Nummer 250 - April 1995 | Peru

Hoffen auf ein Wunder

Präsident Fujimori ist siegessicher, der Opposition bleibt nicht viel mehr als Zweckoptimismus

Gut zwei Wochen vor der Wahl scheint alles entschieden: Präsident Alberto Fujimori kann sich auf eine zweite Amtszeit bis zum Jahr 2000 einrichten. Der “chino”, wie Fujimori trotz seiner japanischen Herkunft nach wie vor genannt wird, könnte sogar im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit schaffen. Auch die peinlichen Fehler sei­ner Regierung im Umgang mit dem Konflikt mit Ecuador haben daran nichts geän­dert. Es sei denn, das peruanische Wahlvolk wird seiner fast schon traditionellen Unberechenbarkeit gerecht und führt alle Prognosen ad absurdum. Die Opposition hofft darauf, schließlich kam Fujimori vor fünf Jahren genau so gegen den hoch fa­vorisierten Mario Vargas Llosa an die Macht.

Ulrich Goedeking

In fetten Lettern wettert die oppositionelle Tageszeitung “La República” gegen Präsident Fu­jimori. Einsam hängen die politi­schen Schlagzeilen zwischen Busen- und Revolverblättern in der abendlichen Kälte am Zei­tungsstand auf der Plaza de Ar­mas in der südostperuanischen Provinzstadt Puno. Alle anderen Tageszeitungen sind ausverkauft. “Haben Sie keine andere Zei­tung?”. Die Kundin ist verärgert. “Die da ist gegen den chino, die will ich nicht.”
Fujimori scheint sich auf seine Wählerschaft verlassen zu können. Rund 40 Prozent der Wahlberechtigten sollen, so die Umfragen, sichere Fujimori-Wähler sein. Die noch nicht ganz Entschlossenen mit Fujimori-Tendenz eingerechnet, werden dem Präsidenten zwischen 45 und 53 Prozent vorausgesagt. Sein schärfster Rivale, Ex-UNO-Generalsekretär Pérez de Cuél­lar, bringt es gerade einmal auf 20 bis 22 Prozent.
Der Wahlkampf dümpelt vor sich hin. “El Perú no puede pa­rar”, Peru kann nicht anhalten, verkündet das lächelnde Gesicht des Präsidenten von den Wahl­plakaten. “Weiter so” auf pe­runaisch. Und damit trifft er wohl die Hoffnung der Mehrheit der Bevölkerung. In den zwei­einhalb Jahren seit der Verhaf­tung von Sendero Luminoso-Chef Abimaél Guzmán hat man sich daran gewöhnt, wieder ohne die ständige Bedrohung durch Bombenanschläge zu leben. Auch die Zeit des wirtschaftli­chen Chaos mit der Hyperinfla­tion unter Präsident Alan García ist schon fünf Jahre her. Diese Erfolge kann sich Fujimori gutschreiben. Er ist für seine Anhänger der Garant dafür, daß die dunkle Vergangenheit nicht wiederkommt, und er vermittelt anhand von Symbolen den Ein­druck, daß es aufwärts geht.
Nicht zufällig verbindet Fuji­mori seine Wahlkampfauftritte vorzugsweise mit der Einwei­hung neuer Schulen. Er weiß, daß Bildung für die Kinder be­sonders auf der Prioritätenliste von armen Eltern ganz oben steht. Auch wenn sich an der Armut für viele nichts geändert hat, macht sich an solchen Sym­bolen die Hoffnung fest, daß es langsam, Schritt für Schritt, wie­der besser werden kann.
Pérez de Cuéllar – wer steht hinter ihm?
Die Opposition hat unterdes­sen alle Mühe, starke Argumente gegen den Präsidenten zu finden. Javier Pérez de Cuéllar verfügt zwar über ein hohes Prestige durch seine Vergangenheit als UNO-Generalsekretär, aber den 74-jährigen zum Präsidenten zum wählen, ist für viele doch noch eine andere Frage.
Auch Pérez de Cuéllar tritt als Unabhängiger an, eine unver­zichtbare Voraussetzung, um in der peruanischen Politik in die­sen Jahren Erfolg zu haben. Die traditionellen politischen Par­teien, “die Politiker” überhaupt, sind in der öffentlichen Meinung gründlich diskreditiert. So liegen in den Umfragen denn auch alle Parteien, die früher die peruani­sche Politik bestimmt haben, deutlich unter fünf Prozent: sowohl die bürgerliche Acción Popular von Ex-Präsident Fern­ando Bellaúnde Terry, der von 1980 bis 1985 regierte, als auch die APRA von Alana García, der von 1985 bis 1990 an der Spitze des Staates stand. Nicht besser ergeht es Izquierda Unida, der “Vereinigten Linken”, die in den 80er Jahren den Kern der Oppo­sition darstellte.
Wenn Pérez de Cuéllar auch als Unabhängiger nur wenig Lei­denschaft entfachen kann, liegt das nur zum Teil an seinem di­stanzierten persönlichen Stil. Die “Union für Peru” (UPP), die zur Unterstützung seiner Kandidatur gegründet wurde, vermittelt den Eindruck, außer der Ablehnung von Fujimori und der Unterstüt­zung von Pérez de Cuéllar keine eindeutige politische Linie zu haben. In der UPP haben sich aus allen politischen Richtungen diejenigen zusammengefunden, die nach dem Motto “Wenn überhaupt einer eine Chance ge­gen Fujimori hat, dann Pérez de Cuéllar” auf das richtige Pferd setzen wollen. Viele Politiker sind dabei, die früher in anderen Parteien waren und deren Unter­stützung für den Kandidaten eher kontraproduktiv ist. Das Mißtrauen ist groß, über Pérez de Cuéllar könnten doch wieder die alten Politiker an die Macht kommen, von denen sich Fuji­mori so erfolgreich abgrenzt.
Die Oppostition auf der Suche nach Themen
Die Argumente, mit denen Pérez de Cuéllar verusucht, ge­gen Fujimori Wahlkampf zu be­treiben, finden in der Öffentlich­keit nur ein begrenztes Echo. Zum einen fordert er “soziale Marktwirtschaft” für Peru. Zwei­fellos ist die Massenarmut das größte soziale Problem des Lan­des, aber die Aussagen Pérez de Cuéllars dazu bleiben vage. Slogans wie “Arbeit für alle” sind nicht glaubwürdig in einem Land, in dem es für viele Men­schen zur Alltagserfahrung ge­hört, vor Wahlen immer wieder die gleichen Versprechen zu hö­ren, um dann in den folgenden Jahren doch wieder ganz auf sich selbst angewiesen zu sein.
Pérez de Cuéllar muß eine Gratwanderung betreiben. Zum einen muß er Fujimori als Präsi­dent der Massenarmut angreifen, zum anderen darf er aber keinen Zweifel daran lassen, daß er die Stabilitätspolitik Fujimoris im wesentlichen weiterführen will. Die Angst vor einer neuen Phase von Instabilität und Inflation scheint größer als die Hoffnung, durch Sozialprogramme im großen Stil könnten sich die Le­bensbedingungen tatsächlich dauerhaft verbessern.
Der Ecuador-Konflikt: als Wahlkampfthema ein Flop
Der Grenzkrieg mit Ecuador schien zu einem Wahlkampf­schlager für Pérez de Cuéllar zu werden. Nachdem Fujimori eher unfreiwillig in diesen Konflikt hineingeschlittert war (vgl. LN 249), beging er alle nur denkba­ren Fehler. Zum Treffen der Prä­sidenten der Andenländer in Ve­nezuela kurz nach Ausbruch des Konfliktes reiste er gar nicht erst an und überließ dem ecuadoria­nischen Präsidenten Durán Bal­lén das propagandistische Feld.
Kurz darauf brüskierte er Chile – immerhin einer der Ga­rantenstaaten des Protokolls von Rio – mit der Bemerkung, Peru sei militärisch deshalb so außer­ordentlich stark, weil in den 60er Jahren, im Blick auf einen mög­lichen Krieg gegen Chile aufge­rüstet worden sei. Die Aussage war vielleicht sachlich nicht falsch, das öffentliche Echo aber war verheerend. In Chile wurde besorgt kommentiert, man müsse sich vor dem Nachbarn im Nor­den wohl in Acht nehmen. In Ecuador konnte Durán Ballén triumphierend darauf verweisen, Peru sei eben immer schon ein kriegslüsterndes Volk gewesen. In der oppositionellen Presse wurde darüber hinaus ausführ­lich diskutiert, wellche takti­schen und strategischen Fehler auf der militärischen Ebene ge­macht wurden. Der Grenzkrieg ist für Ecuador zu einem diplo­matischen und militärischen Er­folg geworden und nicht nur das: Durch geschicke Pressearbeit steht Peru international als der Aggressor da, Ecuador dagegen als Opfer.
Das Wochenmagazin Caretas, das im Wahlkampf vehement Partei für Pérez de Cuéllar er­greift, ließ es sich nicht nehmen, den Oppositionskandidaten aus­führlich zu Wort kommen zu las­sen. “Ich hätte einfach ein Flug­zeug genommen und die vier Präsidenten der Garantenstaaten besucht, um die Verletzung des Protokolls (von Rio de Janeiro) anzuzeigen”, so Pérez de Cuél­lar. Die Botschaft war deutlich: Der Staatsmann Pérez de Cuéllar mit dem ganzen Gewicht seiner inernationalen Erfahrung hätte den Konflikt diplomatisch bei­gelegt, Fujimori dagegen war dazu nicht fähig. Aber der Ver­such, aus den peinlichen Fehlern der Regierung Fujimori Kapital für Pérez de Cuéllar zu schlagen, ist bis jetzt ins Leere gelaufen. BeobachterInnen in Lima bestä­tigen, daß der Verdruß über den Verlauf des Konfliktes zwar weit verbreitet ist, das Thema für die Entscheidung bei der Präsident­schaftswahl aber keine wesentli­che Rolle spielt.
Nur Realos haben eine Chance
Der Wahlkampf dreht sich weiterhin um die Frage, ob für die Stabilität des Landes kein Weg an Fujimori vorbei führt, oder ob Pérez de Cuéllar doch in der Lage sein könnte, mit seinem bunt gemischten Team eine gangbare Alternative für die nächsten fünf Jahre zu bieten. Auch für viele, die keine begei­sterten Anhänger Fujimoris sind, ist die viabilidad der nächsten Regierung, die reale Chance, fünf Jahre lang Politik zu betrei­ben, ohne sich mit internen Streitereien zu blockieren, ein starkes Argument für den amtie­renden Präsidenten. Und so wird Fujimori wohl auch einige Stimmen von denen bekommen, die sich für ihn als kleineres Übel gegenüber den Risiken ei­ner Regentschaft Pérez de Cuél­lars entscheiden.
Fujimori hat die Wahl fast, aber noch nicht ganz gewonnen. Sollte er es nicht mit der abso­luten Mehrheit im ersten Wahl­gang schaffen, kommt es auf die Drei-Prozent-Gruppierungen an – je nachdem, wen der beiden Kandidaten sie bei einer Stich­wahl empfehlen. Allerdings kön­nen auch sie nicht mehr, als eine Empfehlung abgeben. Durch die wie im französischen Wahlrecht vorgesehene Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kandidaten reicht es nicht, durch Koalitions­politik eine Mehrheit zu kon­struieren. Das Wahlvolk kann noch einmal zwischen zwei Per­sönlichkeiten entscheiden. Die Umfragen allerdings sagen Fu­jimori auch für diesen Fall einen großen Vorsprung voraus.
Keine Mehrheit für Fujimori im Kongreß
Koalitionspolitik wird Fuji­mori dagegen im Kongreß nötig haben. Seine Liste Cambio 90 – Nueva Mayoría (Wechsel 90 – Neue Mehrheit) wird aller Vor­aussicht nach keine Mehrheit be­kommen. Die Stimmen, die Fu­jimori durch sein persönliches Prestige als Präsident erhält, übersetzen sich nicht automa­tisch in Stimmen für seine Liste.
Als sicherer Koalitionspartner gilt Renovación, die Liste des Opus-Dei-Mitgliedes Rafael Rey. Er tritt gar nicht erst als Präsidentschaftskandidat an, sondern macht Wahlkampf für den Kongreß mit dem Slogan “Garantie für einen konstrukti­ven Kongreß”. Reichte es zu­sammen mit Renovación nicht für eine Mehrheit, müßte Fuji­mori noch einige Zeit in Ver­handlungen investieren. Nach­dem er die 1993 verabschiedete neue Verfassung ganz auf sich als Präsidenten zugeschnitten hat, ist er nur begrenzt auf den Kongreß angewiesen. Doch er wird es sich in den nächsten Jah­ren kaum leisten können, noch einmal, wie bereits 1992, den Kongreß aufzulösen, wenn ihm dessen Entscheidungen nicht passen.
Was Meinungsumfragen wert sind
Ab 25. März dürfen bis zu den Wahlen am 9. April keine Mei­nungsumfragen mehr veröffent­licht werden. Ob man diese Re­gelung für sinnvoll hält oder nicht, sie erspart Peru hoffentlich bis zur Wahl eine Reihe von ab­surden Diskussionen. Die Um­fragen haben in der Vergangen­heit oft kraß geirrt – in diesem Punkt hat die Oppositon recht. Der völlig überraschende Wahl­sieg Fujimoris gegen Maro Var­gas Llosa vor fünf Jahren ist nur ein Beispiel dafür.
Allerdings trägt der Verweis auf Meinungsumfragen auch mitunter satirische Qualitäten. Beispielsweise verbreitet die Opposition erst wochenlag mit großem Aufwand, Meinungsum­fragen seien überhaupt nichts wert, um sich dann als Zeichen einer Trendwende auf eine leichte Zunahme der Werte für Pérez de Cuéllar zu berufen, wie am 24. März druch UPP-Vize­präsidentschaftskandidat Guido Pennano. Es ist bezeichnend für einen Mangel an wirklichen Themen im Wahlkampf, daß Diskussionen dieser Qualität breiten Raum einnehmen kön­nen.

Kasten:

Wieder Sendero-
Führungskader verhaftet
Präsident Fujimori hat am 23. März in Pucallpa, der Haupt­stadt des Departements Uca­yali im östlichen Tiefland, die Verhaftung von 20 mut­maßlichen SenderistInnen bekanntgegeben. Unter den in Huancayo, Callao und Lima Verhafteten befindet sich, so der Präsident, Margie Clavo Peralta alias “Comandante Nancy”, die als Nummer zwei des “Sendero Rojo” gilt.
Sendero Rojo spaltete sich von Sendero Luminoso ab, nachdem Sendero-Chef Abimaél Guzmán im Oktober 1993 in seinen berühmten Briefen aus dem Gefängnis an Fujimori die vorläufige Einstellung der bewaffneten Aktionen angeboten hatte. Die Splittergruppe ist der letzte Teil Sendero Lumino­sos, der die bewaffnete Gue­rillatätigkeit weiterführt, al­lerdings weit entfernt von der militärischen Stärke, über die Sendero Luminoso noch An­fang 1992 verfügte.
Margie Clavo Peralta gehört zur Gründungsgeneration von Sendero Luminoso, die am 19. April 1980 den “bewaffneten Volkskrieg” ausrief, und hatte verschie­dene Positionen inne. Sie er­scheint unter anderem auf dem 1991 beschlagnahmten Video von einer Fiesta der Sendero-Spitze in einer Villa im gutbürgerlichen Viertel Chacarilla del Estanque in Lima.

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