Nachruf | Nummer 557 - November 2020

HUMANITÄT UND ZEITGESCHICHTE

Nachruf auf den Cartoonisten Joaquín 
Salvador Lavado Tejón alias Quino

Von Leander F. Badura

 

Foto: Ministerio de Cultura de la Nación via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Am 30. September verstarb Joaquín Salvador Lavado Tejón im Alter von 88 Jahren in seinem Heimatort in Mendoza, Argentinien. Besser bekannt als „Quino“ erfand er die weltberühmte Figur Mafalda. Der 1932 geborene Quino besuchte bereits als Jugendlicher die Kunstakademie der Provinz, bevor er sich 1954 in der Hauptstadt Buenos Aires niederließ und seine Karriere als Cartoonist, Zeichner und Humorist begann.

1964 dann erfand Quino die Figur, die zu Weltruhm kam und mit der er den argentinischen Cartoon revolutionierte: Mafalda, jenes Mädchen im Grundschulalter, die mit ihrer dezidiert progressiven Haltung und endlosen, tiefschürfenden Fragen die Ratlosigkeit ihrer Eltern herausfordert und in kindlicher Art den Zynismus der Welt bloßstellt. Mafalda altert nicht, ihre Welt verändert sich kaum, obschon sie auf die politische Großwetterlage reagiert. Neben den Eltern führte Quino einige weitere Kindercharaktere ein, die einerseits als Kontrastfolie zu der pfiffigen Kleinen dienten und andererseits die argentinischen Mittelschicht abbildeten: Manolito, der Sohn eines Ladenbesitzers, der die Marktlogik im Munde führt und unter der Knute seines rabiaten Vaters leidet; oder Susanita, die Karikatur eines Kindes aus gutem Hause, die Arme geringschätzig behandelt und davon träumt, gut zu heiraten und viele Kinder zu bekommen.

Die Besonderheit des Comics, der in über 30 Sprachen übersetzt wurde, liegt in der Wärme und Humanität, die Quino in die Figuren steckte. Selbst die Kontrastfiguren wurden mit Empathie gestaltet und verkamen nie zu ungeliebten Widerparts der kleinen Heldin. Mafalda verhandelte alles – Krieg und Frieden, Demokratie und Diktatur, Emanzipation und Patriarchat, Umweltzerstörung und Naturschutz. Dabei war sie in höchstem Maße Kind ihrer Zeit: Hoffnungen machten ihr beispielsweise die Vereinten Nationen und der Papst. Nur konsequent also, dass Quino – möglicherweise unbewusst – diesen Zeitkern erkannte und den Moment fand, Mafalda in den Ruhestand zu schicken. 1973, einige Monate vor dem Putsch in Chile, hörte er auf, sie zu zeichnen. Die Figur hatte nichts mehr zu sagen. Mafalda wurde so zum Zeugnis einer hoffnungsvollen Zeit, sie war die Inkarnation der aufstrebenden linksliberalen Mittelschichten Lateinamerikas – und verstummte, als ebenjene Mittelschichten begannen, diese Werte zu verraten. Ihr Zeichner bewies damit ein erstaunliches Gespür für die anbrechende Zeitenwende, die ihn selbst einige Jahre ins Exil zwang.

Quino machte sich auch viele Jahre danach noch einen Namen mit Karikaturen, die nicht weniger Gespür für Humanität und Zeitgeschichte offenbarten. Berühmt wurde beispielsweise eine in der Zeit der argentinischen Transition zur Demokratie 1982 entstandene Zeichnung, in der eine Haushaltshilfe ein komplett verunstaltetes Zimmer aufräumt und ordnet, inklusive an der Wand hängendem Guernica. Quino ging davon aus, dass sein Werk eines Tages nicht mehr verstanden würde. Nämlich dann, wenn auffalle, dass die neuen Technologien, die im heutigen Alltag eine so große Rolle spielen, in seinen Geschichten nicht vorkamen. Doch Mafalda fand auch ihren Weg ins Internet, in die sogenannte Meme-Kultur. So lebt das Werk über seinen Schöpfer hinaus.

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