Honduras | Nummer 442 - April 2011

Ich weiß, was du vorletzten Sommer getan hast

In Honduras sind dieses Jahr gleich zwei Wahrheitskommissionen im Einsatz. Eine offizielle und eine der Widerstandsbewegung.

Kathrin Zeiske

Das Büro der alternativen Wahrheitskommission, der sogenannten Wahren Kommission (Comisión de Verdad), befindet sich hoch über der Hauptstadt von Honduras. Im einst von deutschen EmigrantInnen gegründeten Viertel Walter hat sie in einem alten weißgetünchten Haus mit ausladendem Holzbalkonen ihren Sitz bezogen. Der Blick von oben auf Tegucigalpa erscheint symbolträchtig für das, was hier derzeit zusammengetragen wird: ein detaillierter Überblick über die Menschenrechtsverletzungen nach dem Putsch und auch während des aktuellen Nachfolgeregimes von Porfirio Lobo. Initiiert wurde die Wahre Kommis­sion von der honduranischen Menschenrechtsplattform, ein Zusammenschluss renommierter zivilgesellschaftlicher Organisationen, um ein Gegengewicht zur offiziellen Wahrheitskommission Wahrheits- und Versöhnungskommission (Comisión de la Verdad y la Reconciliación) zu bilden.
„Die am Putsch beteiligten Institutionen des honduranischen Justizsystems wollen mit dieser jetzt ihre eigenen Taten untersuchen“, konstatiert Pater Fausto Milla, einer der KommissarInnen der alternativen Wahrheitskommission, der neun angesehene JuristInnen und kirchliche MenschenrechtskämpferInnen aus Lateinamerika und Spanien vorstehen. Direkt nach dem Putsch hatte der Oberste Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der gewaltsamen Exilierung des damaligen Präsidenten Manuel Zelaya für legal erklärt, die Staatsanwaltschaft hingegen hält noch immer eine Anzeige gegen ihn aufrecht. „Das ist eine absurde Show, um den Staatsstreich ein weiteres Mal zu legitimieren. Die Täter werden sich kaum selbst zu Tätern erklären“, schließt der weißhaarige Pater.
Und doch mangelt es der offiziellen Wahrheitskommission keinesfalls an internationaler Anerkennung. In den Verhandlungen von San José zur Lösung des Konflikts in Honduras, war ihre Schaffung als eine Bedingung genannt worden, das Putschregime an der Macht zu belassen. Koordiniert wird sie von Eduardo Stein, langjähriger Funktionär der Organisation der Vereinten Nationen und Ex-Vizepräsident von Guatemala. Personell wie finanziell wird die Kommission durch Vereinte Nationen, USA und Europäische Union unterstützt. Die EU gibt 180.000 Euro; der deutsche Anteil daran sind rund 20 Prozent, so Karl-Heinz Rode, deutscher Botschafter in Tegucigalpa.
„Doch der offiziellen Wahrheitskommission beibt eines vorenthalten; ihr fehlt schlichtweg die Anerkennung seitens der honduranischen Bevölkerung. Diese lehnt sie mehrheitlich ab“, erklärt Tom Loudon, Technischer Direktor der Wahren Kommission. Die Menschenrechtsorganisation COFADEH berichtet davon, dass Zeugenaussagen durch die offizielle Kommission unter Druck erzwungen werden. Für die alternative Wahrheitskomission hat der Zeugenschutz hingegen oberste Priorität. Sie genießt die breite Unterstützung der Menschen. „Uns ist es sehr wichtig, vertrauensvoll mit den gesammelten Information umzugehen, um den Schutz der Opfer zu gewährleisten. Diese dürfen nicht durch ihre Aussage in Gefahr gebracht werden“, berichtet Loudon. In seinem Büro hängen Bilder von den Wochen nach dem Putsch. Am Boden liegende DemonstrantInnen werden von Militärs und Polizei umstellt; auf dem Asphalt geronnenes Blut. Familienangehörige weinen um ihre Toten.
Beide Wahrheitskommissionen unterscheiden sich in Ausrichtung und Zielsetzung klar voneinander. Die Wahre Kommission legt ihren Fokus explizit auf die Verletzungen der Menschenrechte. Die offizielle Wahrheitskomission wird sich nur untergeordnet mit den Menschenrechtsverletzungen während dem Putsch befassen. Diese werden von einer Gruppe von UN-ExpertInnen in einem extra Bericht abgehandelt. Voraussetzung ist jedoch, dass sie beizeiten vor der Staatsanwaltschaft angezeigt wurden. Dies kritisiert die Menschenrechtsplattform scharf, da das Justizsystem selbst tief in den Putsch verstrickt war und die meisten Menschenrechtsverletzungen gar nicht gemeldet wurden. „Jene, die die Anzeige stellten, wurden nämlich anschließend oft erneut mit Repression oder sogar Folter eingeschüchtert“, so Helen O´Campo, Pressesprecherin der Wahren Kommission.
Schon im März soll der Endbericht der offiziellen Kommission mit „Empfehlungen an die Regierung“ vorliegen; diese sind jedoch nicht bindend. „Ihr Mandat ist rein politischer Natur, nämlich die Ereignisse rund um den 28. Juni 2009 aufzuarbeiten“, sagt Exekutivsekretär Sergio Membreño. Den Begriff „Putsch“ verwendet er nicht. Folgerichtig ist auch keine juristische Strafverfolgung vorgesehen. Die höchste Aufgabe, die sich die Kommission gestellt habe, sei es „die Wiederversöhnung in Honduras einzuleiten“, so Membreño.
„Für die Initiatoren des Putsches ein vollkommen verfehlter Auftrag“, urteilt Tom Loudon. Doch hat die offizielle Wahrheitskommission für das Regime Porfirio Lobo vor allem eine Funktion: die eigene vermeintlich demokratische Ausrichtung vor der Weltöffentlichkeit darzulegen. Die EU scheint sich davon überzeugen zu lassen. Die Regierung Lobo habe „nicht zuletzt durch die Einführung der Wahrheitskommission ihren Willen zur Aufzuarbeitung des Staatsstreichs gezeigt“, so Vanessa Vallardes von der EU-Vertretung in Honduras.
Innerhalb der EU unterstützen als einziges Land nur die Niederlande auch die Wahre Kommission. Ihr Bericht soll explizit als Grundlage für eine juristische Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen und auch dem Verfassungsbruch durch den Putsch dienen. „Eine Verurteilung der intellektuellen Köpfe und direkten Ausführenden durch den Internationalen Strafgerichshof in Den Haag bleibt unsere größte Hoffnung“, sagt Helen O´Campo. Sie selbst ist aus Sicherheitsgründen in das bewachte Haus der alternativen Wahrheitskommission hoch über der Stadt umgezogen. Mehr noch als die Angehörigen der Widerstandsbewegung sind die Kommissionsmitglieder Repression und Übergriffen ausgesetzt. Die PutschistInnen lassen sich nicht gerne in die Karten gucken.
Am Nachmittag des 28. März wurde von Unbekannten ein Sprengkörper auf das Bürodach der alternativen Wahrheitskommission in San Pedro Sula geworfen. Glücklicherweise wurden bei der Detonation weder die im Gebäude anwesende Koordinatorin Brenda Mejía noch zwei internationale Beobachter aus Kanada verletzt.

Weitere Infos: Alternative Wahrheitskommission: www.comisiondeverdadhonduras.org // Offizielle Wahrheitskommission: www.cvr.hn

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