Hoffen auf ein Wunder
Präsident Fujimori ist siegessicher, der Opposition bleibt nicht viel mehr als Zweckoptimismus
In fetten Lettern wettert die oppositionelle Tageszeitung “La República” gegen Präsident Fujimori. Einsam hängen die politischen Schlagzeilen zwischen Busen- und Revolverblättern in der abendlichen Kälte am Zeitungsstand auf der Plaza de Armas in der südostperuanischen Provinzstadt Puno. Alle anderen Tageszeitungen sind ausverkauft. “Haben Sie keine andere Zeitung?”. Die Kundin ist verärgert. “Die da ist gegen den chino, die will ich nicht.”
Fujimori scheint sich auf seine Wählerschaft verlassen zu können. Rund 40 Prozent der Wahlberechtigten sollen, so die Umfragen, sichere Fujimori-Wähler sein. Die noch nicht ganz Entschlossenen mit Fujimori-Tendenz eingerechnet, werden dem Präsidenten zwischen 45 und 53 Prozent vorausgesagt. Sein schärfster Rivale, Ex-UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar, bringt es gerade einmal auf 20 bis 22 Prozent.
Der Wahlkampf dümpelt vor sich hin. “El Perú no puede parar”, Peru kann nicht anhalten, verkündet das lächelnde Gesicht des Präsidenten von den Wahlplakaten. “Weiter so” auf perunaisch. Und damit trifft er wohl die Hoffnung der Mehrheit der Bevölkerung. In den zweieinhalb Jahren seit der Verhaftung von Sendero Luminoso-Chef Abimaél Guzmán hat man sich daran gewöhnt, wieder ohne die ständige Bedrohung durch Bombenanschläge zu leben. Auch die Zeit des wirtschaftlichen Chaos mit der Hyperinflation unter Präsident Alan García ist schon fünf Jahre her. Diese Erfolge kann sich Fujimori gutschreiben. Er ist für seine Anhänger der Garant dafür, daß die dunkle Vergangenheit nicht wiederkommt, und er vermittelt anhand von Symbolen den Eindruck, daß es aufwärts geht.
Nicht zufällig verbindet Fujimori seine Wahlkampfauftritte vorzugsweise mit der Einweihung neuer Schulen. Er weiß, daß Bildung für die Kinder besonders auf der Prioritätenliste von armen Eltern ganz oben steht. Auch wenn sich an der Armut für viele nichts geändert hat, macht sich an solchen Symbolen die Hoffnung fest, daß es langsam, Schritt für Schritt, wieder besser werden kann.
Pérez de Cuéllar – wer steht hinter ihm?
Die Opposition hat unterdessen alle Mühe, starke Argumente gegen den Präsidenten zu finden. Javier Pérez de Cuéllar verfügt zwar über ein hohes Prestige durch seine Vergangenheit als UNO-Generalsekretär, aber den 74-jährigen zum Präsidenten zum wählen, ist für viele doch noch eine andere Frage.
Auch Pérez de Cuéllar tritt als Unabhängiger an, eine unverzichtbare Voraussetzung, um in der peruanischen Politik in diesen Jahren Erfolg zu haben. Die traditionellen politischen Parteien, “die Politiker” überhaupt, sind in der öffentlichen Meinung gründlich diskreditiert. So liegen in den Umfragen denn auch alle Parteien, die früher die peruanische Politik bestimmt haben, deutlich unter fünf Prozent: sowohl die bürgerliche Acción Popular von Ex-Präsident Fernando Bellaúnde Terry, der von 1980 bis 1985 regierte, als auch die APRA von Alana García, der von 1985 bis 1990 an der Spitze des Staates stand. Nicht besser ergeht es Izquierda Unida, der “Vereinigten Linken”, die in den 80er Jahren den Kern der Opposition darstellte.
Wenn Pérez de Cuéllar auch als Unabhängiger nur wenig Leidenschaft entfachen kann, liegt das nur zum Teil an seinem distanzierten persönlichen Stil. Die “Union für Peru” (UPP), die zur Unterstützung seiner Kandidatur gegründet wurde, vermittelt den Eindruck, außer der Ablehnung von Fujimori und der Unterstützung von Pérez de Cuéllar keine eindeutige politische Linie zu haben. In der UPP haben sich aus allen politischen Richtungen diejenigen zusammengefunden, die nach dem Motto “Wenn überhaupt einer eine Chance gegen Fujimori hat, dann Pérez de Cuéllar” auf das richtige Pferd setzen wollen. Viele Politiker sind dabei, die früher in anderen Parteien waren und deren Unterstützung für den Kandidaten eher kontraproduktiv ist. Das Mißtrauen ist groß, über Pérez de Cuéllar könnten doch wieder die alten Politiker an die Macht kommen, von denen sich Fujimori so erfolgreich abgrenzt.
Die Oppostition auf der Suche nach Themen
Die Argumente, mit denen Pérez de Cuéllar verusucht, gegen Fujimori Wahlkampf zu betreiben, finden in der Öffentlichkeit nur ein begrenztes Echo. Zum einen fordert er “soziale Marktwirtschaft” für Peru. Zweifellos ist die Massenarmut das größte soziale Problem des Landes, aber die Aussagen Pérez de Cuéllars dazu bleiben vage. Slogans wie “Arbeit für alle” sind nicht glaubwürdig in einem Land, in dem es für viele Menschen zur Alltagserfahrung gehört, vor Wahlen immer wieder die gleichen Versprechen zu hören, um dann in den folgenden Jahren doch wieder ganz auf sich selbst angewiesen zu sein.
Pérez de Cuéllar muß eine Gratwanderung betreiben. Zum einen muß er Fujimori als Präsident der Massenarmut angreifen, zum anderen darf er aber keinen Zweifel daran lassen, daß er die Stabilitätspolitik Fujimoris im wesentlichen weiterführen will. Die Angst vor einer neuen Phase von Instabilität und Inflation scheint größer als die Hoffnung, durch Sozialprogramme im großen Stil könnten sich die Lebensbedingungen tatsächlich dauerhaft verbessern.
Der Ecuador-Konflikt: als Wahlkampfthema ein Flop
Der Grenzkrieg mit Ecuador schien zu einem Wahlkampfschlager für Pérez de Cuéllar zu werden. Nachdem Fujimori eher unfreiwillig in diesen Konflikt hineingeschlittert war (vgl. LN 249), beging er alle nur denkbaren Fehler. Zum Treffen der Präsidenten der Andenländer in Venezuela kurz nach Ausbruch des Konfliktes reiste er gar nicht erst an und überließ dem ecuadorianischen Präsidenten Durán Ballén das propagandistische Feld.
Kurz darauf brüskierte er Chile – immerhin einer der Garantenstaaten des Protokolls von Rio – mit der Bemerkung, Peru sei militärisch deshalb so außerordentlich stark, weil in den 60er Jahren, im Blick auf einen möglichen Krieg gegen Chile aufgerüstet worden sei. Die Aussage war vielleicht sachlich nicht falsch, das öffentliche Echo aber war verheerend. In Chile wurde besorgt kommentiert, man müsse sich vor dem Nachbarn im Norden wohl in Acht nehmen. In Ecuador konnte Durán Ballén triumphierend darauf verweisen, Peru sei eben immer schon ein kriegslüsterndes Volk gewesen. In der oppositionellen Presse wurde darüber hinaus ausführlich diskutiert, wellche taktischen und strategischen Fehler auf der militärischen Ebene gemacht wurden. Der Grenzkrieg ist für Ecuador zu einem diplomatischen und militärischen Erfolg geworden und nicht nur das: Durch geschicke Pressearbeit steht Peru international als der Aggressor da, Ecuador dagegen als Opfer.
Das Wochenmagazin Caretas, das im Wahlkampf vehement Partei für Pérez de Cuéllar ergreift, ließ es sich nicht nehmen, den Oppositionskandidaten ausführlich zu Wort kommen zu lassen. “Ich hätte einfach ein Flugzeug genommen und die vier Präsidenten der Garantenstaaten besucht, um die Verletzung des Protokolls (von Rio de Janeiro) anzuzeigen”, so Pérez de Cuéllar. Die Botschaft war deutlich: Der Staatsmann Pérez de Cuéllar mit dem ganzen Gewicht seiner inernationalen Erfahrung hätte den Konflikt diplomatisch beigelegt, Fujimori dagegen war dazu nicht fähig. Aber der Versuch, aus den peinlichen Fehlern der Regierung Fujimori Kapital für Pérez de Cuéllar zu schlagen, ist bis jetzt ins Leere gelaufen. BeobachterInnen in Lima bestätigen, daß der Verdruß über den Verlauf des Konfliktes zwar weit verbreitet ist, das Thema für die Entscheidung bei der Präsidentschaftswahl aber keine wesentliche Rolle spielt.
Nur Realos haben eine Chance
Der Wahlkampf dreht sich weiterhin um die Frage, ob für die Stabilität des Landes kein Weg an Fujimori vorbei führt, oder ob Pérez de Cuéllar doch in der Lage sein könnte, mit seinem bunt gemischten Team eine gangbare Alternative für die nächsten fünf Jahre zu bieten. Auch für viele, die keine begeisterten Anhänger Fujimoris sind, ist die viabilidad der nächsten Regierung, die reale Chance, fünf Jahre lang Politik zu betreiben, ohne sich mit internen Streitereien zu blockieren, ein starkes Argument für den amtierenden Präsidenten. Und so wird Fujimori wohl auch einige Stimmen von denen bekommen, die sich für ihn als kleineres Übel gegenüber den Risiken einer Regentschaft Pérez de Cuéllars entscheiden.
Fujimori hat die Wahl fast, aber noch nicht ganz gewonnen. Sollte er es nicht mit der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang schaffen, kommt es auf die Drei-Prozent-Gruppierungen an – je nachdem, wen der beiden Kandidaten sie bei einer Stichwahl empfehlen. Allerdings können auch sie nicht mehr, als eine Empfehlung abgeben. Durch die wie im französischen Wahlrecht vorgesehene Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kandidaten reicht es nicht, durch Koalitionspolitik eine Mehrheit zu konstruieren. Das Wahlvolk kann noch einmal zwischen zwei Persönlichkeiten entscheiden. Die Umfragen allerdings sagen Fujimori auch für diesen Fall einen großen Vorsprung voraus.
Keine Mehrheit für Fujimori im Kongreß
Koalitionspolitik wird Fujimori dagegen im Kongreß nötig haben. Seine Liste Cambio 90 – Nueva Mayoría (Wechsel 90 – Neue Mehrheit) wird aller Voraussicht nach keine Mehrheit bekommen. Die Stimmen, die Fujimori durch sein persönliches Prestige als Präsident erhält, übersetzen sich nicht automatisch in Stimmen für seine Liste.
Als sicherer Koalitionspartner gilt Renovación, die Liste des Opus-Dei-Mitgliedes Rafael Rey. Er tritt gar nicht erst als Präsidentschaftskandidat an, sondern macht Wahlkampf für den Kongreß mit dem Slogan “Garantie für einen konstruktiven Kongreß”. Reichte es zusammen mit Renovación nicht für eine Mehrheit, müßte Fujimori noch einige Zeit in Verhandlungen investieren. Nachdem er die 1993 verabschiedete neue Verfassung ganz auf sich als Präsidenten zugeschnitten hat, ist er nur begrenzt auf den Kongreß angewiesen. Doch er wird es sich in den nächsten Jahren kaum leisten können, noch einmal, wie bereits 1992, den Kongreß aufzulösen, wenn ihm dessen Entscheidungen nicht passen.
Was Meinungsumfragen wert sind
Ab 25. März dürfen bis zu den Wahlen am 9. April keine Meinungsumfragen mehr veröffentlicht werden. Ob man diese Regelung für sinnvoll hält oder nicht, sie erspart Peru hoffentlich bis zur Wahl eine Reihe von absurden Diskussionen. Die Umfragen haben in der Vergangenheit oft kraß geirrt – in diesem Punkt hat die Oppositon recht. Der völlig überraschende Wahlsieg Fujimoris gegen Maro Vargas Llosa vor fünf Jahren ist nur ein Beispiel dafür.
Allerdings trägt der Verweis auf Meinungsumfragen auch mitunter satirische Qualitäten. Beispielsweise verbreitet die Opposition erst wochenlag mit großem Aufwand, Meinungsumfragen seien überhaupt nichts wert, um sich dann als Zeichen einer Trendwende auf eine leichte Zunahme der Werte für Pérez de Cuéllar zu berufen, wie am 24. März druch UPP-Vizepräsidentschaftskandidat Guido Pennano. Es ist bezeichnend für einen Mangel an wirklichen Themen im Wahlkampf, daß Diskussionen dieser Qualität breiten Raum einnehmen können.
Kasten:
Wieder Sendero-
Führungskader verhaftet
Präsident Fujimori hat am 23. März in Pucallpa, der Hauptstadt des Departements Ucayali im östlichen Tiefland, die Verhaftung von 20 mutmaßlichen SenderistInnen bekanntgegeben. Unter den in Huancayo, Callao und Lima Verhafteten befindet sich, so der Präsident, Margie Clavo Peralta alias “Comandante Nancy”, die als Nummer zwei des “Sendero Rojo” gilt.
Sendero Rojo spaltete sich von Sendero Luminoso ab, nachdem Sendero-Chef Abimaél Guzmán im Oktober 1993 in seinen berühmten Briefen aus dem Gefängnis an Fujimori die vorläufige Einstellung der bewaffneten Aktionen angeboten hatte. Die Splittergruppe ist der letzte Teil Sendero Luminosos, der die bewaffnete Guerillatätigkeit weiterführt, allerdings weit entfernt von der militärischen Stärke, über die Sendero Luminoso noch Anfang 1992 verfügte.
Margie Clavo Peralta gehört zur Gründungsgeneration von Sendero Luminoso, die am 19. April 1980 den “bewaffneten Volkskrieg” ausrief, und hatte verschiedene Positionen inne. Sie erscheint unter anderem auf dem 1991 beschlagnahmten Video von einer Fiesta der Sendero-Spitze in einer Villa im gutbürgerlichen Viertel Chacarilla del Estanque in Lima.