumentiert.
Die vergangenen Wochen haben die letzten Zweifel ausgeräumt, auf wessen Seite die Bundesregierung in der Auseinandersetzung im Bundesstaat Oaxaca steht. Weder die Behörden in Mexiko-Stadt noch die Ende Oktober einmarschierte PFP verfolgen die Anschuldigungen gegen Ulises Ruiz und die von ihm bezahlten paramilitärischen Gruppen. Unter den Augen der PFP verbrannten Paramiliärs das APPO-Camp vor der Kirche Santo Domingo und zündeten Tage später das Haus von Flavio Sosa an, einem der sichtbarsten Köpfe der APPO. Bei einem der wenigen Einsätze gegen lokale Behörden fand die PFP ausgerechnet im Gebäude der Staatsanwaltschaft Oaxacas gestohlen gemeldete Autos und Waffen. Die mutmaßlich Verantwortlichen kamen nach wenigen Tagen Haft frei. Hingegen führt die PFP bereitwillig die Haftbefehle aus, die lokale Richter aufgrund fragwürdiger Anklagepunkte ausstellen. Hausdurchsuchungen und Straßenkontrollen schaffen ein Klima der ständigen Angst und Bedrohung.

Verhaftungen in der Hauptstadt

Präsident Felipe Calderón war am 1. Dezember auf die Stimmen der PRI im mexikanischen Kongress angewiesen, damit bei seinem tumultartigen Amtsantritt das notwendige Quorum an Abgeordneten zusammen kam. Im Gegenzug sicherte der Einmarsch der PFP Ulises Ruiz das politische Überleben. Da Ruiz nun offiziell zwei Jahre im Amt ist, muss sich die PRI in Oaxaca bei einem eventuellen Rücktritt des Gouverneurs nach der geltenden Wahlgesetzgebung keinen Neuwahlen mehr stellen. Sie kann einen Nachfolger aus den eigenen Reihen stellen. Am 4. Dezember wurde der APPO-Sprecher Flavio Sosa zusammen mit seinem Bruder Horacio und zwei weiteren Personen bei einer Pressekonferenz in Mexiko-Stadt von der PFP verhaftet. Er und seine Mit­streiter waren in die Hauptstadt gekommen, um erste Verhandlungen mit dem neuen Personal im Innenministerium aufzunehmen. Abraham González Uyeda, der neue Staatssekretär im Innenministerium kommentierte dies Anfang Dezember mit entwaffnender Offenheit: „Wir wollen weniger Bewegungen, die den sozialen Frieden stören.” (siehe auch Interview in dieser Ausgabe)
Der APPO steht die geballte Staatsmacht gegenüber, ihr Hand­lungsspielraum ist geschrumpft. Ende November wurde mit der Barrikade Cinco Señores vor dem Universitätsgelände das letzte Symbol des monatelangen Widerstandes geräumt. Kurz darauf gab die APPO auch die Besetzung von Radio Universidad auf. Viele bekannte Gesichter der APPO befinden sich entweder in Haft oder im Untergrund. Das Verhältnis zur Spitze der Lehrergewerkschaft ist derzeit ungeklärt.
Auf der anderen Seite ist die Bewegung mit ihrer horizontalen Struktur so einfach nicht kopflos zu machen. Vor wenigen Tagen trafen sich 150 der 200 im November gewählten Mitglieder des APPO-Rates öffentlich und kündigten neue Proteste an. Die Lehrer in Oaxaca-Stadt und der Zentralregion des Bundesstaates drohen mit einer Wiederaufnahme des Streiks. Auch in anderen Bundesstaaten demonstrieren Menschen für die Freilassung der Verhafteten und ein Ende der Repression. Massendemonstrationen von mehreren hunderttausend Menschen wie in den Vormonaten sind derzeit in Oaxaca nicht denkbar. Unter der Oberfläche aber befindet sich Oaxaca weiterhin im Aufstand.

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