Historische Chance
„Nach Jahrzehnten von faschistischer Diktatur und ARENA-Herrschaft können wir nun endlich aufatmen“
Schubladendenken lehnt er ab. Mauricio Funes, Ex-Journalist, ist erster linker Präsident von El Salvador. Er möchte sich nicht festlegen, ob sich seine Regierung eher am politischen Kurs von Hugo Chávez und den mit ihm verbündeten Staaten oder den sozialdemokratischen Regierungschefs von Brasilien oder Chile orientiert. „Ich werde oft gefragt, ob ich ein Linker ‚light‘ sei oder doch eher die fleischfressende Linke vertrete. Ich würde sagen, dass ich weder das Eine noch das Andere bin. Es geht bei meiner Regierung nicht um links oder rechts, sondern um ein Programm, das El Salvador nach vorne bringt“, sagte Funes am Rande des Treffens der mittelamerikanischen Präsidenten mit dem US-Vize Joe Biden am 30. März in Costa Rica gegenüber JournalistInnen. Als gewählter Präsident begleitete Funes den amtierenden Antonio Saca zum Gipfel in San José, während die Präsidenten der ALBA-Staaten Nicaragua und Honduras nur niederrangige Vertreter entsandt hatten.
Bei dem Treffen überraschte er mit seinem Schulterschluß mit Costa Ricas konservativem Präsidenten Oscar Árias. Auch Kritik am CAFTA-Freihandelsabkommen zwischen den USA, Zentralamerika und der Domikanischen Republik äußerte er nicht. Obwohl CAFTA als regionale Umsetzungsagenda von George Bushs neoliberaler amerikanischen Freihandelspolitik für Lateinamerika gilt und von Funes‘ Partei Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí FMLN bekämpft wurde. Diesen Widerstand relativierte er in San José, abgelehnt werde eher die Art und Weise, wie CAFTA verhandelt wurde. Eine Alternative dazu sehe er nicht.
Bereits im Wahlkampf hatte Funes klar gemacht, dass er eine Regierung der „nationale Einheit“ anstrebe mit Vertretern der salvadorianischen Bourgeoisie und sein Wahlprogramm trug sogar eher die Handschrift einer bürgerlichen Partei als einer sozialdemokratischen. Dies ist Lichtjahre vom marxistischen Anspruch der Ex-Guerilla FMLN entfernt. Kann Funes ernsthaft auf Unterstützung aus El Salvadors Oberschicht hoffen und lässt sich die Krise des Kapitalismus mit bürgerlicher Politik zügeln? Die Mehrheit der kaum mehr als ein Dutzend herrschenden Familien in El Salvador setzt darauf, dass Funes damit scheitert und seine Wähler enttäuscht.
Das ist ein mögliches Szenario. Jetzt sind die sozialen Bewegungen in El Salvador und Zentralamerika aber erst einmal in der Offensive, denn der Sieg über die jahrzehntelange bleierne Vorherrschaft der faschistischen Partei Nationalistische Republikanische Allianz ARENA hat ihr Selbstbewusstsein gestärkt.
Ein bekanntes Phänomen in El Salvador ist, dass auch die Toten mitwählen.
Nach offiziellen Zahlen gewann Mauricio Funes die Präsidentschaftswahlen am 15. März mit knapp 70.000 Stimmen Vorsprung (gut 50 Prozent) vor dem ehemaligen Innenminister und ARENA-Hardliner Rodrigo Ávila. Nicht nur FMLN-AnhängerInnen gehen davon aus, dass der Vorsprung des linken Kandidaten in Wirklichkeit weitaus größer ist. Internationale WahlbeobachterInnen von EU und Organisationen Amerikanischer Staaten wollen zwar kaum Unregelmäßigkeiten bemerkt haben, aber was zahlreiche, von kleineren Organisationen entsandte BeobachterInnen zu berichten haben, ist haarsträubend. „FMLN-Sympathisanten wurden eingeschüchtert und es gab sogar einige politische Morde, potentiellen Links-Wählern wurde Angst vor Arbeitsplatzverlust gemacht, und es gab Wahlbetrug im Vorfeld“, berichtet die in der Schweiz lebende Salvadorianerin Anita Cristina Escher, die als internationale Wahlbeobachterin teilgenommen hat. So basiert das Wahlregister nicht auf dem Wohnortprinzip, sondern einem Schlüssel, der auf dem Nachnamen der Wahlperson basiert. Wer wählen wollte, der musste weite Wege auf sich nehmen. ARENA investierte viel Geld in ein pompös aufgezogenes, kostenloses Taxinetzwerk für ihre AnhängerInnen.
Auch sonst zogen die Ultrarechten fast alle Register des Wahlbetrugs, mit denen sie ihre Herrschaft in den vergangenen 20 Jahren gesichert hatten. Zum Beispiel organisierten die Rechten Bustransporte und gefälschte Dokumenten für prekär Beschäftigte aus Nicaragua, Honduras und Guatemala. Diese sollten illegal für ARENA abstimmen und bekamen dafür eine Handvoll Dollar. Aber dieses Mal stellte sich den WahlbetrügerInnen eine selbstorganisierte Öffentlichkeit entgegen, wie man es seit Ende des Bürgerkrieges 1992 nicht erlebt hatte. Zum Beispiel organisierten die BewohnerInnen von Guarjila (Chalatenango), einer Gemeinde rund 25 km von der hondurianischen Grenze entfernt, Blockaden. Diese waren erfolgreich, auch wenn ihnen einige internationale WahlbeobachterInnen zum Opfer fielen, die nicht nach El Salvador einreisen konnten.
Die AktivistInnen organisierten zudem die Ausstrahlung von Radiojingles über einige Lokalradios in der Grenzregion. In diesen wiesen sie die HondurianerInnen auf ihre selbstorganisierten Grenzkontrollen hin und riefen dazu auf, sich nicht am Wahlbetrug zu beteiligen. Trotzdem schafften es die Cheflogistiker des Wahlbetruges ganze Busladungen von gekauften ARENA-WählerInnen in die Hauptstadt zu karren. Aber auch hier wurden einige enttarnt.
Ein bekanntes Phänomen in El Salvador ist, dass auch die Toten mitwählen. Internationale WahlbeobachterInnen berichteten von zahllosen Beschwerden von Familienmitglieder, die ihre verblichenen Ahnen im Wählerverzeichnis entdeckten. Auch das Grundprinzip der geheimen Wahl wurde nicht respektiert. So traten WählerInnen der ultrarechten ARENA aus der Wahlkabine und hielten ihren Stimmzettel offen in die Höhe. Viele WählerInnen versuchten zudem, ihren Stimmzettel mit dem Handy zu fotografieren. „Dahinter steckt die Angstkampagne, die ARENA vom Zaun gebrochen hat. Wie in anderen Fällen begann der Betrug lange vor dem Wahlgang. Zum Beispiel, indem Unternehmer ihren Arbeitern mit Kündigung drohten, sollten sie nicht für die Rechte stimmen. Diese Arbeiter wurden mehr oder weniger genötigt, am Montag nach der Wahl ein Handyfoto des ausgefüllten Wahlzettels vorzulegen“, berichtete der costaricanische Wahlbeobachter José Maria Villalta. Das vom ehemaligen ARENA-Vorstand Walter Araujo geleitet Oberste Wahlgericht TSE schritt dagegen nicht ein. „Die Vertreter des Wahlgerichts stellen sich auf den absurden Standpunkt, dass dem Wahlgeheimnis durch das Ankreuzen in der Wahlkabine Genüge getan sei. Ansonsten könne jeder Wähler mit seinem Stimmzettel machen, was er will“, berichtet Villalta.
Kein Anlass zur Freude sind indes die aktuellen Wirtschaftsdaten. Funes erbt von ARENA ein Wirtschaftschaos.
Der gesamte Staatsapparat hat für ARENA Wahlkampf betrieben; für diejenige Partei, die von den Gründern der Todesschwadrone aus der Taufe gehoben wurde und 20 Jahre lang regierte. Das ist den SalvadorianerInnen klar, und deshalb trauen zwei Drittel dem Wahlgericht nicht.
Teil der Maschinerie waren auch die Massenmedien. Es gab nicht eine Tageszeitung oder einen Fernsehsender, der nicht bis zur letzten Minute zur Wahl von ARENA aufgerufen hätte. Den späteren Wahlsieger Mauricio Funes brachten sie dabei in Zusammenhang mit islamistischen Terroristen. Politisch wurde er ansonsten in die Nähe von Fidel Castro und Hugo Chávez gedrängt, am dreistesten war die wenige Tage vor der Wahl verbreitete Lüge, auf Funes Privatkonto seien zwei Millionen US-Dollar aus Caracas aufgelaufen.
Auch auf parteitaktischer Ebene hatte ARENA alles getan, um einen Sieg des FMLN-Kandidaten zu verhindern. Zum ersten Mal hatten alle anderen rechten Parteien ihre eigenen Präsidentschaftskandidaten zurück gezogen und sich hinter den ARENA-Kandidaten gescharrt. Der Ex-Kandidat der konservativen Partei der Nationalen Versöhnung PCN, Tomás Chévez, wurde dann aus seiner Partei ausgeschlossen, nachdem er sich der Parteiführung widersetzt hatte. Wie einige einige Bürgermeister der Christdemokraten PDC und eine Minderheitsfraktion der rechts-sozialdemokratischen Demokratisch-Revolutionären Front FDR hatte Chévez zur Wahl von Funes aufgerufen.
Funes Wahlsieg feierten die SalvadorianerInnen mit großer Begeisterung. Die Straßen der Hauptstadt San Salvador waren in der Wahlnacht ein einziges rotes Fahnenmeer. Zehntausende strömten aber nicht nur aus Freude ins Zentrum, sie hatten auch Angst vor drohendem Wahlbetrug. Denn das Oberste Wahlgericht TSE hatte zwar verkündet, dass Funes mit etwa 51 Prozent der Stimmen nach Auszählung von über 90 Prozent der Stimmen führte, ein Sieger sollte aber erst 48 Stunden später ernannt werden. Eine derartige Verzögerung eines offiziellen Ergebnisses hatte es bei Wahlen in El Salvador noch nie gegeben. Der diesbezügliche Kommentar des TSE-Chefs und ARENA-Mannes Walter Araujo weckte Sorge unter den FMLN-Wählern: „Das kann jeder für sich selbst interpretieren.“
Die spontane Massenmobilisierung ging unter die Haut, die Regierenden wurden von zehntausenden Demonstrierenden vollkommen überrascht. Weder Polizei noch Militär stellte sich ihnen in den Weg, als man – linke Kampflieder singend und rote Fahnen schwingend – das Zentrum vom Reichenviertel El Escalon besetzte. Angesichts dieser Mobilisierung erkannte der ARENA-Kandidat Rodrigo Ávila seine Niederlage an. Die Siegesfeier ging bis in die frühen Morgenstunden. „Nach Jahrzehnten von faschistischer Diktatur und ARENA-Herrschaft können wir nun endlich aufatmen“, sagte ein Unterstützer von Mauricio Funes.
Kein Anlass zur Freude sind indes die aktuellen Wirtschaftsdaten. Funes erbt von ARENA ein Wirtschaftschaos. Die Exporte in die USA sind um ein Fünftel gefallen, die ohnehin mageren Steuereinnahmen gingen im vergangenen Jahr um 25 Prozent zurück und nach Schätzungen der Interamerikanischen Entwicklungsbank BID werden in diesem Jahr die Auslandsüberweisungen von ArbeitsmigrantInnen im Norden bis zu 13 Prozent zurück gehen. Diese bedeuten 18 Prozent von El Salvadors Bruttoinlandsprodukt. Dies ist eine schwere Hypothek. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch in El Salvador Reichtum, der schreiend ungerecht verteilt ist. Ob sich die Regierung Funes am Ende mit den 14 mächtigen Familien des Landes anlegt und eine Politik im Interesse der Mehrheit umsetzt, liegt nicht zuletzt daran, ob es der sozialen Bewegung und der Basis der FMLN gelingt, genügend Druck auszuüben.