Berlinale | Nummer 561 - März 2021

HOFFNUNG AUF DEN SOMMER

Fans müssen auf Berlinale-Filme aus Lateinamerika noch etwas warten

Von Dominik Zimmer

A Love Song in Spanish Festivalbeitrag aus Panama in der Sektion Kurzfilme (Foto: Mateo Guzmán)

Pandemie oder Populismus? Was die brasilianische Filmszene im vergangenen Jahr härter getroffen hat, ist schwer zu sagen. Die Vermutung liegt nahe, dass die vollständige Streichung der staatlichen Filmförderung durch die Regierung Bolsonaro der noch weitaus schwerere Schlag war. Und so muss sich das Leuchtturmland des lateinamerikanischen Kinos auf der Berlinale 2021 mit verhältnismäßig mickrigen zwei Festival­beiträgen begnügen (einer davon eine Fernseh­serie). Welch ein Unterschied zu den Vorjahren, in denen Brasilien des Öfteren mit einer zweistelligen Zahl von Filmen auf der Berlinale vertreten war. Damals traten deren Filmschaffende den Rückweg über den Atlantik auch regelmäßig mit dem ein oder anderen Preis im Gepäck an.

Die Lücke im lateinamerikanischen Programm wird dieses Jahr hauptsächlich vom zweiten cineastischen Schwergewicht aus dem Süden geschlossen: Aus Argentinien kommen mit fünf von insgesamt nur zwölf Produktionen fast die Hälfte der diesjährigen Beiträge des Subkontinents. Deren weitgehend gute Qualität kann für die geringere Auswahl erfreulicherweise etwas entschädigen.

Fast die Hälfte aller Latino-Beiträge kommt aus Argentinien


Weniger ist mehr, leider nicht einmal das galt 2021 für die Festivalatmosphäre. Pandemiebedingt fanden bisher alle Vorführungen digital statt und standen – etwas unverständlich – zudem nur Presse und Fachpublikum fünf Tage lang online zur Verfügung. Schade, denn mit einer frühzeitigen Planung, geschicktem Marketing und einem (verbilligten) öffentlichen Online-Ticketverkauf hätte dem Festival eine zusätzliche Einnahmequelle durch ein weltweites Publikum winken können. Doch weil die Berlinale-Leitung zu lange darauf hoffte, wie gewohnt im Februar ein Präsenzfestival in Kinos vor Ort abhalten zu können, kam nur die kurzfristige Notlösung zustande. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens das geplante Berlinale Summer Special im Juni wie angekündigt in den Berliner Kinos stattfinden kann. Und dass dort auch ein Großteil der lateinamerikanischen Beiträge den Weg auf die Leinwände finden wird, unter denen einige Highlights auszumachen sind.

Das beginnt beim einzigen lateinamerikanischen Beitrag des Wettbewerbs, Una película de policías (Mexiko), einer clever aufgezogenen Doku-Fiktion über die Polizei in Mexiko-Stadt. Nach Museo (2018, Regie) konnte auch dieser Film von Regisseur Alonso Ruizpalacios einen Silbernen Bären gewinnen, diesmal für die herausragende künstlerische Leistung im Bereich Montage. In der Sektion Encounters gibt es mit der schweizerisch-argentinischen Koproduktion Azor ebenfalls einen sehr sehenswerten Film, der die Beteiligung von Banken an den Verbrechen der Militärdiktatur am Rio de La Plata thematisiert. Aus Argentinien kommen außerdem die trashige Sex-and-Crime-Serie Entre Hombres, die experimentellen Beiträge Esqui und Qué será del verano (beide aus der Sektion Forum) sowie die Festival-Entdeckung Una escuela en Cerro Hueso von Regisseurin Betania Cappato. Das einfühlsame Porträt der Integration eines autistischen Mädchens in einer Dorfschule erhielt von der Festivaljury in der Jugendfilmsektion Generation eine lobende Erwähnung.

In der beim Publikum beliebten Sektion Panorama gibt es zwei Dokumentationen aus Lateinamerika zu sehen: Der mexikanische Regisseur Carlos Alfonso Corral gibt in Dirty Feathers Obdachlosen in der Grenzstadt El Paso eine Stimme, während A Última Floresta (Brasilien) aus der Perspektive der Gemeinschaft der Yanomami aus dem Amazonasgebiet erzählt ist. Aus Brasilien kommt auch die Serie Os Últimas Dias de Gilda, in der eine Favela-Bewohnerin (großartig gespielt von Karine Teles) sich mit einer bigotten christlichen Miliz anlegt. Bicentenario (Kolumbien) zeigt in der Sektion Forum Expanded die entfremdete Absurdität des Kultes um Simon Bolívar. Die Kurzfilme A love song in Spanish (Panama) über die Nachwirkung der Militärdiktatur in einer Familie und Al motociclista no le cabe la felicidad en el traje (Mexiko), der einen Motorradfahrer die Kolonialgeschichte neu interpretieren lässt, bereichern die Sektion Berlinale Shorts.

Rezensionen zu drei starken lateinamerikanischen Beiträgen gibt es auf den nächsten Seiten dieses Heftes zu lesen. Kritiken zu allen anderen Filmen werden wir im Laufe der nächsten Wochen auf der Homepage von LN veröffentlichen. Viel Spaß beim Online- und Offline-Lesen und hoffentlich auch bald beim Sehen der Filme!

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