Argentinien | Nummer 368 - Februar 2005

Hart wie der Internationale Währungsfonds

Kompromissloses Umschuldungsangebot an die Privatgläubiger

Der einstige Musterschüler des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat von seinem Lehrmeister gelernt. Ähnlich dem IWF-Kreditvergabemotto “Friss oder Stirb” präsentierte Argentinien seinen privaten GläubigerInnen Ende Dezember ein letztes radikales Umschuldungsangebot. Die GläubigerInnen haben noch bis zum 25. Februar die Wahl: Verzicht oder Gericht.

Martin Ling

Das ist eine Zwangsumschuldung und ein Verbrechen”, ereiferte sich Stefan Engelsberger, der über die Interessengemeinschaft Argentinien (IGA) 200 deutsche AnleihegläubigerInnen mit Ansprüchen in dreistelliger Millionenhöhe vertritt. Nur etwa 25 Cent je US-Dollar Nominalwert würden die BesitzerInnen argentinischer Staatsanleihen erhalten, wenn das Umschuldungsangebot für die 104 Milliarden US-Dollar Verbindlichkeiten angenommen wird. Selbst das wirtschaftliche Fliegengewicht Ecuador hatte bei seiner letzten Umschuldung noch 50 Cent je US-Dollar angeboten. Neben Privatleuten vertritt die IGA auch einige Stiftungen und kleine Banken, die argentinische Anleihen im Nennwert von durchschnittlich 200.000 bis 300.000 Euro halten. Anleihen, auf die seit der Verkündung der Zahlungsunfähigkeit seitens der argentinischen Regierung im Januar 2002 keine Zinsen mehr gezahlt wurden.

No risk, no profit

Dass die TitelinhaberInnen darüber sauer sind, ist verständlich, doch ihr Ärger sollte sich gegen ihre AnlageberaterInnen richten: Hohe Zinsen gibt es nun mal für hohes Risiko und die beliebteste Anleihe bot beispielsweise 15,5 Prozent im Jahr. Wer Hans Eichel in Form von Bundesschatzbriefen Kredit gibt, muss sich mit gut vier Prozent begnügen, darf sich aber der fristgemäßen Rückzahlung der Gesamtsumme sicher sein. Das Risiko des Forderungsaufalls in Argentinien war dagegen offensichtlich. Es war nur eine Frage des Zeitpunkts, bis das Wirtschaftsmodell mit seiner festen Peso-US-Dollarbindung und seinen wachsenden – durch steigende Auslandsverschuldung finanzierten – Leistungsbilanzdefiziten in die Zahlungsunfähigkeit und Peso-Abwertung münden musste. Ob die AnlegerInnen wissentlich spekulierten oder nicht, ist unerheblich: Argentinische Staatsanleihen waren de facto Spekulationspapiere und das muss einE AnlageberaterIn wissen und seinen KundInnen mitteilen.

Verzicht oder Gericht

Nun stehen die privaten GläubigerInnen vor einer schwierigen Wahl. Während der Internationale Währungsfonds (IWF) und andere multilaterale Geber nach wie vor vollständig ihre Zinsen und Tilgungsraten erhalten, sollen die Privaten auf rund 75 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Der argentinische Wirtschaftsminister Roberto Lavagna erklärte am 9. Januar kategorisch, dass die Regierung ihr Angebot nicht nachbessern werden: “Für die Gläubiger heißt es: jetzt oder nie.”
Die rund 700.000 GläubigerInnen können jetzt zwischen drei Varianten wählen, die die 152 sich im Umlauf befindlichen Anlagetypen ersetzen sollen. Diese Zahl ist auch ein Ausdruck davon, dass sich die argentinische Regierung seit der Schuldenmaximierungsära von Carlos Menem (1989-1999) immer neue Varianten einfallen lassen musste, um noch InvestorInnen in den vor dem Bankrott stehenden Staat zu finden.
Nun wird es wieder übersichtlich. Wer seinen Nominalwert behalten will, muss sich auf niedrige Zinsen und eine sehr lange Laufzeit bis zur Rückzahlung einrichten: Der so genannte Parbond in der jeweiligen Währung der Originalanleihe wird im Jahr 2038 fällig und bietet anfänglich nur 1,2 Prozent Zinsen die sich bis gegen Ende der Laufzeit auf 4,74 Prozent steigern. Wer mehr Zinsen will, muss mehr riskieren. Der so genannte Quasiparbond ist in Peso gezeichnet, bietet 5,75 Prozent Zinsen und ist zwar mit einer Indexierung vor Inflationsverlusten geschützt, nicht aber vor einer eventuellen Abwertung des Peso. Das Angebot richtet sich dementsprechend auch nicht an ausländische AnlegerInnen sondern an inländische. Allein der argentinische Rentenfonds AFJP mit seinen zehn Millionen Mitgliedern hält 13,5 Milliarden US-Dollar Staatsanleihen – von echten KleinsparerInnen. Ohnehin halten ArgentinierInnen mit 38,5 Prozent den Löwenanteil der Forderungen gegenüber Buenos Aires. Der Rest verteilt sich auf Italien, Deutschland andere europäische Länder sowie die USA und Asien. Wer weiter hohe Zinsen will, kann sich den Discount-Bond mit 66,3 Prozent Kapitalreduzierung bei einer Verzinsung von 8,28 Prozent sichern.
Was alle Varianten eint: der Barwert, der Wert zum Bezugszeitpunkt der neuen Anleihen, beträgt gerade mal rund 25 Prozent des Werts der alten Anleihen zu deren Ausgabetermin. Ein herber Verlust. Zwar steht grundsätzlich die Klagemöglichkeit gegen den argentinischen Staat offen und vor deutschen Gerichten bestehen auch gute Möglichkeiten einen Vollstreckungstitel gegen Argentinien zu bekommen. Nur viel bringen dürfte das kaum: Bis auf das Botschaftsgebäude, das längst mit einer Hypothek belegt ist, so dass es weder verkauft noch beliehen werden kann, gibt es nichts zu vollstrecken. Seinen Deutschland-Besuch letztes Jahr sagte Kirchner ab, weil ihm die Pfändung seiner Dienstmaschine drohte. Dennoch haben einige AnlegerInnenvereinigungen bereits ihre Ablehnung bekundet. Italienische ebenso wie Deutsche. Sie hoffen auf Nachverhandlungen. Die IGA ist sauer und unschlüssig zugleich.

Staatsbankrott absehbar

„Man kann ablehnen, wenn man das Geld nicht braucht, man kann zustimmen, wenn man meint, Kursgewinne einfahren zu können“, sagt Engelsberger. Letztlich würden alle Entscheidungen aber unter bestimmten Unsicherheiten getroffen und hätten daher „Spielcasino-Charakter“. Aber ins Spielcasino begaben sich die AnlegerInnen von argentinischen Staatsanleihen schon seit Jahren, wenn mensch sich die dortige Entwicklung unter Menem vergegenwärtigt. Bei der beispiellosen Privatisierung Anfang der neunziger Jahre wurden in Absprache mit dem IWF 50 begehrte Staatsunternehmen zu Spottpreisen verscherbelt, so zum Beispiel die staatliche Telefongesellschaft, die – auf 10 Milliarden US-Dollar taxiert – für die Hälfte über den Tisch ging.
Insgesamt werden die Privatisierungsverluste durch Unter-Wert-Verkauf auf 60 Milliarden US-Dollar geschätzt. Verlierer war zum einen die Staatskasse, denn die Gewinne der teils durchaus profitablen Ex-Staatsbetriebe fließen seitdem nicht mehr in das Staatssäckel, sondern in die Taschen weniger, und zum anderen die Bevölkerung, denn mit dem Einnahmeausfall ging der Abbau an Investitionen in den Gesundheits-, Bildungsbereichen etc. einher. Und selbstverständlich fehlte das Geld auch für die Rückzahlung von Staatsschulden. Hinzu kamen unverschuldete Einnahmeverluste durch den Preisverfall bei Argentiniens Hauptagrargütern in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Summa summarum: Der Staatsbankrott war vorgezeichnet.
Haushaltsüberschüsse wie unter dem seit Mai 2003 amtierenden Präsidenten Néstor Kirchner waren undenkbar. 8,8 Prozent Wirtschaftswachstum 2003 und 8,5 Prozent 2004 sind ebenfalls Trümpfe mit denen Kirchner wuchern kann – allerdings ausgehend von dem niedrigen Niveau des Krisenjahres 2002. Argentinien hat gute Karten, seinen harten Kurs vorerst beizubehalten zu können. Lavagna hängt die Messlatte provokant tief: Bereits bei 50 Prozent Zustimmung könne man von einer gelungenen Umschuldung sprechen. Drei Viertel sind das gängige Mindestmaß.

Der Preis der Umschuldung

Frisches Geld vom Internationalen Währungsfonds oder auf dem privaten Kapitalmarkt wird es so nicht geben. Kirchner und Lavagna lässt das kalt, schließlich kam das bisherige Wirtschaftswachstum ohne Zufluss ausländischen Kapitals zustande. Allerdings basiert es auf günstigen Agrar-, Erdöl- und Erdgaspreisen, die dauerhaft alles andere als gesichert sind. Und auch wenn es ein verbreitetes entwicklungsökonomisches Märchen ist, dass für nachholende Entwicklung Auslandskapital zwingend erforderlich ist, so muss Kirchner den Beweis noch erbringen, den Peso so zu stabilisieren, dass sich ArgentinierInnen oder gar AusländerInnen bereit finden, langfristig ihr Vermögen in Peso anzulegen – die unabdingbare Voraussetzung für langfristige Investitionen auf Peso-Basis. Langfristige Investitionen wie bisher auf US-Dollarbasis abzuwickeln, dürfte künftig um einiges teurer werden. Um diesen Preis kommt Kirchner nicht herum.

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