Nummer 419 - Mai 2009 | Peru

Im Namen des Vaters

Nach der Verurteilung von Alberto Fujimori zu 25 Jahren Gefängnis ist seine Befreiung schon geplant

Ein peruanisches Spezialgericht sah es als erwiesen an, dass der ehemalige peruanische Präsident Fujimori schwere Menschenrechtsverbrechen plante und in Auftrag gab. Der gemeinsam einst mächtigste Mann im Land sieht einer düsteren Zukunft entgegen, denn weitere Prozesse wegen Korruption stehen aus. Seine letzte Hoffnung trägt seinen Namen: Keiko Fujimori.

Rolf Schröder

Wenn in Peru zu einem „Großen Hähnchenfest mit Tanz“ geladen wird, einer so genannten Grán pollada bailable, dann ist den VeranstalterInnen in der Regel nicht nur am leiblichen Wohl der Gäste gelegen, sondern auch an einem guten Zweck. Am ersten Novemberwochenende 1991 organisierten EinwohnerInnen des Hauptstadtviertels Barrios Altos ein solches Fest, um Geld für Restaurierungsarbeiten in ihrer Straße zu sammeln. Der Eisverkäufer Tomás Livias erstand zwei Eintrittskarten und vergnügte sich mit seiner Freundin Marcela auf der Party. Diese fand abends um halb elf ein jähes Ende. Ein halbes Dutzend schwarz gekleideter Männer stürmte die Tanzfläche und schoss mit Heckler&Koch-Sturmgewehren wahllos in die Menge. Tomás wurde siebzehn Mal getroffen. Er überlebte nur, weil er sich tot stellte. Seine Freundin Marcela starb im Kugelhagel zusammen mit vierzehn weiteren Partygästen – darunter ein achtjähriges Kind.
Mit Tomás überlebten schwer verletzt nur drei weitere Partygäste. Im Krankenhaus wurde er mehrfach bedroht. Die Täter wollten keine ZeugInnen. Tomás lebt vermutlich nur deswegen heute noch, weil Menschenrechtsorganisationen seinen Fall publik machten und sich massiv für ihn einsetzten. Von einer Bestrafung der Täter konnte der heute im Rollstuhl sitzende Tomás jahrelang nicht einmal träumen. Denn verantwortlich für das Verbrechen war, so stellte sich schnell heraus, eine Todesschwadron namens Grupo Colina, die direkt von den drei damals mächtigsten Männern im Land beaufsichtigt wurde. Das waren der Chef der Streitkräfte, General Nicolás Hermoza, der faktische Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos und der Staatspräsident Alberto Fujimori. So viel ist jedenfalls seit dem 7. April 2009 amtlich.

Die Todeschwadron Grupo Colina wurde unter Fujimoris Regierung gegründet und von ihm persönlich abgesegnet.

An diesem Tag schlug nicht nur für Tomás Livias endlich die Stunde der Gerechtigkeit, sondern auch für Alberto Fujimori. In einer abgeriegelten Kaserne verlas eine speziell für diesen Fall eingerichtete Strafkammer unter dem Schutz von 2.000 Polizisten das Urteil im Mammutprozess gegen den Ex-Präsidenten. Das Gericht sah es nach 160 Sitzungen als erwiesen an, dass Grupo Colina während der Regierungszeit Fujimoris als eine Einrichtung der Streitkräfte ins Leben gerufen, aus dem Etat des Geheimdiensts SIN finanziert und von Fujimoris rechter Hand Vladimiro Montesinos befehligt wurde. Der Chef der Gruppe, ein Major namens Martin Rivas, lebte damals wie seine Vorgesetzten Fujimori und Montesinos in den durch Kasernenmauern geschützten Räumen des Geheimdienstes SIN. Seine Leute wurden dem Gericht zufolge von Fujimori persönlich für ihre kriminellen Operationen beglückwünscht. Auch Beförderungen erfolgten auf Empfehlung des Präsidenten. Die Verurteilung des angeklagten Ex-Präsidenten wegen Menschenrechtsverbrechen zu 25 Jahren Haft war deshalb nach der Beweislage folgerichtig.
Die Richter erfassten mehr als 50 Operationen der Grupo Colina. Dazu zählt die Folterung und Ermordung von neun Studierenden und einem Professor der Universität La Cantuta in Lima genauso wie die Verschleppung von neun Bauern in der nördlich von Lima gelegenen Ortschaft Santa, die für immer verschwunden blieben. Ferner lasteten die Richter der Grupo Colina die Entführung des Journalisten Gustavo Gorriti und des Unternehmers Samuel Dyer an. Beide wurden im Keller des so genannten „Pentagonito“, dem Sitz der Generalkommandantur des Heeres, gefoltert. Der Keller diente in den Jahren des Fujimori-Regimes als geheimes Gefängnis für Oppositionelle. Nach der Flucht Fujimoris aus dem Präsidentenamt im Jahre 2000 wurden dort die Reste eines Krematoriums und ein menschlicher Finger gefunden.
Angefangen hatte die Geschichte der Grupo Colina gleich nach der Amtsübernahme Alberto Fujimoris im Jahre 1990. Das Land war von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Guerilla Leuchtender Pfad und der Armee zerrüttet. Der damals frisch ernannte Präsidentenberater Vladimiro Montesinos entwarf in dieser Situation mit Zustimmung Fujimoris und Hermozas das Konzept, den Leuchtenden Pfad in einem so genannten Krieg niedriger Intensität zu bekämpfen. Ein solcher Krieg beinhaltete die Rekrutierung von Terrorkommandos und schloss Straftaten wie Mord, Folter oder Entführung nicht aus. In einem Interview mit dem Journalisten Umberto Jara, das den drei Richtern im Prozess gegen Fujimori in Form eines Videomitschnitts als Beweismaterial vorlag, bestätigt der Colina-Chef Martin Rivas nicht nur die Gründung der Grupo Colina als Teil dieses Kriegskonzepts, sondern auch dessen Absegnung durch den Präsidenten persönlich.
Rivas, den Tomás Livias vor Gericht als einen der schwarz gekleideten Männer von Barrios Altos identifizierte, wurde bereits zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Auch Montesinos und Hermoza sitzen im Gefängnis. Das Strafregister von Montesinos ist so lang, dass ein Ende der seit Jahren gegen ihn laufenden Prozesswelle immer noch nicht abzusehen ist. In dem jetzigen Urteil gegen Fujimori bestätigte das Gericht dagegen, dass weder die TeilnehmerInnen des Hähnchenfestes von Barrios Altos noch die entführten Studierenden der Universität La Cantuta Verbindungen zum Leuchtenden Pfad unterhielten. Beide Gruppen waren während der Regierungszeit Fujimoris stets als TerroristInnen bezeichnet worden.
Sollte das Urteil gegen den Ex-Präsidenten in zweiter Instanz Bestand haben, dürfte der 70-jährige Alberto Fujimori der geltenden Rechtslage nach das Gefängnis nie wieder verlassen. Denn Straftäter, die aufgrund eines „schwerwiegenden Entführungsfalls“ verurteilt sind, dürfen in Peru nicht begnadigt werden. Bei guter Führung kann Fujimori maximal ein Viertel der Strafzeit erlassen werden. Dazu kommt jedoch eine bereits rechtskräftige Strafe von sechs Jahren Gefängnis, zu der Fujimori im Dezember 2007 verurteilt wurde. Damals befand ihn das Gericht für schuldig, mittels Einbruch und Diebstahl Beweise vernichtet zu haben. Fujimori hatte sich nämlich nach der Flucht seines Beraters Montesinos im Jahre 2000 als amtierender Präsident Zugang zu dessen Wohnungen verschafft. Dort ließ er Videobänder beschlagnahmen und vernichten, die vermutlich belastendes Material enthielten.
Verschiedene Korruptionsprozesse warten noch auf Fujimori. Wegen Veruntreuung staatlicher Gelder zum Beispiel. Vor der Flucht seines Partners Montesinos ließ Fujimori 15 Millionen US-Dollar in Koffern aus der peruanischen Zentralbank schleppen, um dem Berater so genannte „Dienstleistungen“ zu vergüten. In einem weiteren Verfahren geht es um die Zahlung von Schmiergeldern an Kongressabgeordnete. Als Fujimori im Jahr 2000 nämlich die Mehrheit der Stimmen im Parlament benötigte, überredete Montesinos eine Reihe von Oppositionsabgeordneten mit hohen Summen aus der Staatskasse zu einem Wechsel auf die Regierungsbank. Mit der gleichen Methode sicherte sich das Duo Montesinos und Fujimori die Gefolgschaft der Justiz und der Medien. Auch in diesen Fällen ermittelt der Staatsanwalt. Und schließlich wird sich Fujimori noch für die systematische Überwachung der Telefonleitungen Oppositioneller während seiner Regierungszeit verantworten müssen.
Tomás Livias, die Angehörigen der Opfer und VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen waren mit dem Urteil gegen den ehemaligen Präsidenten äußerst zufrieden. Amnesty International lobte die Urteilsfindung sogar als historisch und wegweisend für ganz Lateinamerika. In der Tat markiert das Urteil einen Meilenstein auf dem Weg der Rehabilitation einer unter dem Fujimori-Regime durch und durch korrupten Justiz. Vielleicht folgt im Jahre 2011 der nächste Schritt, wenn die Amtsperiode des gegenwärtigen Präsidenten Alan García und seines Vize Luís Giampietri abläuft. García als Präsident und Giampietri als verantwortlicher Marineoffizier trugen 1986 die Verantwortung für die außergerichtliche Liquidierung von über 100 revoltierenden Gefangenen des Leuchtenden Pfads im Gefängnis El Frontón.

Keiko Fujimoris Wahlprogramm hat nur einen Punkt: die Befreiung ihres Vaters.

Doch im Jahre 2011 könnte auch alles ganz anders kommen. Denn gegen das Urteil regten sich gleichfalls scharfe Proteste. Keiko Fujimori, die Tochter des Verurteilten, rief ihren Vater auf einer von mehr als tausend Menschen besuchten Protestveranstaltung in Lima zum besten peruanischen Präsidenten aller Zeiten aus. Sie bezeichnete das Urteil als eine Ausgeburt von Hass. Es sei die Rache derjenigen, die Terrorismus für ein probates Mittel der Politik hielten. Die Justiz, so ließ sie verlauten, sei zu nichts zu gebrauchen. Das waren leider nicht nur Worte einer verwirrten Familienangehörigen eines Kriminellen, sondern die der Anführerin einer Partei mit über 10 Prozent der Sitze im Kongress. Schlimmer noch, es waren die Worte einer Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im Jahre 2011. Einer Kandidatin, die nach dem Urteil gegen ihren Vater in den Meinungsumfragen einen Sprung um mehrere Prozentpunkte nach vorn machte und unter allen potenziellen KandidatInnen mit etwa 25 Prozent an erster Stelle liegt. Keiko Fujimoris Wahlprogramm besteht vorerst nur aus einem Punkt: die Befreiung ihres Vaters.
Keiko liegt in den Umfragen allein aufgrund ihres Namens vorn. Denn ihr Vater genießt trotz seiner kriminellen Energie immer noch große Sympathien im Land. Seine immer noch beachtliche Anhängerschaft ist nach wie vor der Meinung, der Ex-Präsident habe das Land aus einer schweren Wirtschaftskrise geführt und vom Terrorismus des Leuchtenden Pfads befreit. Sie weigert sich beharrlich, die Wahrheit über ihr Idol zur Kenntnis zu nehmen. Angesichts von Keikos Programm ist ohnehin klar: Wer bei den kommenden Wahlen für Keiko stimmt, votiert für ihren Vater. Auch die Abgeordneten der Partei Alianza por el Futuro (Abkürzung: AF wie Alberto Fujimori), für die Keiko im Parlament sitzt, sind fast ausschließlich Gefolgsleute des ehemaligen Präsidenten.
Die Horrorvision einer gewählten Präsidentin Keiko Fujimori erscheint kaum vorstellbar. Selbst wenn Keiko sich bislang nur auf die Befreiung ihres Vaters konzentriert, ihr Vater und die Parlamentarier hinter ihr stehen für die Missachtung der Menschenrechte, für Wahlbetrug, für die Gleichschaltung von Medien, Armee, Justiz und Parlament. Das letzte Regierungsprogramm dieser Leute war die persönliche Bereicherung, die Plünderung der Staatskassen und die totale Korruption. Noch einmal Fujimori hat das Land wahrlich nicht verdient.


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