Literatur | Mexiko | Nummer 536 - Februar 2019 | USA

ILLEGALER CHAMPION

Gringo Champ erzählt von einem Einwanderer aus Mexiko in den USA

Von Isabella Caldart

Seit Monaten himmelt er die Nachbarin, die er „Chica” nennt, von Weitem an, auf eine pathosbeladene Weise, die dem jungen Werther in nichts nachsteht. Als er sieht, dass sie belästigt wird, schlägt der junge Ich-Erzähler in Aura Xilonens Debütroman Gringo Champ die Täter zusammen und setzt dadurch eine Kette von Ereignissen in Gang, mit der er nie gerechnet hätte: Die Buchhandlung, in der er arbeitet, wird verwüstet und er muss untertauchen – der Protagonist lebt illegal in dieser namen- und gesichtslosen US-amerikanischen Grenzstadt. Dem Protagonisten eines modernen Schelmenromans gleich vagabundiert er durch die Straßen und begegnet dabei (und prügelt sich mit) allerlei merkwürdigen Gestalten.

Seine „Chica“, die er endlich kennenlernt, ist eine der ersten Figuren im Roman, die bei ihrem Namen – Aireen – genannt wird. Die anderen werden, wie er selbst, meist mit Beleidigungen oder ihrer Funktion betitelt, denn: „Auf der Straße ist alles unspezifisch … weil alles sich gleicht, scheiß globalisierte Namen.“ Doch jetzt tut sich etwas im Leben des bis dato namenlosen Protagonisten, nicht nur durch Aireen, sondern auch dank anderer Menschen, die ihm unverhoffte Chancen geben. Je mehr es ihm gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, je mehr er wahrgenommen wird und Freunde findet, desto mehr wird er zu Liborio.

Eine wichtige Rolle spielt auch Liborios Vergangenheit: In Rückblenden wird von seinem Leben in Mexiko erzählt, das voller Gewalt und Demütigungen war. Elternlos und von der Patentante verstoßen lebte er auf der Straße, bis er beschloss, sich auf die gefährliche Flucht über den Río Bravo zu machen.Während weder Figuren noch Handlung von Gringo Champ aufsehenerregend sind – der Plot ist recht konventionell und hat, vor allem gegen Ende, einige Längen – so ist es Aura Xilonens Sprache umso mehr. Da trifft starke Umgangssprache auf bildungssprachliches Register, Liborios Straßenslang auf Begriffe, die er durch seine Lektüre von Autoren wie Borges, Homer und Cervantes aufgesogen hat, Englisch auf mexikanisches Spanisch. Das Ganze ist gespickt mit ungewöhnlichen Bildern, die die Leser*innen aus eingefahrenen Lesegewohnheiten herausreißen. All dies hat Susanne Lange virtuos ins Deutsche übertragen, allein die vielen englischen Begriffe, die im Deutschen künstlicher wirken als im spanischen Original, stören ein wenig. Davon abgesehen beweist die kongeniale Übersetzung das fast schon unheimliche, brillante Können von Aura Xilonen, Sprache zu formen und den Worten damit neue Ebenen zu verleihen, vergleichbar mit Werken der Weltliteratur wie Clockwork Orange. Das Überraschendste aber ist Xilonens Alter: Als Gringo Champ 2015 im Original veröffentlicht wurde, war sie gerade einmal 19 Jahre alt.

Im selben Jahr wurde die Autorin und Filmemacherin die erste Preisträgerin des Premio Mauricio Achar, den man ins Leben gerufen hatte, um junge mexikanische Stimmen zu fördern. Auch wenn Gringo Champ nicht perfekt ist, so hat Xilonen alle Aussichten, eine der bedeutenden literarischen Stimmen Lateinamerikas der nächsten Jahrzehnte zu werden.

 

Aura Xilonen // Gringo Champ // Hanser Literaturverlage // 2019 // 23 Euro // 352 Seiten // Übersetzung von Susanne Lange

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