Kolumbien | Nummer 357 - März 2004

“Ich bin eine Überlebende”

Präsident Uribe autoritärer Herrschaft angeklagt – Interview mit Gloria Cuartas, die heute Generalsekretärin der Frente Social y Politico ist

Der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe Vélez hielt sich vom 10. bis 12. Februar zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik auf. Uribe Vélez wird von MenschenrechtsaktivistInnen heftig kritisiert. Gloria Cuartas war Bürgermeisterin der Gemeinde Arpatado in der Region Urabá im Norden der Provinz Antioquia. Und dies zur selben Zeit, da der jetzige Präsident als Gouverneur die Provinz regierte. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen in Bogotá mit Gloria Cuartas, die heute Generalsekretärin der Frente Social y Politico (Soziale und Politische Front) ist, einer der wichtigsten linken Oppositionsparteien Kolumbiens.

Markus Plate

Frau Cuartas, mit harter Hand gegen die Guerilla angetreten, gerät Alvaro Uribe Velez seit einem Jahr zunehmend in die Kritik. Ist dies berechtigt?

Zweifelsohne. Es gibt in Kolumbien drei Millionen Vertriebene, drei Viertel davon sind Frauen. Wir reden von 30.000 politischen Morden jährlich. Sie sind Ausdruck einer gewaltigen humanitären Krise, die durch Uribes Politik verschärft worden ist. Pro Monat werden 1.000 Menschen während Hausdurchsuchungen festgenommen, ohne dass ein Haftbefehl bestünde. Wir sehen uns einer ausufernden Verletzung der Menschenrechte ausgesetzt.

Wie begründet Uribe seine Politik?

Er spricht von der „Politik der Demokratischen Sicherheit“ und behauptet, dass er durch diese Politik mit der Guerilla fertig werden will – und zwar mit Gewalt. Aber sein Augenmerk gilt mehr der Verfolgung der sozialen Bewegung. Er will verhindern, dass kolumbianische und internationale soziale Organisationen zusammenarbeiten.

In Kolumbiens Medien wird die Guerilla als die große Bedrohung für die Demokratie dargestellt, gegen die ein populärer Präsident zu Felde zieht.

In Kolumbien gibt es keine Pressefreiheit. Die Medien werden gelenkt von wenigen großen Unternehmen, die traditionell von der Regierungspolitik profitieren. Außerdem besteht die Übereinkunft, alle Nachrichten und Reportagen zum Thema Guerilla mit der Regierung abzustimmen. Sie werden also zensiert. Es ist daher für die Öffentlichkeit äußerst schwierig zu erfahren, was in den Regionen passiert.

Wie steht es um Uribes Popularität tatsächlich?

In Umfragen erreicht er Zustimmungsraten bis zu 80 Prozent. Aber auch diese Umfragen werden geschönt. In Europa erzählt man dann, wir hätten eine demokratische Regierung mit einem starken Mann an der Spitze und Kolumbien habe endlich die nötige Autorität. Die allgegenwärtige Kontrolle durch den Staat beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Medien. Es gibt ungefähr vier Millionen Spitzel. Neben Militärs haben sie dafür Bauern, Hauswarte oder Taxifahrer gewonnen. Seit Inkrafttreten des Antiterrorismusstatuts werden auch Telefone im großen Stil abgehört. Die Überwachung ist fast total.

Oppositionelle PolitikerInnen werfen Uribe vor, als Präsident die autoritäre Politik fortzusetzen, die er schon als Gouverneur Antioquias betrieb. Lassen sich solche Parallelen feststellen?

Als Gouverneur nahm sich Uribe ausgewählte Gemeinden vor und erklärte, sie befänden sich fortan unter militärischer Kontrolle. Er sprach von „Zonen der Öffentlichen Ordnung“. Als Präsident redet er von „Zonen des Wiederaufbaus“, und das ist genau dasselbe – die Übertragung der Macht an das Militär. In diesen Zonen nahmen und nehmen politische Verfolgung, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Folter und Mord sprunghaft zu. Auf der anderen Seite gab es keine sozialen Investitionen.
In der gleichen Zeit wurde die Gründung privater Sicherheitskooperativen erlaubt. Die rekrutierten sich aus den Paramilitärs. Die Paramilitärs trugen also nur einen neuen Namen, der es ihnen erlaubte, mit Waffen durch die Stadt zu patrouillieren. Sie machten dasselbe wie vorher, nur eben offiziell.
In dieser Region operierten allerlei Persönlichkeiten des Paramilitarismus und des Drogenhandels; unter anderem Carlos Castaño und Salvatore Mancuso – die heutigen Anführer der Vereinten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens, der paramilitärischen AUC, mit denen die Regierung heute vorgibt, über den Frieden zu verhandeln. GewerkschafterInnen wurden auch damals besonders scharf verfolgt, ebenso LehrerInnen und ÄrztInnen, Jugendliche, StudentInnen, sprich alle, die anders dachten.

Als Schritt zu einer Lösung des bewaffneten Konfliktes präsentiert Uribe Verhandlungen mit den Paramilitärs und das „Gesetz zur alternativen Strafverfolgung“, durch das die Paramilitärs in die Zivilgesellschaft eingegliedert werden sollen. Wie bewerten Sie das?

Wir als Partei erkennen die Paramilitärs nicht als politische Gruppe an, auch nicht als Dritten Akteur im Konflikt. Wir reden von einem Konflikt zwischen Aufständischen und dem Staat. Der Paramilitarismus ist seit den 70er Jahren strategisch, politisch und ideologisch immer ein zweites Erscheinungsbild des kolumbianischen Staates gewesen – mit der Unterstützung der USA. Paramilitärische Operationen finden immer in nächster Nähe von Militärbasen statt. So wie in meinem Dorf: Zunächst kam ein Militärbataillon, fünf Minuten später kamen die Paramilitärs. Allein in meiner Gemeinde wurden damals über 1.200 Menschen ermordet, die entweder politische Verantwortung trugen oder in Bürgerbewegungen engagiert waren. Ich bin Zeugin – ich bin eine Überlebende. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Regierung und Armee mit diesen Gruppen zusammenarbeiten. Wir bestreiten, dass Kolumbiens Senat überhaupt zur Debatte über das „Gesetz zur alternativen Strafverfolgung“ legitimiert ist. Paramilitärführer Salvatore Mancuso hat öffentlich bestätigt, dass 35 Prozent der Kongressabgeordneten bei den Wahlen im Oktober 2000 von Paramilitärs unterstützt wurden.

Der Plan Colombia, finanziert durch die USA und die EU, soll neben der Guerilla vor allem den Drogenhandel bekämpfen. Drogenanbauflächen sollen enteignet und demobilisierten Paramilitärs soll eine zivile Existenz ermöglicht werden.

Richtig, der Staat behauptet, den DrogenhändlerInnen würde das Land genommen, das sie den Bauern und Bäuerinnen mit Waffengewalt entrissen haben. Dieses Land will man den demobilisierten Paramilitärs übereignen – dies ist eine wichtige Komponente des „Gesetzes zur alternativen Strafverfolgung“. Das bedeutet aber, dass man das Land den gleichen Drogenhändlern und Paramilitärs zurückgibt, die es zuvor an sich gebracht hatten. Die Vertreibung der Landbevölkerung und die widerrechtliche Landaneignung wird legalisiert, ohne dass der organisierte Drogenanbau leiden würde.

Unlängst war mit Chris Patten ein ranghoher EU-Politiker im Lande. Er besichtigte im Magdalena Medio, einer der militarisiertesten Zonen des Landes, das Laboratorio de Paz, ein Friedenslaboratorium, das von der EU finanziert wird. Wie beurteilen Sie dieses Vorzeigeprojekt und die Kolumbien-Politik der EU allgemein?

Auf der einen Seite entwerfen sie einen großen Entwicklungsplan. Aber an der gleichen Stelle gibt es paramilitärische Basen und selektive Morde. Ein Laboratorio de Paz, ein Friedenslabor, sollte bewirken, dass die internationale Gemeinschaft ein Bewusstsein für die Wahrheit, für Gerechtigkeit und für die Notwendigkeit einer umfassenden Wiedergutmachung entwickelt. Man versucht, mit diesem Projekt den Eindruck zu vermitteln, als sei dies der Weg zum Frieden in Kolumbien. Wir müssen dieses Projekt Laboratorio de Paz definitiv kritischer als bislang begleiten. Denn ich glaube, dass man mit diesem Projekt Gemeinden polarisiert, dass man versucht, die natürlichen Ressourcen in der Region zu kontrollieren und dass man die große Verkehrsverbindung zu den geplanten Megaprojekten durchsetzen will. Ich glaube, dass man mit dem Namen Friedenslabor versucht, die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Ziel, nämlich der Erschließung der großen Energieressourcen abzulenken. Und hier kommen die europäischen Unternehmen ins Spiel. Ich meine, dass eine derartige internationale Kooperation nicht in Frage kommt.

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