Nummer 407 - Mai 2008 | Paraguay

Hauen und Stechen um Paraguay

Mit Fernando Lugo hat ein Oppositioneller gute Chancen Präsident zu werden

Am 20. April wählt Paraguay einen neuen Präsidenten. In den Umfragen führt der ehemalige Bischof und politische Quereinsteiger Fernando Lugo. Ein politischer Wandel scheint somit möglich. Doch die das Land seit Jahr­zehnten regierende Colorado-Partei will ihre Macht behalten. Gute Druckmöglichkeiten hat sie: Die Staatsangestellten müssen nach ihrer Pfeife tanzen.

Reto Sonderegger

Kurz vor dem Urnengang in Paraguay ist die Stimmung äußerst gespannt. Täglich erscheinen in der Hauptstadt Asunción neue Plakate an Hauswänden oder Inserate in Tageszeitungen, die den politischen Gegner zu diffamieren suchen. Hauptopfer dieser Attacken ist Fernando Lugo, Befreiungstheologe und vormalig Bischof der Region San Pedro. Er kandidiert für das sehr heterogene oppositionelle Parteienbündnis Concertación. Erstaunen müssen die Attacken nicht auslösen, denn in verschiedenen Umfragen liegt Lugo in Führung. Der Neueinsteiger auf der politi­schen Bühne gefährdet damit nichts weniger als die politische Macht der Colorado-Partei, die seit über sechs Jahrzehnten im Lande herrscht, denn für die Präsidentschaft reicht bereits die einfache Mehrheit im ersten und einzigen Wahlgang.
Lugos HauptkonkurrentInnen um das Amt des Präsidenten sind Blanca Ovelar und Lino Oviedo. Ovelar, ehemalige Bildungsministerin des Landes und Kandidatin der regierenden Colorado-Partei, wird vom aktuellen Präsidenten Nicanor Duarte Frutos unterstützt. Lino Oviedo war bis 2005 Mitglied der Colorados und hoher General unter Diktator Alfredo Stroessner. 1989 beteiligte er sich jedoch an Stroessners Sturz. Bis Ende vergangenen Jahres saß Oviedo wegen der Anstiftung zur Ermordung des Vizepräsidenten und eines Massakers an DemonstrantInnen im Jahr 1999 in Haft. Seine Kandidatur wurde erst möglich, nachdem der Oberste Gerichtshof des Landes seine Verurteilung aufgehoben hatte. Präsident Duarte hatte sich für Oviedos Freilassung eingesetzt. Schließlich schwächte die Rückkehr Oviedos Lugos Parteienbündnis Concertación: Oviedos Partei „Nationale Union ethischer Bürger“ und die neoliberale Rechte der Partei Patria Querida („Geliebtes Vaterland“) verließen die Concertación. So hat Duartes Kandidatin statt einem Gegner zwei.
In den Umfragen in Zeitungen Paraguays erhielt Fernando Lugo bisher mit um die 35 Prozent die höchsten Zustimmungsraten. Damit läge er zwischen fünf und zehn Prozent vor den beiden anderen KandidatInnen. Die jüngste Umfrage des kanadischen Meinungsforschungsinstituts Angus Reid Global Monitor sieht für Lugo jedoch nur noch 31 Prozent und einen schwindenden Vorsprung auf Ovelar. In allen Umfragen liegt der Anteil der Unentschlossenen bei etwa zehn Prozent.
Dennoch: Die Reaktionen des amtierenden Präsidenten Nicanor Duarte Frutos auf die Umfragen sind nur noch als krankhaft zu bezeichnen. Laut dem Präsidenten ist die Presse gekauft und nur dazu da, die Colorado-Partei in den Dreck zu ziehen. Überall wittert er Verschwörung, regt sich fürchterlich auf und verliert die Fassung. Dabei schlägt er vor allem gegen Lugo aus. Wenn er sagt, das Bündnis, das Lugo führt, sei „eine pathetische Allianz zum Plündern des Landes“, dann ist das noch eine der harmloseren Formulierungen.
Ihm gleich tut es Lino Oviedo, der in den 1970er Jahren mit dem Plan Condor und somit der Unterdrückung der Opposition beschäftigt war. Auch heute noch macht er keinen Hehl aus seinem Hass auf alles Linke. Kein Tag vergeht, an dem er oder die Jugendorganisation der Colorado-Partei Fernando Lugo nicht zu diffamieren versuchen. Im Januar kleisterte die Coloradojugend das Zentrum Asuncións mit einem Plakat zu, welches Lugo in Guerilla­uniform im Dschungel zeigt und ihn als FARC-Botschafter in Paraguay bezeichnet. Im März erschien ein Inserat von Oviedos Partei UNACE in allen Tageszeitungen, das Lugo zusammen mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und dem bolivianischen Staatsoberhaupt Evo Morales zeigt. Auf der anderen Seite ist Lino Oviedo mit Cristina Kirchner und Luiz Inácio „Lula“ da Silva zu sehen – also den so genannten moderaten Linken unter den Präsidenten Südamerikas. Ein Präsident Lugo, so prophezeit Oviedo in der Wahlwerbung, werde Armut, Kapitalflucht, Zensur, Arbeitslosigkeit und fehlende Rechts­sicher­heit bedeuten. Sich selbst präsentiert er als Garanten für eine unabhängige Presse, freie Meinungsäußerung, Vertrauen und Investitionen sowie den Respekt vor der Verfassung.
Lugo ist aber nicht nur Feindbild, er wird auch instrumentalisiert. Mitte März hatte er seine Wahlkampftour im Departement Canindeyú wegen schlechter Witterung und angeblichen Morddrohungen abgebrochen. Daraufhin war es wiederum Lino Oviedo, der am 28. März in der paraguayisch-amerikanischen Handelskammer vor die Presse trat, um einen angeblichen Attentatsplan der Coloradopartei gegen Lugo aufzudecken. Laut Oviedo wollten die Colorados, verzweifelt wegen der schlechten Umfragewerte, ihren Hauptkonkurrenten Lugo aus dem Weg räumen und dann ihn, Oviedo, dieses Mordes beschuldigen, um ihn aus dem Rennen zu werfen. Somit wäre die Bahn frei für Blanca Ovelar. Die Colorados und auch Fernando Lugo wiesen die Äußerungen des Ex-Generals als Hirngespinste zurück. Im gleichen Atemzug aber ließen sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, auf die Verwicklung Oviedos in die Ermordung des paraguayischen Vizepräsidenten Luis María Argaña von 1999 hinzuweisen.
Mindestens ein tödliches Attentat mit politisch-mafiösem Hintergrund ist im Wahlkampf schon geschehen. Ende Februar wurde in der Siedlung San Antonio im südlichen Departement Caazapá der 32-jährige Geraldino Rotela Miranda erschossen und sein Bruder Emanuel schwer verletzt. Sie waren als Basisaktivisten der Bewegung Tekojoja, die Lugo unterstützt, mit einem Motorrad auf Wahlkampftour, als aus dem Hinterhalt auf sie geschossen wurde. Geraldino hatte viele Feinde, denn er zeigte den illegalen Holzhandel und die Korruption in der Region an. Außerdem engagierte sich der Lehrer stark für die sozial Ausgeschlossenen. Vor seinem Tod hatte er sich mehrmals beklagt, dass die mafiösen Strukturen seine Arbeit erschwerten. Wegen des Mordes verhaftet wurde bisher niemand. Die Straflosigkeit ist integraler Bestandteil des Systems.

Der amtierende Präsident Duarte wittert überall Verschwörungen und verliert darüber häufig auch die Fassung.

Die Opposition warnt seit Monaten vor massivem Wahlbetrug auf verschiedenen Ebenen. Zunächst gibt es eine groß angelegte Kampagne unter den Staatsangestellten. Auf zwei SteuerzahlerInnen kommt in Paraguay ein staatlicher Beamter. Der Staat ist Selbstbedienungsladen der Colorado-Partei und deshalb sind seine Bediensteten dazu angehalten, Mitglieder der Partei zu sein, für sie zu werben und zu stimmen. Wer das nicht will, läuft Gefahr, dass er selbst oder seine Familie ihre Arbeit verlieren. Gibt es offizielle Wahlveranstaltungen mit Blanca Ovelar in einer Stadt, werden die dort angestellten LehrerInnen und das Pflegepersonal der Krankenhäuser gezwungen, hinzugehen und zu jubeln. Die Partei führt Anwesenheitslisten. Laut Medienberichten bekommen die Staatsangestellten nur noch einen Teil des ihnen zustehenden Lohnes ausbezahlt, der Rest geht in die Wahlkampfkasse der Colorado-Partei.
Auch das offizielle Wahlregister bevorzugt die Colorados. Das beginnt bei der Einschreibung: Die lokalen Sektionen kennen alle Jugendlichen in jedem Viertel, denn sie verfügen über ein Informationsnetz, das jeden Geheimdienst blass aussehen lässt. Steht ein Jugendlicher kurz vor dem 18. Geburtstag, klopfen auch schon die BeamtInnen vom Wahlregister an seine Tür und bieten ihm an, sich um die Bürokratie zu kümmern. Für viele oppositionelle Jugendliche wird die Einschreibung zum sehr ermüdenden Hindernislauf. Dank der vielen Informationen über die BewohnerInnen der Viertel kennen die Colorados die Bedürfnisse und Notlagen der betreffenden Familien und beginnen Versprechen und Angebote zu machen, wenn sie „richtig“ wählen. Außerdem gibt es im Wahlregister zahlreiche Verstorbene. Von den 400 Toten einer Brandkatastrophe im Supermarkt Ykua Bolaños 2004 dürfen 39 noch immer wählen.
Am Wahltag schließlich stehen die Colorados mit ihren Geldscheinen vor den Wahllokalen und kaufen ganz offen Stimmen. In einem unteren Mittelklasseviertel in Asunción kostet eine Stimme etwa drei Dollar. Darüber ist am Wahltag auch die Präsenz von BeobachterInnen an den Auszählungstischen einschüchternd. Viele oppositionelle Stimmen werden von anwesenden Colorados einfach als ungültig erklärt.
Dank dieser Betrügereien könnte es Blanca Ovelar doch noch schaffen, Fernando Lugo zu überrunden. Angeblich gibt es Pläne, die zeigen, dass Kräfte von Polizei und Militär massiv zusammengezogen werden, um Proteste gegen Wahlfälschungen zu unterdrücken. Einige ParaguayerInnen beginnen schon, vor dem 20. April einen größeren Lebensmittelvorrat anzulegen.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren