Literatur | Nummer 249 - März 1995

Hörbarer Aufstand

Neues Guatemalabuch besticht durch Tiefgang

Zur Geschichte Guatemalas der 80er und frühen 90er Jahre hat Albert Sterr ein Buch geschrieben, das umfassend und nicht nur für Fachleute Auskunft geben will. Es han­delt sich um eine Zeit, die in Guatemala von brutalen Militärregimes geprägt ist, von Toten, Verschwundenen, Vertriebenen, aber auch von einer sich immer offener und lauter artikulierenden Zahl unterdrückter, bedrohter, armer Menschen. Auch die ZeitungsleserIn­nen, die sich nicht speziell mit dem Land beschäftigen, werden sich an manche Einzel­heiten erinnern wie zum Beispiel an den unten geschilderten Skandal bundesdeutscher “Entwicklungshilfe”. Das Buch hilft, Zusammenhänge zu erkennen und sich relativ aktuell mit der Lage im Land vertraut zu machen.

Valentin Schönherr

Guatemala geriet 1986 in die Schlag­zeilen. Nach langer Militärherrschaft wurde der Christdemokrat Vinicio Cerezo in formal freien Wahlen zum Präsidenten gewählt. Die bundesdeutsche Regierung meinte, dieses Ereignis ausgerechnet durch Lieferung von Polizeifahrzeugen und -ausrüstung unterstützen zu müssen – zur Stärkung demokratischer Rechtsstaat­lichkeit.
Rufen wir uns die Ereignisse noch ein­mal in Erinnerung: Als die Militärs von 1978-1983 in Guatemala eine “Politik der verbrannten Erde” praktizierten, mußte die BRD wie viele andere Geberländer ihre finanzielle Unterstützung herunterschrau­ben, wobei bemerkenswert ist, daß sie auch unter einer SPD/FDP-Regierung nie ganz eingestellt wurde. Der “Nationale Plan für Sicherheit und Entwicklung”, der 1982 vom Generalstab der guatemalteki­schen Armee vorgelegt wurde, hatte eine gewisse Änderung der politischen Mittel zur Folge: Die Herrschaft von Militär und Großgrundbesitzern sollte nun durch ge­zielte militärische Schläge gegen die Guerrilla und durch eine breite Anti-Guerrilla-Kampagne gesichert werden, wozu ganze Dörfer zwangsweise “umerzogen” und in sogenannten Zivilpa­trouillen zu Handlangern des Militärs gemacht wurden. In diesen Plan paßte es auch, scheindemokratische Institutionen einzurichten, um gegenüber den interna­tionalen Geldgebern glaubwürdiger zu er­scheinen.
Die Leichtgläubigkeit der Bundesregie­rung jedoch war erschreckend. Das offi­zielle Konzept sah vor, die vom Präsi­denten kontrollierte Nationalpolizei als Gegengewicht zum Militär zu stärken – “zu einer wirksamen Verbrechensbekämp­fung im Interesse der Bevölkerung und zur Verbesserung der Menschenrechts­lage”, wie der Ministerialdirigent im BMZ Schweiger am 22.September 1986 schrieb. Einen Monat später hingegen war im Spiegel zu lesen, daß seit Cerezos Amtsbeginn (14. Januar 1986) bis August 551 Menschen ermordet und 198 ver­schleppt worden seien und nach Schät­zungen von Menschenrechtsorganisatio­nen ein Drittel davon “auf das Konto der staatlichen Sicherheitskräfte gehen und politisch motiviert sind.”
Dennoch übergab der deutsche Bot­schafter in Guatemala am 11. Februar 1987 120 Fahrzeuge und über 140 elek­tronische Geräte an die Nationalpolizei.
Die Hoffnungen, die in den gewählten Präsidenten gesetzt wurden, waren ver­geblich: Die Morde und schweren Menschenrechtsverletzungen ließen nicht nach, und es war offensichtlich, daß staat­liche Stellen in Guatemala einen Teil der Verbrechen zu verantworten hatten, Nach­forschungen über die Täter verhinderten und die 1985 vom Militär ausgesprochene Selbst­amnestie nicht antasteten. Im Jahre 1988 verschärfte sich die Lage, als sich Cerezo nach dem gescheiterten Militär­putsch im Mai dazu gezwungen sah, die Nationalpolizei dem Militär einzugliedern. Daß die Polizei im Sinne rechtsstaatlicher Demokratie handeln würde, war späte­stens von da an nicht mehr denkbar.
Noch im Jahre 1989 wurde ein Antrag der Grünen im Bundestag bei Enthaltung der SPD(!) abgelehnt, die Polizeihilfe ein­zustellen. Aber erst als die USA ihre Zahlungen beendete, nachdem bei einem Massaker am 2.12.1990 13 Indígenas er­mordet worden waren, zahlte auch die BRD die letzte Million nicht mehr aus.
Selbstverständlich ist die deutsche Poli­zeihilfe für Guatemala nicht das zentrale Thema des Buches. Worum geht es?
Nachdem der Rowohlt-Verlag ein für Juni 1994 angekündigtes Buch zur Lage in Guatemala (bisher immer noch) nicht her­ausgebracht hat, bietet Sterrs Buch einen tiefgründigen Einblick in die jüngste Ge­schichte des Landes und behebt damit den Mangel an einer aktuellen deutschsprachi­gen Darstellung. Es kommt Sterr vor al­lem auf die politische Geschichte an. Aber neben den sauber recherchierten, in ver­ständlicher Sprache dargebotenen Fakten und Zusammenhängen ist es ein Buch, das bewegt. Der Autor hat auf seinen Reisen selbst das Land kennenlernen können, und es bestätigt sich die alte Erfahrung: Von soundso vielen Toten und Verletzten zu hören, ist schrecklich, aber doch abstrakt, also unvorstellbar. In seinen Ausmaßen wird das Leiden ahnbarer -begreifbar wohl kaum-, wenn es um den Einzelnen und die Einzelne geht. So fügt Sterr in seinen hi­storischen Bericht zwei Reportagen ein. Hat man sie gelesen, dann bekommt auch der übrige Text ein anderes Gesicht.
Darüber hinaus ist es ihm gelungen, mit wichtigen Personen Guatemalas Inter­views zu führen. Das Buch beginnt mit ei­nem Gespräch mit Rigoberta Menchú. Später sind Interviews mit den coman­dantes der drei Untergruppierungen der Guerrilla URNG eingefügt, die für mich ganz besonders aufschlußreich wa­ren, da es sich nicht um die üblichen Sta­tements handelt, sondern die Befragten, unter ihnen der Sohn des guatemalteki­schen Schriftstellers Miguel Angel Astu­rias, über ihre Herkunft und ihr Selbstver­ständnis sprechen. Bereits 1990 führte Sterr ein Interview mit dem Ex-Diktator Ríos Montt – dem im Januar 1995 frisch gewählten Parlamentspräsidenten – ; ein Blick aus anderer Perspektive also, der sehr zu denken gibt. Trotz allem Persönli­chen verfällt Albert Sterr nicht dem Kult der Betroffenheit, sondern vermag es, fundierte Informationen und Statistiken mit dem alltäglichen Besonderen zu ver­binden.
Das Buch schließt mit einer detaillier­ten Darstellung der Friedensverhandlun­gen, die bisher noch nicht abgeschlossen sind. So sind allem die sich heute mit Guatemala beschäftigen, breite Kenntnisse an die Hand gegeben, die über das Basis­wissen weit hinausgehen.
In seinem Vorwort schreibt Sterr: “(Diese Arbeit)…wendet sich nicht in er­ster Linie an ‘Guatemala-Fachleute’, son­dern richtet sich auch an diejenigen, die zum Beispiel das Land besuchen und sich vorher einen Überblick darüber verschaf­fen wollen, welche gesellschaftliche Re­alität die Maya-Ruinen und die indiani­schen Märkte umgibt.”
Wie schön wäre es, würden sich Touri­stInnen so vorbereiten.
Valentin Schönherr
Albert Sterr: Guatemala. Lautloser Aufstand im Land der Maya, Neuer ISP Verlag, Köln 1994, 290 S., 36,- DM.

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