Musik | Nummer 312 - Juni 2000

“Ich bin mit der Rumba aufgewachsen”

Interview mit der kubanischen Sängerin Omara Portuondo

Anerkennend nennt man sie die „Edith Piaf der Karibik“, da sie durch ihre gefühlvollen Interpretationen von Boleros und dem Filin bekannt wurde. In Kuba ist Omara Portuondo ein großer Star und im Fernsehen, genauso wie im Tropicana und dem legendären Cafe Cantante, immer wieder präsent. Im April hat sie ihre erste Platte beim Label World Circuit vorgelegt.

Knut Henkel

Die kubanische Musik ist sehr vielfältig und Sie haben nicht nur Boleros, sondern auch viele andere Stilrichtungen gesungen. Wie kam es dazu?

Die kubanische Musik ist aus dem Aufeinandertreffen zweier Kulturen und deren Mischung entstanden. Auf der einen Seite ist das die rurale Musik der spanischen Bauern, die stark von der Gitarre dominiert war, auf der anderen die percussionslastige Musik der Afrokubaner. Andere Einflüsse kommen aus der französischen Musik, die vor allem im Osten der Insel recht prägend war. Diese Einflüsse kamen zusammen mit den haitianischen Sklaven und ihren Herren nach Kuba und haben sich in unserer Kultur niedergeschlagen. Ich habe mich immer für die unterschiedlichen Genres der kubanischen Musik interessiert, aber natürlich auch für die internationale Musik.

Welche Personen waren für Ihre musikalische Karriere besonders wichtig?

Meine Eltern waren sehr musikalisch. Bei uns im Hause wurde viel gesungen und sie haben mir viel beigebracht. Mir hat das Singen immer viel Spass gemacht und sie haben mich dabei unterstützt. Als ich mich entschieden hatte Künstlerin zu werden, hat meine Mutter mir immer Mut gemacht, wenn es nicht gleich so lief. Sie hat mich immer angespornt, neues zu versuchen und nicht in der Entwicklung stehen zu bleiben. Ich war anfangs recht schüchtern, habe mich nicht getraut auf die Bühne zu steigen, und sie hat mich dazu ermuntert, mir gut zugeredet. Damals gab es auch noch keine Schulen für talentierten Nachwuchs, man musste jede Chance nutzen und meine Mutter wusste das. Heute gibt es für alles und jedes eine Schule oder ein Institut in Kuba. Da hat sich vieles geändert.

Haben Sie musikalische Idole oder besser, welche Künstler haben Sie in Ihrer musikalischen Entwicklung besonders geprägt?

Ich habe das Glück gehabt in meinem Leben mit den Besten zu arbeiten, mit den besten Musikern, mit den besten Tänzern, mit Bildhauern, Schauspielern, nationale wie internationale, und dabei habe ich viel gelernt. Eine, mit der ich gearbeitet und von der ich einiges gelernt habe, ist Edith Piaf. Bola de Nieve ist einer, den ich immer sehr verehrt habe. Rita Montaner, Ernesto Lecuona, Lorenzo Hierrezuelo, aber auch Nat King Cole und viele andere. All diese Künstler haben mich auf andere Dinge neugierig gemacht.
Das gilt auch für Compay Segundo, den ich seit langem kenne, aber an dem ich auf einer gemeinsamen Tour auch wieder neue Facetten entdeckt habe. Ich lasse mich gerne inspirieren und bin auch sehr zufrieden mit der gemeinsamen Arbeit, sowohl im Rahmen des Buena Vista Social Clubs, dessen Aufnahmen mir viel Spass gemacht haben, aber auch darüber hinaus.

Welchen Stellenwert hat Ihre aktuelle Platte mit sehr persönlichen Interpretationen von „No me llores más“ oder „Veinte años“ für Sie?

“Veinte años” ist eines der Lieder, die mein Vater mir als kleines Kind gerne vorgesungen hat. Es war eines seiner Lieblingslieder und ich verbinde sehr viele Erinnerungen mit dem Stück. Mein Vater hat ein sehr gutes Gefühl für Rhythmus gehabt und mir viel beigebracht, zum Schluss auch noch das Notenlesen. Darüber hinaus ist María Teresa Vera, die das Stück geschrieben hat, für mich eine einzigartige Frau, eine symbolische Person. Sie war die erste Kubanerin, die Gitarre spielte, sang, komponierte und so erfolgreich war, dass sie ins Ausland, in die USA, nach Guatemala, Mexiko usw. ging und dort auftrat. Sie hat mir und vielen anderen Frauen gezeigt, was alles möglich ist. Ich habe ihre Radiosendung kaum einmal verpasst. Deshalb ist sie für mich ein Person mit Symbolcharakter.

Welche Rolle spielt die traditionelle Musik einer Frau wie María Teresa Vera derzeit in Kuba?

Augenblicklich ist die traditionelle Musik sehr populär. Das gilt vor allem für die Trova aus Santiago de Cuba, aber auch für den Son, dessen Wiege ebenfalls im Osten der Insel steht. Alle möglichen Leute spielen die alten Stücke und haben für sich aus diesem oder jenem Grund den Son, die Guaracha oder die Trova wiederentdeckt. Diese Musik ist in Mode und damit auch die Stücke von María Teresa Vera. Überall hört man sie, in den Restaurants, in den Tourismuseinrichtungen, aber abseits davon wird der Son auch wieder mehr und mehr gehört, getanzt und genossen.

In welchem Viertel der kubanischen Hauptstadt sind Sie aufgewachsen?

In Cayo Hueso, an der Ecke Zanja und Aramburo. An einer Ecke des Chinesenviertels, in einem kleinen Eckhaus.

Das Cayo Hueso ist als Rumbaviertel bekannt. Welche Bedeutung hat die Rumba für Sie?

(Lacht) Die Rumba ist eine sehr wichtige Sache in meinem Leben, die mir immer gut gefallen hat, gerade der Einfluss des spanischen Flamenco in der kubanischen Rumba. Die Rumba ist purer Rhythmus. Percussionsinstrumente, Gesang und sonst nichts außer die Tanzenden natürlich. In der Rumba gibt es keine anderen Instrumente, außer die Holzkisten eventuell noch, denn es gibt schließlich auch eine spezielle Variante – die Holzkisten-Rumba. Die Kistenvariante hat sich entwickelt, weil Trommeln zwischenzeitlich verboten waren, also mussten die Rumberos improvisieren und haben auf leeren Holzkisten, meist Fischkisten, getrommelt. Ich bin quasi mit der Rumba aufgewachsen, denn mein Viertel ist bis heute ein Rumba-Viertel, dort gibt es sie nach wie vor und ich mag die Rumba sehr, sie gehört zu meinem Leben. Alle zwei Jahre gibt es ein Festival de La Rumba, das im Viertel stattfindet. Die San Lazaro, die Aramburo oder die San Miguel verwandeln sich dann in grosse Rumbameilen.

Kennen Sie noch Rumberos aus ihrem Viertel?

Ja, natürlich. Ich kenne viele noch von klein auf. Einige sind mittlerweile verstorben, andere tanzen nicht mehr, aber es gibt auch noch welche aus der alten Schule, die aktiv sind. Rolando Espinosa ist einer von ihnen. Andere habe ich später kennen gelernt. Die bekannten Rumberos sind zudem in der gleichen Musikervereinigung wie ich organisiert – der Empresa Ignacio Piñeiro. Ignacio Piñeiro war Kubas wohl größter Songwriter und Direktor des Septeto Nacional, dem Son-Orchester der zwanziger und dreißiger Jahre. Nach ihm ist die Künstlervereinigung benannt.

Frau Portuondo, sie sind in Kuba sehr präsent, treten regelmässig auf, sind im Fernsehen zu sehen und machen Aufnahmen. Woher nehmen Sie die Energie dafür her?

Das ist die Energie Kubas. Die Energie der Sonne, des Meeres, mit der ich jeden Morgen aufwache. Ich brauche ja nur aus dem Fenster zu gucken und schon blicke ich aufs Meer und in die Sonne. Viele Touristen kommen hierher, um sich zu erholen, ich habe das alles vor meiner Haustür. Natürlich ziehe ich auch viel Energie aus meiner Arbeit, die mich sehr befriedigt, und generell sind wir Kubaner wohl etwas temperamentvoller als die Europäer – Musik reißt uns sehr schnell mit und ich liebe nun einmal die Musik. Ausserdem mache ich Sport, ich halte mich fit, mache Gymnastik, gehe in den Park oder fahre aufs Land und genieße die Natur – all das gibt mir Kraft.

Sie haben einige wundervolle Duette mit Ibrahím Ferrer gesungen. Wird es weitere Aufnahmen mit ihm geben?

Ich nehme gerne mit ihm auf, es macht viel Spass und es wird, denke ich, immer mal wieder eine Nummer mit ihm geben. Er hat so eine süsse Stimme und es ist sehr einfach mit ihm zusammen im Studio zu arbeiten. Wir verstehen uns blendend, kennen uns schon lange und wissen, was der andere macht, wie er oder ich ein Stück interpretiert.

War es nicht recht schwierig, die Leute für die Aufnahme ihrer Platte in Havanna zusammen zu bekommen? Eliades Ochoa, Compay Segundo und Ibrahím Ferrer sind mittlerweile sehr beschäftigt.

Nein, das war gar nicht so schwierig, denn alle hatten Lust mitzumachen. Juan de Marcos hat alles arrangiert und koordiniert, er ist ein blendender Organisator. Wir haben knapp zwei Wochen für die Aufnahmen im Egrem-Studio gebraucht und es war wie bei einem Familientreffen.

Ihre aktuelle Platte ist recht Bolerolastig. Haben Sie langfristig Lust auch wieder einmal Son zu singen? Mit dem Son haben Sie schließlich Ihre Karriere mehr oder minder begonnen?

Nicht nur mit Son. Meine ersten größeren Erfolge habe ich mit dem Filin gehabt, dem ich noch immer sehr verbunden bin. Aber nichts desto trotz habe ich Lust, auch wieder mehr Son zu machen. Mit „No me llores mas“ ist aber auch ein klassischer Son vertreten. Ich wollte ursprünglich noch einen weiteren Son aufnehmen, „Quizas, Quizas, Quizas“, ebenfalls ein Duett mit Ibrahím, aber das Stück heben wir uns eben auf.

Interview: Knut Henkel


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