Nummer 378 - Dezember 2005 | Peru

Im Westen nichts Neues

Entgegen dem Trend in Südamerika bleibt Peru auf stramm neoliberalem Kurs

Das anhaltend hohe Wachstum der peruanischen Wirtschaft hat einen Schönheitsfehler: Die große Mehrheit der Bevölkerung spürt den Boom nicht. Während die Exportindustrie glänzende Gewinne einfährt, nehmen die Probleme in den Armenvierteln und den unterentwickelten ländlichen Regionen zu. Eine grundsätzliche Änderung der Politik, die diese Entwicklung zu verantworten hat, ist selbst nach den Wahlen im nächsten Jahr nicht in Sicht.

Rolf Schröder

Der mexikanische Präsident Vicente Fox offenbarte auf dem Gipfel von Mar del Plata Schwierigkeiten mit dem Zählen. Als glühender Befürworter des gesamtamerikanischen Handelspaktes ALCA bilanzierte er: „Wir sind in der Mehrheit, nur drei oder vier Staaten sind nicht einverstanden!“ Was Fox nicht erwähnte: Diese Staaten, nämlich Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela, produzieren drei Viertel des Bruttoinlandsprodukts in Südamerika, und nach den Wahlen im Dezember könnte sich Bolivien als sechstes Land dem Bunde der ALCA-Gegner anschließen. Fox übersieht, dass in Südamerika nicht mehr der neoliberale Wind der 90er Jahre weht. Dennoch gibt es neben Kolumbien einen weiteren treuen Verbündeten der USA auf der südlichen Hälfte des Kontinents: Peru.
In der peruanischen Regierung steht an der Seite von Präsident Alejandro Toledo vor allem ein Mann dafür ein, dass es im Westen des Subkontinents nichts Neues gibt: Regierungschef Pedro Pablo Kuczynski, kurz PPK genannt. Kuczynski, der auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, gilt als Wirtschaftsexperte der Regierung. Als ehemaliger Topmanager großer Minen und Stromkonzerne, Vorstand diverser Betriebe und Ex-Direktor im Bankgewerbe besitzt er aus Unternehmersicht glänzende Referenzen. Aber offenbar auch aus Sicht der Politik. So berief der frühere Präsident Fernando Belaúnde den Lobbyisten der Minenindustrie 1980 als Bergbau- und Energieminister erstmals in eine Regierung. Und Alejandro Toledo, der fast monatlich seine MinisterInnen austauscht, vertraute Kuczynski schon zweimal die Führung des Wirtschafts- und Finanzministeriums an. Mit der Beförderung Kuczynskis zum Ministerpräsidenten im Juli stellte Toledo im letzten Jahr seiner Amtszeit unmissverständlich klar: Der seit 1990 anhaltende neoliberale Wirtschaftskurs wird beibehalten.

Sparen in goldenen Zeiten

Dabei wäre der Moment für ein Umlenken günstig. Die peruanische Wirtschaft wächst seit über fünfzig Monaten ununterbrochen. Nach 4,2 Prozent Wachstum im letzten Jahr werden für 2005 sogar 5,8 Prozent erwartet. Das Land verdankt diese wunderbaren Zahlen in erster Linie der Exportindustrie, vor allem dem Bergbau. Die Minenindustrie konnte ihren Produktionswert zwischen 1992 und 2004 verdreifachen, ihr Exportvolumen liegt inzwischen bei 6,8 Milliarden US-Dollar jährlich. Das ist mehr als die Hälfte aller Exporte. Doch gleichzeitig bieten die transnationalen Konzerne, die im Lande Gold, Kupfer, Blei oder Quecksilber abbauen, nur etwa 80.000 Menschen unmittelbar einen Arbeitsplatz. Deshalb hat die große Mehrheit der Bevölkerung vom rasanten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nichts gespürt. Im Gegenteil: Selbst in der Hauptstadt Lima sind die durchschnittlichen Reallöhne der Bevölkerung nach Auskunft des Wirtschaftswissenschaftlers Jürgen Schuldt in den letzten drei Jahren gesunken. Die Arbeitslosenquote bleibt unverändert hoch, und die Zahl der an der Armutsgrenze lebenden Menschen ist seit der Amtsübernahme Toledos sogar um 380.000 gestiegen.
Der Wirtschaftsboom hat erst recht keine Auswirkungen auf die Ausgabenpolitik der Regierung. Denn der Wirtschaftsexperte Kuczynski hat seinem Kabinett einen rigiden Sparkurs auferlegt. Die Wahlversprechen seines Präsidenten, der die Ausgaben im Bildungssektor auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen wollte, stören den Ministerpräsidenten wenig. So schraubte er den Bildungsetat auf 3,1 Prozent zurück und kürzte ihn bei der Haushaltsplanung 2006 um fast 10 Prozent gegenüber 2005. Ungeachtet eines chronischen Defizits im Gesundheitsetat von rund 200 Millionen US-Dollar, setzte Kuczynski in diesem Ressort ebenfalls den Rotstift an. Das wird sich vermutlich auch auf das staatliche Gesundheitsprogramm SIS (Sistema Integral de Salud) auswirken, mit dem vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten versorgt werden.
Während Berater und hohe Beamte in den Ministerien Gehälter im Bereich von monatlich 8.500 US-Dollar verdienen, beziehen LehrerInnen, ProfessorInnen oder PolizistInnen zum Teil weniger als drei Prozent dieses Betrages. Präsident Toledos Versprechen aus dem Wahlkampf, die Gehälter der LehrerInnen bis zum Ende seiner Amtsperiode zu verdoppeln, ist längst vergessen. Die zwangsläufigen Folgen: Immer mehr Eltern schicken trotz hoher Kosten ihre Kinder auf eine Privatschule, talentierte WissenschaftlerInnen wandern scharenweise ins Ausland ab, und die Polizei bleibt korrupt. Nur wenn staatliche Angestellte streiken, wenn die Krankenversorgung in Gefahr ist oder die Schule ausfällt, schickt Kuczynski seine MinisterInnen zum Verhandeln, damit die Gehälterzuwächse so gering wie möglich ausfallen.

Vorwurf der Terrorismusförderung

Toledo und Kuczynski ist es mit ihrem Sparkurs gelungen, die Inflationsrate gering zu halten. Dennoch sind die Tarife für Telefon und Strom in Peru höher als irgendwo sonst in Südamerika. Die Gas- und Benzinpreise steigen wie überall, obwohl das Land selbst über Gas- und Ölvorkommen verfügt. Aber die Regierung plant, die Gasvorkommen aus dem Ort Camisea in der Region Cusco gewinnbringend in das südliche Nachbarland Chile umzuleiten, statt das eigene Land preisgünstig zu versorgen. Vor allem für die ärmere Bevölkerung werden auch die Auswirkungen des Handelsvertrages TLC (Tratado de Libre Comercio) mit den USA verheerend sein, den die peruanische Regierung demnächst gemeinsam mit Kolumbien und Ecuador unterzeichnen will. Einer Schätzung des Gesundheitsministeriums zufolge werden sich beispielsweise die Preise der Arzneimittel aufgrund der dann festgeschriebenen Patentrechte bei Medikamenten verdoppeln. Das Landwirtschaftsministerium hat leider noch keine Untersuchung darüber angestellt, wie sich die Einkommen von Dorfgemeinschaften oder einzelner Agrarsektoren entwickeln werden, die demnächst die zollfreie Konkurrenz von – möglicherweise subventionierten – US-Agrarprodukten zu fürchten haben. Doch die Regierung will den Vertrag um jeden Preis möglichst schnell unterzeichnen – notfalls auch ohne das zögerliche Ecuador. Die Kritiker des Abkommens sind für Handelsminister Ferrero schlicht Förderer von Terrorismus und Drogenhandel.

Die Wege des Geldes

Der sparsame Kuczynski braucht sein Geld für andere Ausgaben. Zum Beispiel für den Schuldendienst, der mit 25 Prozent des Staatshaushalts das Doppelte des Gesundheitsetats ausmacht. Hinzu kommt die mehr als zweifelhafte Rettungsaktion der maroden Bank Wiese, die 1999 vermutlich mit betrügerischer Absicht vom damaligen Diktator Fujimori beschlossen wurde und die den Fiskus im nächsten Jahr noch einmal 300 Millionen US-Dollar kosten wird. Allein 400 Millionen US-Dollar hat Kuczynski als Garantien veranschlagt, um die KonzessionärInnen privatisierter staatlicher Unternehmen vor Verlusten zu schützen. Offenbar will sich der Premier beeilen, in der ihm noch verbleibenden Zeit das letzte staatliche Tafelsilber abzustoßen. Gegen die beabsichtigte Privatisierung von Teilen des größten peruanischen Hafens in Callao gab es kürzlich bereits massive Proteste. Aber auch der Verkauf der Reste des bereits zerstückelten staatlichen Ölkonzerns Petroperú und der Wasserversorgung steht zur Debatte.
Den großen Bergbaukonzernen macht Kuczynski dagegen Steuergeschenke. Der Premier lässt ganz schlicht ein Steuergesetz unbeachtet, das erst vor zwei Jahren verabschiedet wurde und der Bergbaubranche eine Art Ressourcensteuer (regalías) für die verbrauchten Rohstoffe auferlegt. Die betroffenen Betriebe weigerten sich zunächst zu zahlen und klagten vor dem Verfassungsgericht. Doch obwohl dessen RichterInnen unlängst die Rechtmäßigkeit des Gesetzes bestätigten, gehen dem Staat Hunderte Millionen von Dollar verloren, weil die Regierung das Geld nicht einfordert. Ist erst einmal der Handelsvertrag mit den USA unterzeichnet, wird es für die Bergbaukonzerne noch komfortabler. Sollte die Regierung dann versuchen, Reparationen aufgrund von Umweltschäden zu reklamieren, so werden die Minenkonzerne internationale Schiedsgerichte anrufen können.
Insgesamt ist der Steueranteil am Bruttoinlandsprodukt in Peru deutlich geringer als in den Nachbarländern oder in Europa. Doch die Regierung macht nicht die geringsten Anstalten, mittels einer dringend nötigen Einkommenssteuerreform am Wirtschaftswachstum zu partizipieren. Hoch ist in Peru nur die Mehrwertsteuer, die bei 19 Prozent liegt.
Die Aussichten auf eine grundsätzliche Änderung der Wirtschaftspolitik nach der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr sind gering. Denn in allen Umfragen führt bislang mit großem Vorsprung die konservative Kandidatin Lourdes Flores von der Unidad Nacional (UN). Flores trat schon bei den letzten Wahlen an und verpasste hinter Alejandro Toledo und dem Ex-Präsidenten Alan García nur knapp die Stichwahl. Aus der Niederlage hat sie offenbar gelernt und sich angeschaut, mit welchen Rezepten Präsident Toledo die letzten Wahlen gewann. So spricht sie von einer Bildungsreform und einer Verbesserung des Gesundheitssystems, ohne zu sagen, wie das finanziert werden soll. Im Zweifelsfalle legt sie sich einfach nicht fest. Über eine Steuerreform schweigt sie sich ebenso aus wie über die strikte Anwendung des Gesetzes zur Rohstoffsteuer. Dafür hat Flores neben den Unternehmensverbänden auch die Medien klar auf ihrer Seite. Die machen bereits mit Schlagzeilen und Prognosen wie „Lourdes ist schon Präsidentin“ oder „Lourdes hat bereits gewonnen“ auf. An zweiter Stelle in den Umfragen liegt zur Zeit Alan García, der Mann, der als Präsident in den 80er Jahren mit einer Rekordinflation von 7.800 Prozent einen wirtschaftlichen Scherbenhaufen hinterließ und damit den Weg zur Diktatur Fujimoris ebnete.
Wie es einem Präsidenten ergeht, der seine Versprechen nicht einhält, ist Alan García bekannt. Lourdes Flores kann das am Beispiel Alejandro Toledos studieren. Dessen Partei Perú Posible droht bei den Wahlen an der neu eingeführten Vierprozentklausel zu scheitern. Der voraussichtliche Kandidat der Partei, Toledos aktueller Vizepräsident David Waisman, wird in den Umfragen nur mit 1,7 Prozent gehandelt.

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