Nummer 318 - Dezember 2000 | Peru

Hühner, Ratten und Kamele

Der spannende Untergang eines verbrecherischen Regimes

Rebellion in den Anden und Jagdszenen in Lima: Seit der Drogen- und Waffenhändler Vladimiro Lenin Montesinos aus Panama zurückgekehrt ist, brodelt es in Peru. Der Untergang des Fujimori-Regimes könnte als Telenovela inszeniert werden.

Rolf Schröder

Freitags ist Waschtag in Lima. In einem symbolischen Akt reinigen DemonstrantInnen allwöchentlich vor dem Präsidentenpalast peruanische Fahnen, die sie vom korrupten Fujimori-Regime beschmutzt sehen. Beim letzten Termin im Oktober hielt eine resolute Frau den WäscherInnen eine Pfanne mit zwei Eiern entgegen. „Die fehlen, um Fujimori zu stürzen!“ rief sie und beklagte den fehlenden Kampfesmut der Opposition. Ganz Unrecht hatte sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Obwohl der meistgehasste Mann Perus, der ehemalige Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos, wenige Tage zuvor seelenruhig aus Panama zurückgekehrt war, hatte es nur wenig Protestaktionen gegen das Regime gegeben.
Eine Woche später, am nächsten Waschtag, konnte die Frau ihre Eier beruhigt zu Hause lassen. Denn die Nachricht, dass der zurückgekehrte Montesinos 48 Millionen US-Dollar auf Schweizer Konten deponiert hält, löste eine Lawine aus, die das Regime unter sich begraben wird. Außerdem hatte ein Oberstleutnant namens Ollanta Humala gezeigt, dass es sehr wohl ganze Männer in Peru gibt.
Humala probte mit fünfzig Soldaten und zwei Zivilisten – darunter sein Bruder – den Aufstand. In der Nähe der südperuanischen Stadt Tacna nahm er einen General und vier Minenarbeiter als Geiseln und machte sich auf einen „Marsch durch ganz Peru“.

Maiskörner für die Armee

In einem „Manifest an die peruanische Nation“ bezeichnete der 38-jährige Heeresoffizier die Präsidentschaft Alberto Fujimoris auf Grund dessen Wahlschwindels als illegal und klagte die von Montesinos eingesetzte Armeespitze wegen Drogenhandel, Waffenschmuggel und anderer schmutziger Geschäfte an. Humala verkündete, er würde die Autorität von „Verbrechern“ nicht mehr anerkennen und erst dann die Waffen niederlegen, wenn ein neuer Präsident im Amt sei.
Spontan solidarisierten sich Tausende von DemonstrantInnen im ganzen Land mit den Rebellen. Hunderte von Reservisten zogen los, um sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen. In den Medien wurde Humala mit dem jungen Oberst Hugo Chávez verglichen, der im Jahre 1992 versuchte, die korrupte venezolanische Pérez-Regierung zu stürzen. Humalas Marsch durch ganz Peru kam indes nach einem Tag ins Stocken. Keine einzige zusätzliche Militäreinheit schloss sich der Rebellion an. In Tacna warf die mit Humala solidarische Bevölkerung empört Berge von Maiskörnern über die Kasernenzäune und beschimpfte die dort stationierten, untätigen Soldaten als feige Hühner.
Die meisten von Humalas Kämpfern verdienten sich ebenfalls ein paar Maiskolben. Sie ergriffen angesichts einer anrückenden Elitetruppe von 500 Mann die Flucht. Auch die Geiseln entkamen. Mit ganzen acht Männern hielt sich Humala zuletzt im peruanischen Hochland versteckt. Sein Bruder Antauro zog aus taktischen Gründen in eine andere Richtung. Er befehligt inzwischen rund 400 Reservisten, die mehr oder weniger schlecht bewaffnet sind. Die Armee traut sich nicht, gegen einen der beiden Brüder vorzugehen, denn sie kann sich kein Blutbad leisten. Wie auch immer das Abenteuer endet – die Rebellion zeigt, dass es in den Streitkräften brodelt.
Die Wut des Obersten Humala war durch die Rückkehr des Hauptverantwortlichen für die Korruption in der Armee entfacht worden – Vladimiro Montesinos. Der war Ende September nach Panama geflohen, weil die Veröffentlichung eines Videos, das ihn bei der Bestechung eines Abgeordneten zeigt, den Volkszorn erregt hatte.
Jetzt erhielt der Zivilist eine Landeerlaubnis auf einem Luftwaffenstützpunkt südlich von Lima. Dort wurde er von einer hochrangigen Militärdelegation empfangen und in einem Armeehubschrauber unter schwerer Bewachung in die Hauptstadt geflogen. Das war nicht nur für Offiziere wie Ollanta Humala schwer zu ertragen.
Auch Präsident Fujimori, den Montesinos offenbar erst bei einer Zwischenlandung im ecuadorianischen Guayaquil über seine bevorstehende Ankunft informiert hatte, fühlte sich brüskiert. Noch vor einem Monat hatte er den Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), César Gaviria, gebeten, ihn bei der Suche nach Asyl für seinen Berater zu unterstützen, da dieser angeblich mit einem Putsch gedroht hatte , falls kein Land ihn aufnehmen wollte. Die Frage, wer eigentlich das Land regiert, wurde nach Montesinos Rückkehr immer lauter. Ebenso die Forderungen nach einem sofortigen Rücktritt Fujimoris. Der Präsident musste handeln.

Jagdszenen aus Chaclacayo

Fujimori organisierte ein Medienspektakel nach dem Muster einer Telenovela. Zwei Tage nach Montesinos Ankunft zog sich der Präsident Kampfstiefel an, streifte sich eine Lederjacke über und blies persönlich zur Jagd auf seinen ehemaligen Berater.
Acht Geländewagen der Polizei, besetzt mit schwer bewaffneten Eliteeinheiten und hohen Armeeoffizieren, brachen zur „Operation Chaclacayo“ auf, so benannt nach dem Wohnort Montesinos. Die Karawane bahnte sich mit Blaulicht und quietschenden Reifen einen Weg durch den dichten Feierabendverkehr der Hauptstadt – die Präsidentenlimousine und Kamerateams im Schlepptau. Am Ziel gab ein wild gestikulierender Fujimori seiner Einsatztruppe genaueste Anweisungen.
Für den nötigen Adrenalinspiegel der Fernsehzuschauer sorgten Gerüchte, der Präsident wolle seinen Berater um jeden Preis festnehmen – tot oder lebendig. Als Montesinos nach vier Stunden immer noch nicht aufgetaucht war, rief Oberfahnder Fujimori zur Pressekonferenz. „Es gibt keinen Haftbefehl gegen Vladimiro Montesinos. Wir wollen ihn nur ausfindig machen,“ erklärte er den verdutzten JournalistInnen. Doch er versprach, die Suche werde fortgesetzt – Tag und Nacht, zu Lande und aus der Luft.
Am nächsten Tag ging der Präsident in Militäranlagen auf Spurensuche. Es hieß, Montesinos halte sich in der Kaserne der zweiten Heeresdivision auf, die von General Luís Cubas, Montesinos Schwager, befehligt wurde. Doch um diese Kaserne machte der Fahndungsleiter Fujimori einen Bogen. Dafür inspizierte er sie in einem seiner Lufteinsätze aus einem sicheren Hubschrauber von oben. Die Opposition begann sich über den Präsidenten lustig zu machen und bezeichnete seine Suchaktion als Show. Wieder bestand Handlungsbedarf für Fujimori.
Also besetzte er die Armeespitze neu. Der Chef der Streitkräfte, José Villanueva – wie Montesinos in Waffengeschäfte mit den kolumbianischen FARC verwickelt –, Montesinos Schwager Cubas sowie die Oberkommandierenden von Heer, Luftwaffe und Marine mussten ihre Generalsmütze nehmen.
Doch die vom Präsidenten eingesetzten Nachfolger sind wie fast alle Generäle ebenfalls Gefolgsleute von Montesinos. Villanuevas Posten erbte ausgerechnet der bisherige Innenminister, General Walter Chacón, der Montesinos Abflug nach Panama organisiert hatte.
Der rebellierende Oberst Ollanta Humala und die Opposition bezeichneten die Umbesetzungen als reine Kosmetik. Fujimori wird seinen Schatten Montesinos nicht los: Wollte er dessen Verbündete ernsthaft aus der Armee entfernen, so rückten womöglich Oberste vom Schlage eines Humala nach und der Präsident wäre erledigt.

Die Ratten verlassen das Schiff

Es kracht nicht nur im Gefüge der Streitkräfte und in den Querstreben des Präsidentensessels. Das ganze Regime fällt auseinander. Wie Ratten verlassen die Gefolgsleute Montesinos und Fujimoris die sinkende Fregatte des Regimes: die Generalstaatsanwältin zu Montesinos Gnaden, Blanca Nélida Colán, die Vizepräsidenten Francisco Tudela und Ricardo Márquez, eine ganze Schar von Abgeordneten und der Chef der Wahlbehörde ONPE, der bei den letzten Wahlen noch mit seinen unnachahmlichen Rechenkunststücken geglänzt hatte.
Die erst vor wenigen Monaten für teures Geld von Montesinos zusammengekaufte Parlamentsmehrheit ist für Fujimori unwiderruflich dahin. Auch alle Bemühungen Fujimoris, den Wahltermin zu verzögern, fruchteten nicht mehr: Am 8. April 2001 wird definitiv zu den Urnen geschritten.

Der Superwaschtag

Am Freitag, dem 3. November spitzte sich die Lage weiter zu. Wieder war Waschtag in Lima. Während draußen abermals die gereinigten peruanischen Fahnen zum Trocknen im Wind flatterten, rief Präsident Fujimori im Inneren seines Palastes wegen einer Waschaktion ganz anderer Art zu einer Pressekonferenz. Soeben waren auf den Schweizer Konten seines Partners Montesinos 48 Millionen US-Dollar gefunden worden. „Es besteht kein Zweifel an der illegalen Herkunft dieses Geldes,“ bekannte Fujimori und räumte ein, dass es sich um gewaschene Drogengelder handelt.
Gleichzeitig schwor er: „Ich habe absolut nichts von Vorgängen dieser Art gewusst.“ Der Präsident wusch an diesem Tag seine Hände – in Unschuld.
An Fujimoris Seite saß während der Pressekonferenz ein Staatsanwalt, der mit der Aufnahme der Ermittlungen gegen Montesinos beauftragt wurde. Es handelt sich um José Ugaz, der im Gegensatz zu der von Montesinos bestellten, korrupten peruanischen Strafjustiz einen guten Ruf genießt.
Für Vladimiro Montesinos wird es eng. Denn auch Beamte des FBI und der Antidrogenbehörde DEA haben inzwischen Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. Sie verhörten den ehemaligen Boss der Drogenbande „Los Camellos“ – „die Kamele“, Boris Foguel, in einem panamaischen Gefängnis. Foguel sagte aus, regelmäßig Schutzgeld in Millionenhöhe an Montesinos gezahlt zu haben. Im Gegenzug soll der Geheimdienstchef dafür den reibungslosen Ablauf des Kokainhandels der „Kamele“ in Peru garantiert haben.
Die aufgespürten 48 Millionen US-Dollar sind mit Sicherheit nur ein Teil des Vermögens, das Montesinos im Ausland angehäuft hat. Weitere Konten auf seinen Namen werden auf den Kaiman-Inseln, in Andorra, Spanien, Panama und in Peru selbst vermutet. Die spanische Zeitung El País schätzt sein Gesamtvermögen auf eine Milliarde US-Dollar. Damit wäre Vladimiro Montesinos einer der größten VerbrecherInnen der lateinamerikanischen Geschichte.
In den peruanischen Medien wurden 30.000 US-Dollar auf die Ergreifung Montesinos ausgesetzt – eine Summe, die der Verfolgte mit Leichtigkeit um zwei Nullen ergänzen kann, um seiner Verhaftung zu entgehen. Ein Haftbefehl für Montesinos war vier Tage nach Fujimoris Pressekonferenz immer noch nicht erlassen worden.
Am Sonntag, den 5. November, unterlief Justizminister Alberto Bustamante ein folgenschwerer Fehler: Der Mann, der gern etwas tiefer ins Glas schaut, verriet der Presse, dass der Aufenthaltsort Montesinos bekannt und die Verhaftung nur noch eine Frage von Stunden sei. Doch die Stunden und Tage verstrichen. Bis dann der Innenminister behauptete, Montesinos sei weiterhin unauffindbar.

Chino, du Ratte

In diesem Durcheinander steht nur eines fest: Der Ex-Geheimdienstchef wird – solange Fujimori Präsident ist – vor keinem unabhängigen Gericht aussagen. Anderenfalls würden ihn der Präsident, Minister und Abgeordnete der Regierungsfraktion sowie die Führungsspitze der Armee auf seinem Weg ins Zuchthaus begleiten. Aus diesem Grunde wird Fujimori auch die Ermittlungen seines Staatsanwaltes Ugaz behindern, wo er nur kann.
Das sehen auch die DemonstrantInnen so, die sich mit der Reinigung der peruanischen Fahnen abmühten. „Chino, rata, donde está la plata?“ – „Chino, du Ratte, wo ist das Geld?“ fragten sie den Präsidenten, indem sie ihn mit seinem Spitznamen anredeten. Andere reimten „No hay presidente, hay un delincuente!“ – „Es gibt keinen Präsidenten, es gibt nur einen Verbrecher!“ und verteilten Plastikbeutel mit den Fotos Fujimoris und Montesinos in Sträflingskleidung und der Aufschrift „Wirf den Abfall in den Müll“. Die rebellierenden Brüder Humala meldeten sich derweil aus den Bergen und verschärften ihre Forderungen. Sie wollen erst dann die Waffen niederlegen, wenn Montesinos und Fujimori zusammen im Gefängnis sind.

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