Ecuador | Nummer 608 - Februar 2025

IM ENERGIESPARMODUS

Wie Ecuadors Energiesektor von Klimawandel und politischen Versäumnissen eingeholt wird

„Noboa schaltet uns das Licht aus”, so sagen es selbst die Kinder. Denn wirklich niemand entkam im vergangenen Jahr in Ecuador den bis zu 14 Stunden andauernden täglichen Stromrationierungen. Das Land hatte nicht genug Energiekapazitäten, um den Bedarf der Menschen zu decken, ausgerechnet Monate vor der Präsidentschaftswahl. Die unmittelbare Ursache ist einfach auszumachen: klimawandelbedingte Dürren. Wie dieser Bericht erörtert, liegen die Gründe auch in der aktuellen Struktur und der Vergangenheit der ecuadorianischen Energiepolitik.

Von Thorben Utpatel, Quito

Wie viele am Amazonas gelegene Staaten ist Ecuador in seiner Stromversorgung stark abhängig von Wasserkraftwerken – zu ganzen 70 Prozent. Zwei Drittel der Energie aus Wasserkraft stammen aus einem einzelnen Wasserreservoir, wo zuletzt 2016 ein Wasserkraftwerk errichtet wurde. Der Staudamm Coca Codo Sinclair war ein Prestigeprojekt, um die ecuadorianische Energieinfrastruktur auf Kurs zu bringen und ist heute für 30 Prozent des im Land erzeugten Stroms zuständig. Bei Planung und Bau sind massive Fehler gemacht und Indigener Protest übergangen worden. Außerdem erodierten durch den Bau Flüsse und Ecuadors bis dahin höchster Wasserfall kollabierte. Außerdem wurde seitdem kein einziges weiteres Kraftwerk mehr errichtet. Und das, obwohl der Stromverbrauch zwischen 2017 und 2023 um 31 Prozent gestiegen ist.

Der „Elektrizitäts-Masterplan”, unter der linken Regierung Rafael Correas zwischen 2007 und 2017 entwickelt, sollte Wärmeenergie als größte Alternative stärken sowie Solar- und Windenergie ausbauen. Doch keiner der nachfolgenden Präsidenten führte den Plan fort. Auch bestehende Kraftwerke wurden stark vernachlässigt: Wärmekraftwerke, am zweitwichtigsten für die Versorgung, verfallen und liefern nur ein Drittel ihrer möglichen Produktion. Die chronische Unterfinanzierung des ecuadorianischen Energiesektors lässt sich auch mit den sehr günstigen Strompreisen erklären und zusätzliche Subventionen für die Industrie schmälern die Staatseinnahmen für nötige Investitionen. Die Folge: Das Versorgungsnetz ist weder wirklich alltags- noch krisenresistent.

Zu Beginn des vergangenen Jahres gab es zudem durch das Wetterphänomen El Niño, also schon vor der üblichen Trockenphase, deutlich weniger Niederschlag als in den Vorjahren. Ein erster Bericht des staatlichen Strombetreibers CENACE warnte im Januar vor möglicher Dürre und drohenden Folgen, im April war die Regierung unter dem Neoliberalen Daniel Noboa sofort zum Worst-Case-Szenario gezwungen: Nationaler Notstand und bis zu acht Stunden angeordnete Blackouts am Tag, zwei Wochen lang.

Schlimmste Dürre seit 61 Jahren

Ecuador erlebte 2024 die schlimmste Dürre seit 61 Jahren, in den Sommermonaten brachen in weiten Teilen des Landes heftige Waldbrände aus. Ab August kam es dann nochmals zu Engpässen in der Energieversorgung: Nach einem ungeplanten Blackout im Juni wurde am 18. September rationiert, jedoch nur eine Nacht. Am 23. September begannen mehrtägige Rationierungen. Mitte Oktober versprach Noboa optimistisch eine Verkürzung, doch wenige Tage später verkündete Energie- und Bergbauministerin Inés Manzano stattdessen 14-stündige Stromrationierungen täglich. Manzano ist bereits die vierte Person, die das Amt seit Antritt der Regierung im November 2023 bekleidet.

Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch Noboas brüchige Außenpolitik. Nachdem man sich in der Vergangenheit bei Engpässen auf Energieimporte aus Kolumbien verlassen konnte, hat dies 2024 lange Verhandlungen erfordert. Nicht nur, dass der nördliche Nachbar selbst in einer Versorgungskrise steckte – durch die Stürmung der mexikanischen Botschaft in Quito im April 2024 hat sich Noboa nicht unbedingt als vertrauenswürdiger Partner herausgestellt (siehe LN 599).

Langfristige Lösungen wären am effektivsten und nötigsten, kurzfristig war der Handlungsspielraum der Regierung aber begrenzt. Wartungen der Wärmekraftwerke und ein sogenanntes Floating Power Barge, ein schwimmendes Kraftwerk aus der Türkei, konnten das Stromdefizit immerhin abmildern, doch „nur Gott weiß, wann es wieder anfängt zu regnen”, so Ecuadors ehemaliger Energieminister Antonio Goncalves gegenüber dem Cuenca Dispatch. Expert*innen wie der Elektroingenieur und Präsident des Ecuador Energie Forums Fernando Salinas raten dazu, erneuerbare Energien auszubauen und bis dahin weitere mobile Power Barges zu ordern sowie den Gesamtverbrauch durch höhere Strompreise zu senken. Die Regierung hat stattdessen angekündigt, den Energiesektor zu privatisieren, um die nötigen Sanierungen finanzieren zu können.

Die Bevölkerung ist in ihren Schuldzuweisungen gespalten. Noboa ist weiterhin ein sehr beliebter Präsident und darf auf seine Wiederwahl am 9. Februar hoffen. Da er keine direkte Kontrolle über Regen und Dürre hat, wird er nicht zwingend in die Verantwortung für die Stromausfälle genommen. Gewählt worden ist der 37-Jährige wegen seines Fokus auf Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, gerade mit dem autoritären Einsatz von Polizei und Militär erfüllt er Wahlversprechen (siehe LN 596).

Zurückhaltend war die Kritik am jüngsten Präsidenten Ecuadors trotzdem nicht, vor allem in Quito und Guayaquil kam es ab Mitte November zu heftigen Protesten von Arbeiter*innenorganisationen, Gewerkschaften und Indigenen Bewegungen. Auch Yanka Cevallos, der im Buchhandel seiner Familie arbeitet, war nicht begeistert: „Es war eine sehr schwierige Zeit. Man hatte für alles nur begrenzt Möglichkeiten”, erinnert er sich. Die Familie hätte nachts arbeiten müssen, um Strom zu haben. In manche Haushalte wurde kein oder nur eiskaltes Wasser mehr gepumpt und der Verkehr der Großstädte wurde ohne Ampeln zur Hölle. Besonders kleine und mittlere Unternehmen haben gelitten, fast 4.000 Arbeitsplätze sind verloren gegangen und die Wirtschaft hat mindestens zwei Milliarden US-Dollar Verluste gemacht. Für Cevallos seien die Stromausfälle „ein weiterer Grund, nicht für Noboa zu stimmen”. Er ist frustriert: „Die Regierung unternimmt im Großen und Ganzen nichts, außer sich auf ihren Ämtern auszuruhen und über ihre Wiederwahl nachzudenken.”

Klimawandel ist schuld: Noboa “noch etwas Zeit geben”

Die Audiologin Andrea Quinteros wiederum meint, die Regierung hätte nichts machen können außer abzuwarten. Schuld sei vor allem der Klimawandel. Die 29-Jährige wisse schon, dass sie Noboa wählen wird: Sie möchte ihrem Präsidenten noch etwas Zeit geben, um für Stabilität in der unruhigen Republik zu sorgen. Für ihren Mann Fabián Guerron, Geschäftsleiter eines familiengeführten Lebensmittelgeschäfts, hat der Hoffnungsträger sein Vertrauen verspielt. Während er 2023 auch noch für den damaligen Underdog gestimmt hatte, möchte der 30-Jährige das dieses Jahr auf keinen Fall tun: „Wenn ich ein Auto habe, das zehn Jahre alt ist und ich es in dieser Zeit nie zur Reparatur bringe und mich nicht darum kümmere – dann bin ich doch daran schuld, dass es nicht mehr fährt, egal wer das Auto damals gekauft hat!”

Wütend ist auch der Viehhalter Santiago Guerron, nicht nur über seine gestiegenen Produktionskosten. „Um nicht schlecht dazustehen”, habe Noboa die Notwendigkeit von Stromausfällen „geleugnet, bis zehn Stunden Rationierung unausweichlich wurden”. Aber auch Guerrons Einschätzung ist: „Die Leute werden trotzdem für diesen Präsidenten stimmen.”

Ende vergangenen Jahres fing es dann zu regnen an, am 20. Dezember war es vorbei mit den Blackouts. Gerade noch rechtzeitig für Daniel Noboa, um seinen Wahlkampf wieder auf anderen Themen aufzubauen.

(Foto: UnPabloAndaluz Cuenca, Ecuador. 2024.)


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