Hauptsache populär
Wie Alan García in die Geschichtsbücher möchte
Ausgerechnet am 8. März, dem Internationalen Frauentag, machte das führende peruanische Nachrichtenmagazin Caretas mit leicht bekleideten Frauen auf. Allerdings waren nicht nur diese – es handelte sich um Tänzerinnen in einem brasilianischen Sambalokal – auf den unscharfen Amateurfotos zu sehen. Im Mittelpunkt befanden sich zwei Herren, Javier Velásquez Quesquén und José Vega, Kongressabgeordnete der Regierungspartei APRA. Beide hatten sich offensichtlich dazu entschlossen, einen Abend ihres offiziellen Brasilienbesuches dazu zu nutzen, einen draufzumachen.
Wenn eine solche Geschichte, so wie Anfang März geschehen, zum Aufreger der Woche wird, legt das zwei Schlussfolgerungen nahe. Zum einen nutzt Caretas schlicht einen populistischen Reflex. Volkes Meinung fühlt sich wieder einmal bestätigt: Politiker sind raffgierig, faul und machen sich auf Kosten des Volkes ein gutes Leben. Zum zweiten, so meint man, kann in der Politik sonst nicht allzu viel los sein.
Die Wirtschaft boomt
Jedoch gibt es selbstverständlich wichtige, brennende Themen in der peruanischen Politik. Und doch ist der letztgenannte Eindruck nicht ganz falsch. Die ersten sieben Monate der Regierung Alan García waren seltsam unspektakulär. Eigentlich sollte eine Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit die nötigen unpopulären Grausamkeiten hinter sich bringen, um dann die eigene Popularität in den folgenden Jahren Stück für Stück bis zur nächsten Wahl wieder aufzubauen. Aber García hat sich für einen anderen Weg entschieden. Möglicherweise unter dem Eindruck der dauerhaft niedrigen Popularitätswerte seines Vorgängers Alejandro Toledo setzt er bislang mit Erfolg alles daran, eben diese Werte hoch zu halten.
Zweifellos helfen dem Präsidenten dabei die ökonomischen Rahmendaten. Die Wirtschaft befindet sich im Aufwind, die Exporterlöse sprudeln dank hoher Rohstoffpreise auf den Weltmärkten. Die Inflation ist minimal und im Alltag praktisch gar nicht zu spüren. Alan García wird nichts tun, was diese wirtschaftliche Dynamik gefährden könnte. Gegenüber den peruanischen Unternehmerinnen und Unternehmern ebenso wie gegenüber ausländischen Investoren ist die Regierung ausgesprochen versöhnlich. Dabei dürfen dem Präsidenten durchaus persönliche Motive unterstellt werden: Fast 20 Jahre lang war der Name Alan García im öffentlichen Bewusstsein assoziiert mit Hyperinflation und internationaler Isolierung des Landes. Wenn García in den Geschichtsbüchern als erfolgreicher Präsident erscheinen möchte, dann muss er seine zweite Amtszeit wirtschaftspolitisch mit vorzeigbaren Daten beenden – alles andere würde einem völligen Scheitern gleich kommen.
Todesstrafe für Kinderschänder
Allein das reicht allerdings nicht für eine hohe Popularität, schließlich halfen seinerzeit die positiven Wirtschaftsdaten auch Toledo nicht weiter. García, ein Großmeister der politischen Inszenierung, brennt daher immer wieder populistische Feuerwerke ab. Den pyromanischen Höhepunkt lieferte das Thema Todesstrafe. Schon bald nach Amtsantritt ging der Präsident mit der Forderung nach Todesstrafe für Kinderschänder auf den politischen Markt und ließ sich monatelang nicht davon abbringen. Das Volk war begeistert, derartige Kopf-ab-Parolen kommen gut an. Kritik von liberalen Intellektuellen aus der Hauptstadt Lima ist García herzlich egal, ebenso alle Warnungen, Peru drohe wiederum eine internationale Isolierung: Hat sich das Land doch längst vertraglich zur Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards verpflichtet.
Viel spricht dafür, dass García die Forderung nach der Todesstrafe wichtiger ist als deren Durchsetzung. Zwar würde es der APRA-Regierung sicherlich kurzfristig entgegenkommen, nicht mehr an die entsprechenden interamerikanischen Abkommen gebunden zu sein. So zum Beispiel bereitet der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica der peruanischen Regierung Kopfzerbrechen. Dort wurden und werden mehrere Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Peru behandelt. Andererseits gehört zum Bild eines erfolgreichen Staatsmannes für die Geschichtsbücher auch, Peru als anerkanntes Mitglied der Staatengemeinschaft zu hinterlassen. Warum sollte sich Alan García mit dem Tod von ein paar Sexualstraftätern belasten, wenn allein das Reden von der Todesstrafe schon seinen Zweck zur Sicherung von Popularität erfüllt? In der Kampagne war die Schuldzuweisung für ihr Scheitern bereits eingebaut: der Kongress, die höchsten Instanzen der Justiz, all diejenigen, die ohnehin keinen besonders guten Ruf in der Öffentlichkeit haben, fanden sich plötzlich in der Rolle wieder, angeblich Vergewaltiger von Kindern in Schutz zu nehmen.
Kampagne gegen Menschenrechtlerinnen
An anderer Stelle dagegen geht es zum Thema Menschenrechte zur Sache. Eine regelrechte Kampagne gegen Menschenrechtsorganisationen macht diesen seit Monaten das Leben schwer, personifiziert in Vizepräsident Luis Giampietri, einem Militär, selbst schwer belastet wegen seiner verantwortlichen Rolle beim Massaker auf der Gefängnisinsel El Frontón im Jahr 1986. Unterstützt von mehreren drittklassigen Zeitungen werden die immer gleichen Vorwürfe lanciert: Menschenrechtsfunktionäre füllten sich selber die Taschen mit internationalen Geldern, die Menschenrechtsszene greife einseitig nur Militärs und Polizei an und würdige nicht deren Opfer im Kampf gegen den Terrorismus, Menschenrechtler seien dafür verantwortlich, dass Terroristen vorzeitig freigelassen worden seien. Insbesondere geht es in dieser Kampagne darum, die Arbeit der staatlichen „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“ nachträglich zu diskreditieren, die von 2001 bis 2003 arbeitete und eine neunbändige Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen von 1980 bis 2000 – verbunden mit politischen Empfehlungen – hinterlassen hat.
Derartige Anwürfe sind populär. Tatsächlich befinden sich diejenigen, die auf die Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheitskommission bestehen, in einer gesellschaftlichen Minderheitsposition. Die meisten Peruaner und Peruanerinnen ziehen es vor, nicht mehr über die dunkle Vergangenheit der Gewalt und über deren Folgen zu sprechen. Es sei denn, die Angst wird mobilisiert, Sendero Luminoso könne wieder neu aufkommen. Die genannte Kampagne appelliert an beides: An den Wunsch nach „Schwamm drüber“ und an die Angst vor der Neuauflage. Auf der Strecke bleibt dabei schnell der Rechtsstaat.
Das Phantom von Santiago de Chile
Einige tausend Kilometer südlich von Lima, in Santiago de Chile, sitzt ein Phantom, das dem peruanischen Präsidenten großes Kopfzerbrechen bereitet: Alberto Fujimori. Der autoritäre Ex-Präsident, der Peru von 1990 bis 2000 regiert hatte, war nach langen Jahren in Japan – er verfügt über die doppelte Staatsbürgerschaft – im November 2005 nach Chile geflogen mit der offenkundigen Absicht, der peruanischen Politik wieder näher zu sein und möglicherweise ein Comeback vorzubereiten. Die chilenischen Behörden nahmen ihn fest und erteilten ihm ein Ausreiseverbot aus Chile, während die Regierung unter Garcías Amtsvorgänger Toledo das Auslieferungsverfahren in die Wege leitete. Dieses Verfahren ist nach wie vor anhängig.
Das Problem hat für García mehrere Dimensionen. Beide, García und Fujimori haben die Belastung durch Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit gemeinsam. Das sorgt für ein gemeinsames politisches Interesse daran, die Möglichkeiten der juristischen Verfolgung zu beschränken. Zum zweiten ist Fujimori in Peru immer noch populär, vor allem auf dem Land, war er es doch, der konkrete Fortschritte in die Dörfer brachte: Telefon, Fernsehen, Internet. Sich in aller Deutlichkeit gegen Fujimori zu positionieren, stellt ein Popularitätsrisiko dar. Außerdem geht es um politische Mehrheiten. Alan Garcías APRA hat keine parlamentarische Mehrheit. Es gilt als offenes Geheimnis, dass eine stillschweigende Allianz zwischen APRA und Fujimoristen besteht. Schließlich kann García ebenso wie andere politische Kräfte jenseits des Fujimorismus kein Interesse daran haben, dass Fujimori tatsächlich nach Peru zurückkehrt, denn er wäre zwangsläufig als politisches Schwergewicht wieder präsent.
Der Königsweg wäre, wenn Fujimori zurück nach Japan kehrt. In Peru wird Kritik laut, das Auslieferungsverfahren werde von der Regierung García nur noch lau betrieben. Soll der chilenischen Regierung das Signal gegeben werden, dass man Fujimori eigentlich in Peru gar nicht will? Die japanische Seite spricht indessen von einem „Sonderfall“, man habe noch nicht entschieden, wie man vorgehen wolle, sollte Fujimori sich an die japanische Botschaft in Santiago wenden. Im Regierungspalast in Lima jedenfalls würde man wohl aufatmen. Die chilenische Justiz wird das letzte Wort zur Auslieferung haben.
Nirgends ein Hauch von Opposition
Von einer organisierten, schlagkräftigen Opposition gegen die Regierung García ist weit und breit nichts zu sehen. Die peruanische Rechte leckt ihre Wunden, nachdem die weithin respektierte Spitzenkandidatin Lourdes Flores Nano zum zweiten Mal nach 2001 knapp von Alan García daran gehindert worden ist, in die Stichwahl um die Präsidentschaft einzuziehen. Für Flores Nano geht es erst einmal darum, ihre Führungsrolle zu bekräftigen. Mit Luis Castañeda, dem gerade wiedergewählten Bürgermeister von Lima, hat sie einen gewichtigen Konkurrenten erhalten.
Überraschend ist, wie schnell der Niedergang des Shooting Star der letzten Präsidentschaftswahl, Ollanta Humala, vonstatten ging. Humala hatte sich als Volkstribun und Anti-Politiker inszeniert, Hugo Chávez unterstützte ihn lautstark aus Venezuela. Den ersten Wahlgang hatte er deutlich gewonnen. Nur das Wahlverhalten der Konservativen hinderte ihn am Schritt in die Präsidentschaft. Diese wählten in der Stichwahl mit zusammengebissenen Zähnen Alan García als kleineres Übel und hielten sich beim Kreuzchen machen für García zudem wohl wie Mario Vargas Llosa die Nase zu.
Inzwischen ist Humalas Kongressfraktion zerstritten, wichtige politische Partner haben ihn verlassen, seine Führungsrolle wird deutlich in Frage gestellt. Politische Präsenz zeigt Humala gelegentlich mit dem einen oder anderen Presseinterview. Der entscheidende Schlag war möglicherweise nicht die Niederlage bei der Präsidentschaftswahl, sondern diejenige bei den Kommunal- und Regionalwahlen im November 2006. Noch im August 2006 galt es als ausgemachte Sache, dass die Humalisten in der Sierra, in den Departements der Anden abräumen würden. Die Folge wäre ein starkes politisches Gegengewicht aus den Regionen gegenüber der Zentralregierung unter Alan García gewesen. Aber noch vor den Regionalwahlen spaltete sich das Humala-Lager, und im Ergebnis der Wahl steht ein Flickenteppich von unabhängigen Wahlsiegern, die nur regionale Bedeutung haben.
Es gibt keine relevante politische Kraft, die gut organisiert die Oppositionsrolle ausfüllen würde – Alan García kann es nur Recht sein. Er kann sich seinen Lieblingsthemen widmen: Grosse Infrastrukturprojekte, neue Exportprodukte allerortens Unappetitliche politische Nebenschauplätze sind nur von Minderheitsinteresse, das Peru des Alan García schaut in eine Zukunft voller blühender Landschaften. Ein Bild für die Geschichtsbücher.