Ich, der allmächtige Autor
Der Klassiker von Augusto Roa Bastos ist neu übersetzt worden
Brüche bleiben Brüche. Auf diesen Nenner lässt sich wohl das Konzept der Übersetzerin Elke Wehr in ihrer neuen Fassung von Ich der Allmächtige bringen. Roa Bastos hatte im Original seines großen Romans eine recht herbe, abrupte Sprache gepflegt, hatte bisweilen unvollständige Sätze und scheinbar unpassende Wörter benutzt. José A. Friedl Zapata entschied sich in seiner 1977 publizierten Erstübersetzung, vieles davon zu glätten. Was bei ihm ein Satz ist, waren bei Roa Bastos zwei oder gar drei. Er leitet über, wo Roa Bastos etwas unvermittelt nebeneinander hatte stehen lassen. Das geht zum Beispiel so: „Doch nicht als freies Wesen, sondern als Besiegter, Gefangener, an meinen Stuhl Gefesselter“ (Friedl Zapata). Bei Wehr heißt das, dem Original viel näher: „Nicht kraft eigenen Rechts. Besiegt, gefangen, an meinen Stuhl gekettet.“ Und so weiter. Der allmächtige Diktator, der auch bestimmt, wie die Sätze gehen, zeigt sich im zweiten Fall direkter. Diktatorischer.
Der 1917 in der paraguayischen Hauptstadt Asunción geborene Augusto Roa Bastos hatte Yo el Supremo 1974 veröffentlicht, fast zur gleichen Zeit wie zwei andere Romane, die ebenfalls das Phänomen des lateinamerikanischen Diktators zum Thema haben: García Márquez’ Der Herbst des Patriarchen und Alejo Carpentiers Die Methode der Macht. Roa Bastos griff die historische Figur des Rodríguez de Francia (1814-1840) auf, der Paraguay nach der Unabhängigkeit davor bewahrt hatte, argentinische Provinz zu werden. Francia war hochgebildet, wenn auch deswegen nicht weniger rigoros in seiner Machtausübung. Er lieferte Roa Bastos das Material für seine spezifische Version des Diktatorenromans, die sich von anderen dieses Genres unterscheidet: Er macht sich die doppelte Bedeutung von „diktieren“ zu Nutze. Francia ist politischer Diktator, er ist zugleich aber auch jemand, der Worte diktiert – ein Autor. Ich der Allmächtige ist kein darstellungs- und handlungsorientierter Roman, sondern ein fortwährender Monolog eines Menschen, der „ich“ sagt, und eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Schreiben.
Francia ist allmächtig auf Grund seiner Macht im Lande, aber auch deswegen, weil nur er spricht. Wohl ist das Buch randvoll mit Dialogen, vor allem zwischen dem Diktator und seinem Sekretär Patiño. Aber diese Dialoge sind nicht als solche gekennzeichnet, sie stehen da wie laufender Text, wie ein einziges Selbstgespräch: „Was siehst du in diesem Spiegel? Nichts Besonderes, Exzellenz. Schau gut hin. Nun ja, Señor, wenn ich Ihnen sagen soll, was ich sehe, dasselbe wie immer. … Siehst du nicht mein Gesicht? Nein, Señor…“
Manchmal erreichen diese Passagen die Qualität mitreißender Slapsticks, etwa wenn sich der Diktator mit seinem Leibarzt herumärgert. Insgesamt ist das halbe Tausend Seiten wundervoll anregend und alles andere als ein dröge-philosophischer Pflichtklassiker. Die verlegerische Entscheidung, diesem Roman besser gerecht zu werden, ist rundum erfreulich.
Augusto Roa Bastos: Ich der Allmächtige. Aus dem Spanischen von Elke Wehr, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000, 560 S., 58,- DM.