„Ich fühle mich wie eingesperrt“
Interview mit der kolumbianischen Aktivistin Jani Silva

Sie sind nach Deutschland gekommen, um den Hessischen Friedenspreis 2024 entgegenzunehmen – für Ihren Einsatz für die Zivilgesellschaft und für den Erhalt der Amazonasregion. Was bedeutet Ihnen so ein Preis?
Für mich, für die Bauernorganisation Adispa, für alle, die da mitarbeiten, ist der Preis eine Anerkennung unserer Arbeit als Verteidiger und Verteidigerinnen der Amazonasregion von Putumayo. Das stärkt uns den Rücken, motiviert und hilft uns weiterzumachen.
Wie ist Ihre persönliche Situation, hat sich die Sicherheitslage verbessert?
Nein, die Situation ist komplex, denn wir haben es mit einem kriegerischen Konflikt mit unterschiedlichen Akteuren zu tun. Das wirkt sich auf unsere Arbeit aus, auf unsere Organisationsstruktur und unsere Sicherheit. Wir können nicht so agieren, wie wir gern würden.
Können Sie derzeit in Ihr Dorf, auf Ihre Farm in Bayo Cuembí reisen oder müssen Sie in Puerto Asís bleiben, wo Sie derzeit leben?
Nein, ich kann nicht nach Bayo Cuembí reisen. Ich bin meistens in Puerto Asís und kann das Haus nur in Begleitung verlassen, von Personenschützern, von Organisationen wie Peace Brigades International, aber auch anderen Organisationen und gelegentlich auch von Botschaften.
Also hat sich Ihre persönliche Sicherheitslage nicht verbessert?
Nein, es ist die gleiche Situation. Ich erhalte weiterhin Morddrohungen und die Gruppe, die mich bedroht, ist in der Region, wo ich eigentlich lebe, aktiv. Sie lassen keine Gelegenheit aus, um andere Bauern zu informieren, dass sie mich ermorden werden. Ich bin nicht dort, wo ich hingehöre, wo ich mich wohlfühle, ich lebe seit Oktober 2020 in Puerto Asís – im Exil.
Wie erreichen Sie die Mord-Drohungen?
Erst waren es Pamphlete, dann tauchten die Typen auf unseren Versammlungen auf. Schließlich fragten sie nach mir und anderen Aktivisten von Adispa – die Bedrohung nahm immer weiter zu.
Irgendwann haben sie auf regionalen Versammlungen angekündigt, mich umzubringen und bedrohten auch die Leute, die mit mir zusammenarbeiten. Es heißt, sie wären meine Schüler und würden sie beobachten. Das macht vielen Menschen Angst. Ein Beispiel ist Orlando, ein ehemaliger Schatzmeister von Adispa, der schwer erkrankte. Auch mir macht der ständige Druck zu schaffen, das ist keine einfache Situation.
Wie heißt diese Gruppe, die Sie bedroht? Und was will sie, für wen ist sie aktiv?
Die Gruppe heißt Comandos de la Frontera (dt. „Grenzkommandos“). Sie will, dass wir uns als Organisation Adispa auflösen, unsere Arbeit einstellen, aufgeben. Sie sind der Meinung, dass das Erdölunternehmen der Region Entwicklung bringt und wir den Aufschwung blockieren. Sie werfen uns vor, gegen das Unternehmen zu sein. Zudem sind Comandos de la Frontera in den Coca-Anbau und Vertrieb involviert.
Wissen Sie, ob die Gruppe direkt für das Erdölunternehmen arbeitet?
Die Gruppe und vor allem ein Sprecher, der sich Lionel nennt, hat das mehrfach behauptet. Sie hätten einen Vertrag mit der Gesellschaft, wonach sie sicherstellen müssten, dass Amerisur, ein britisch-chilenisches Erdölunternehmen, in der Region arbeiten könne.
Das sind massive Drohungen – wer schützt Sie, wie verhält sich die kolumbianische Regierung?
Ich habe Schutz durch ein staatliches Sicherheitsprogramm: Ich werde in einem gepanzerten Fahrzeug in und um Puerto Asís gefahren und trage eine schusssichere Weste. Aber ich kann nicht mehr zurück in die Region, wo ich eigentlich lebe – ich bin eine Vertriebene. Und was sollen schon zwei Bodyguards ausrichten, wenn es gegen eine schwerbewaffnete, große Truppe wie Comandos de la Frontera geht.
Sie leben seit Oktober 2020 gezwungenermaßen in Puerto Asís, richtig?
Ja, genau. Im Oktober 2020 haben wir für Jugendliche eine Veranstaltung zur Reserva Campesina, der bäuerlichen Schutzzone, gemacht. Da war auch die kirchliche Kommission Justicia y Paz (Gerechtigkeit und Frieden) dabei, die den Prozess begleitet und da wurde ich direkt bedroht. Danach haben wir beschlossen, dass ich die Farm auflöse, das Vieh verkaufe und mein Mann hat sich dann um den Rest gekümmert.
Die bäuerlichen Schutzzonen sind ein Instrument, um Kleinbäuer*innen, die nachhaltig produzieren, Flächen zur Verfügung zu stellen. Die Regierung unterstützt diesen Prozess und hat im Dezember 2020 Adispa 22.000 Hektar übertragen. Engagiert sich der Staat auch für den Schutz?
Nein, von der Regierung erhalten wir keine Unterstützung. Unsere Rechte in der Schutzzone werden nicht von der Regierung oder ihren Institutionen geschützt. Das ist ein Problem.
Wie kommt das?
Es gibt kaum Interesse von Seite der staatlichen Institutionen an dem, was wir machen und wie wir es machen. Wir haben den Titel der Reserva Campesina erhalten. Die „Bäuerliche Schutzzone Perle Amazoniens“ existiert und erstreckt sich über 22.000 Hektar – rund 800 Kleinbauernfamilien leben und arbeiten in dieser vom Regenwald dominierten Zone. Damals, als wir den Titel erhielten, dachten wir, wir wären am Ziel unserer Träume, aber heute überwiegt der Eindruck, dass die staatlichen Organisationen wenig Interesse an uns haben und teilweise auch über Kontakte zu den Comandos de la Frontera verfügen.
Unterstützung gegen die paramilitärische Organisation Comandos de la Frontera gibt es also nicht?
Nein, eigentlich nicht. Ein Problem ist auch, dass es Informanten in unseren Reihen gibt. Zudem gibt es Indizien, dass die Comandos de la Frontera gute Kontakte in die Staatsanwaltschaft und andere staatlichen Kontrollbehörden haben. Die Comandos haben viel Geld und verschaffen sich so Einfluss und Macht.
Was bedeutet es für Sie, vertrieben zu sein aus der Region, die sie lieben?
Das ist ein Desaster, denn auf der Finca haben wir uns selbst versorgt. Dort wuchs alles, was wir brauchten. In Puerto Asís muss ich alles einkaufen. Das ist ein enormer Unterschied. Ich fühle mich wie eingesperrt, kann wegen der Drohungen kaum vor die Tür gehen. Ich kann nur mit den Leibwächtern das Haus verlassen. Das muss alles vorbereitet werden: Ich habe meine Freiheit verloren.
Welche Bedeutung hat die Unterstützung von außerhalb – aus der Hauptstadt Bogotá und aus dem Ausland?
Die Unterstützung hat dafür gesorgt, dass wir sichtbar sind, sie hat uns geschützt. Die Begleitung durch die kirchliche Kommission „Justicia y Paz“ war von Beginn an extrem wichtig. Sie haben für internationale Kontakte gesorgt, zu Peace Brigades International, die uns und über uns informiert haben. So ist Adispa bekannter geworden, obwohl der Druck in den letzten Jahren weiter zugenommen hat – mit der Pandemie, mit dem Friedensprozess, der nicht oder nicht wie erwartet vorankommt. Die Verhandlungen laufen, wir sind jedoch nicht Teil davon. Ich hoffe, dass wir eine Verhandlungslösung finden und der Konflikt beigelegt wird, die Zahl der Morde zurückgeht.
Wo sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?
Meine größte Hoffnung ist, dass die Comandos de la Frontera aus der Region verschwinden, dass ich zurück auf meine Finca gehen kann und dass vielleicht auch andere die Arbeit in der Organisation Adispa übernehmen. Ich bin vom Land. Hier in der Stadt, in Puerto Asís, lebe ich sehr zurückgezogen in dem kleinen Haus, das wir bewohnen. Hin und wieder flüchte ich auch in andere Verwaltungsbezirke, bin dann mal zehn Tage weg. Denn für jemanden, der es gewohnt ist, in der Landwirtschaft zu arbeiten, zu fischen, schwimmen zu gehen und durch die Natur zu streifen, ist es schwierig, eingesperrt in einem Haus zu leben. Das ist hart für mich.
Wie weit ist es von Puerto Asís nach Bayo Cuembí?
Etwa eineinhalb Stunden, nicht mehr. Aber ich war seit Monaten nicht mehr da, ich habe schlicht Angst, den Comandos de la Frontera in die Hände zu fallen.
Woher nehmen Sie Ihre Energie, weiter mit und für Adispa zu kämpfen?
Ich kann doch eine Arbeit, die über zwanzig, fast dreißig Jahre Teil meines Lebens ist, nicht einfach aufgeben. Ich bin überzeugt von unserem Konzept, aber es ist schwierig, gegen eine derartige Organisation anzukommen – ohne echte Hilfe.
JANI SILVA
ist eine 62-jährige Bauernvertreterin und Umweltaktivistin aus dem kolumbianischen Amazonas-Departement Putumayo. Dort befindet sich die Zona Reserva Campesina, eine bäuerliche Schutzzone von 22.000 Hektar Fläche, die der kolumbianische Staat im Dezember 2000 der Bauernorganisation Adispa (Asociación para el Desarrollo Integral Sostenible de la Perla Amazónica) übergeben hat. Silva ist quasi das Gesicht von Adispa. Sie hat die Organisation mitgegründet.



