Hauptsache, das Essen verdirbt nicht
Dreitägiger Stromausfall legt das öffentliche Leben auf Kuba lahm
Seit Ende Oktober geht das Leben auf Kuba wieder seinen gewohnten Gang. In die Jahre gekommene Chevrolets und Ladas tuckern über die Straßen Havannas, die Menschen gehen ihrem Tagwerk nach, Schlangen an den Obst- und Gemüseständen, Bars und Restaurants sind gut besucht. Die wichtigste Nachricht aber ist: Es gibt Strom. Hier und da laufen sogar wie gewohnt die Klimaanlagen. Das war nach dem Komplettausfall des kubanischen Stromnetzes anders.
In ausgewählten Stadtbezirken gibt es weiterhin rotierende Stromabschaltungen. Waren diese angekündigten Stromabschaltungen in der Vergangenheit ein Ärgernis, sind die Bewohner*innen der Hauptstadt heute beinahe froh, wenn der Strom nur wenige Stunden am Tag weg ist. Die Furcht vor einem erneuten totalen Blackout sitzt tief.
Am späten Vormittag des 18. Oktober war es zum größten anzunehmenden Unfall (GAU) gekommen. Nachdem das wichtigste Kraftwerk „Antonio Guiteras“ in der Provinz Matanzas „unvorhergesehen“ vom Netz ging, brach die Stromversorgung der Insel komplett zusammen. Guiteras und andere noch aus Sowjetzeiten stammende Wärmekraftwerke sind für einen Großteil der Stromerzeugung im Land verantwortlich. Hinzu kommen kleinere Gaskraftwerke und dezentrale Diesel- und Heizölmotoren.
Der Komplettausfall ist im Wesentlichen auf ein Ungleichgewicht der Spannung und den daraus resultierenden Frequenzabfall zurückzuführen, hieß es vonseiten der Behörden. Im Gegensatz zu früheren Fällen waren diesmal weniger Brennstoffe verfügbar, erklärte der für das Stromnetz zuständige Direktor des Energieministeriums, Lázaro Guerra Hernández. Erst nach drei Tagen und mehreren Anläufen konnte das landesweite Stromnetz wiederhergestellt werden.
„Es ist verteufelt. Uns bleibt auch nichts erspart“, sagt Eduardo, ein Handwerker aus Havannas zentralem Stadtteil Centro. „Mehr als 70 Stunden waren wir ohne Strom.“ In den sozialen Netzwerken machten viele mit wüsten Kommentaren ihrem Unmut Luft, andere reagierten mit Galgenhumor. In den Abendstunden war mancherorts Kochtopf-Schlagen zu hören – als Protest gegen den tagelangen Stromausfall. Zu größeren Protesten aber kam es nicht.
„Viele meiner Nachbarn haben sich aufgeregt“, sagt Eduardo. „Ich habe ihnen gesagt: Um die ersten Kraftwerke wieder zu starten, brauchst Du Strom. Kuba aber ist eine Insel. Woher also den Strom nehmen? Die Experten haben Tag und Nacht gearbeitet, um das Netz wiederherzustellen. Drei Tage – das war recht schnell.“ Aber lang genug, um Essen verderben zu lassen. Sie habe ihren Kühlschrank immer nur einen Spaltbreit geöffnet, erzählt die Rentnerin Mercedes, damit er kühl bleibe. Einige ihrer Nachbarn aber hätten viel Essen wegwerfen müssen, sagt sie. Lázaro berichtet Ähnliches. Er ist aus der westlichen Provinz Pinar del Río nach Havanna gekommen, um Haushaltsartikel einzukaufen, die er daheim mit kleinem Gewinn weiterverkauft. „Die größte Sorge der Leute war, dass das Essen verdirbt.“
Außerhalb Havannas sind sie längere Stromausfälle gewohnt, so makaber das klingt. Denn Kubas Probleme mit der Stromversorgung haben sich über die Sommermonate erneut verschärft. Zuletzt konnte nur noch etwas mehr als die Hälfte des benötigten Stroms erzeugt werden. Die Folge: bis zu 20 Stunden lange Stromausfälle in einigen Landesteilen. In Pinar del Río 5-6 Stunden täglich, erzählt Lázaro, anders als in Havanna aber unangekündigt. „Manchmal am Morgen, manchmal am Abend.“ Er selbst hat erst vor wenigen Wochen einen kleinen Generator gekauft. Damit hält er zumindest die Gefriertruhe am Laufen.
Mangel an der Infrastruktur
Für Expert*innen kam der Totalausfall des Netzes nicht überraschend: „Nach dem, was wir gesehen haben, war ein größeres Problem praktisch nur eine Frage der Zeit“, so der kubanische Ökonom Ricardo Torres von der American University in Washington. „Die Verschlechterung des Elektrizitätssystems ist schon seit Jahren offensichtlich. Hier gibt es grundlegende Probleme. Einerseits geht es der Wirtschaft so schlecht, dass nicht genug Devisen erwirtschaftet werden, um den notwendigen Brennstoff zu kaufen. Andererseits wurde zu wenig in den Sektor investiert, und das fordert seinen Tribut.“ Der Komplettausfall geschah nur wenige Stunden nach Ausrufung des „Energienotstands“ durch die Regierung. Premierminister Manuel Marrero Cruz nannte im Fernsehen den Brennstoffmangel als wichtigsten Faktor für das Energiedefizit. Hinzu kämen der Zustand der Infrastruktur und der Anstieg der Nachfrage.
In den Wochen zuvor war bereits Kubas Energieminister Vicente de la O Levy in einer TV-Sondersendung aufgetreten. Es fehle an Mitteln für Wartung und Investitionen sowie für die Beschaffung von Brennstoff. Partner wie Venezuela, Russland oder Mexiko haben ihre Lieferungen reduziert. Ein Großteil der Brennstoffe und Ersatzteile muss teuer auf dem Weltmarkt eingekauft werden – für das notorisch klamme Kuba nur schwer zu stemmen, zumal der Devisenbringer Tourismus nach der Corona-Pandemie noch nicht wieder recht in Gang kommen will. Torres dagegen verweist auf den Zustand der bestehenden Infrastruktur: „Ein überzentralisiertes System, veraltete Kraftwerke, anfällige Übertragungs- und Verteilungsleitungen und ein bankrottes Versorgungsunternehmen, das nicht in Wartung, Reparaturen und Modernisierungen investiert hat.“
Mittel- und langfristig setzt Kuba auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Laut Plänen der Regierung soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Energiematrix Kubas bis 2030 von derzeit fünf auf 37 Prozent und danach schrittweise auf 100 Prozent ausgebaut werden. Aber auch eine solche Energiewende kostet viel Geld und kommt bislang nicht so recht voran.
Regierung sieht Hauptursache der Krise in US-Blockade
Die kubanische Regierung sieht in der „Verschärfung des US-Wirtschaftskriegs und der finanziellen und energetischen Verfolgung“ durch die US-Blockade die Hauptursache für die Energiekrise auf der Insel. Kubas Listung als „terrorunterstützender Staat“ durch die US-Regierung macht internationale Finanztransaktionen für das Land nahezu unmöglich, beispielsweise um bitter benötigte Brennstoffe zu erwerben. In ihrem jährlichen Blockadebericht beziffert Kubas Regierung die materiellen Schäden durch die US-Sanktionen vom 1. März 2023 bis zum 29. Februar dieses Jahres auf 5,06 Milliarden US-Dollar.
Am 30. Oktober stimmte in der UN-Generalversammlung wieder einmal die überwältigende Mehrheit der Staaten für die „Notwendigkeit, die von den Vereinigten Staaten gegen Kuba verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade zu beenden“. 187 Staaten unterstützten die von Kuba eingebrachte Resolution, die USA und Israel stimmten dagegen, Moldawien enthielt sich. Die praktischen Auswirkungen der Abstimmung tendieren gegen null. „Hoffentlich einigen sich die Regierungen“, sagt Mercedes, „denn die, die leiden, sind wir einfachen Leute.“