Imagemaschine
Präsident Juan Manuel Santos kann sich nach den ersten vier Monaten im Amt als Erneuerer des Landes präsentieren
nd bringende Lokomotiven hat sich Präsident Juan Manuel Santos für Kolumbien ausgedacht: Infrastruktur, Landwirtschaft, Wohnraum, Bergbau und Innovation. Der Staat ist die Maschine, die die Lokomotiven koordiniert. Dieses Bild nutzt der Präsident seit seiner Amtsübernahme im August immer wieder – in einem Land, in dem es seit Jahrzehnten keinen Eisenbahnverkehr mehr gibt. Es ist ein sehr aktiver Staat, der da Infrastrukturinvestitionen und formelle Arbeitsverhältnisse verspricht: „In jedem kolumbianischen Haushalt soll wenigstens eine Person einen richtigen Arbeitsvertrag haben. Wir wollen bis 2014 zweieinhalb Millionen neue Arbeitsplätze schaffen“.
Die Zustimmung der Bevölkerung zum Regierungskurs liegt in offiziellen Umfragen denn auch bei um die 80 Prozent. Santos hat es geschafft, das gesamte bürgerliche Lager um sich zu scharen. Er kommt aus der traditionellen politischen Elite Bogotás, anders als sein Vorgänger Álvaro Uribe, dem engere Verbindungen zu regionalen Caudillos und zum Drogenhandel nachgesagt werden.
Vom Image des wütenden Uribe, der auf TerroristInnen schimpft, wenn er kritische JournalistInnen meint, hat Santos den Schwenk zu versöhnlichen Gesten vollzogen. Nicht umsonst ist er im familieneigenen Medienimperium El Tiempo groß geworden. Und er weiß dieses Image international zu festigen: freundliche Treffen mit Hugo Chávez, Investitionssicherheit für die EU. Die „Nationale Einheit“ scheint ein Erfolg. Santos lädt ein, sich hinter seiner Politik zu versammeln. „Die Lösung von Problemen wie der Arbeitslosigkeit, Sicherheit und Armut kann ja keine politische Farbe haben. In wichtigen Projekten haben uns zum Beispiel die Grünen geholfen“, sagte Santos im Interview mit der Zeitung seiner Familie, El Tiempo. Die Grünen hatten mit Antanas Mockus noch im Mai den Gegenkandidaten für die Präsidentschaftswahl gestellt. Eine parlamentarische Opposition steht dem Bündnis von Santos‘ Partido de la U kaum entgegen: Aus dem in sich tief gespaltenen Linksbündnis PDA nähern sich viele der Berufspolitiker dem Projekt der „Nationalen Einheit“ von Santos an.
Dabei gibt es durchaus Dinge, die der Regierung zu schaffen machen. Die winterlichen Überschwemmungen, die dieses Jahr bereits über 195 Tote gefordert und über 1000 zerstörte Häuser zur Folge haben, zwangen Santos dazu, internationale Hilfe anzufordern.
Die Beseitigung des enormen Haushaltsdefizits erklärte der Präsident zur Hauptaufgabe. Im Senat wird ein Gesetz diskutiert, das „das Recht auf Ausgeglichenheit im Staatshaushalt“ in der Verfassung festschreiben soll: Damit könnten alle anderen Vorhaben davon abhängig gemacht werden, ob dann mit Schulden zu rechnen wäre oder nicht. Einmal mehr würde Kolumbien zum Musterschüler des Internationalen Währungsfonds. Sparen will die Regierung zum Beispiel dadurch, dass die Gewinnabgaben aus Bergbau und Ölförderung direkt an den Zentralstaat und nicht mehr an die Regionen gehen sollen. Gespart wird natürlich auch im sozialen Bereich: Die Gesundheitspolitik etwa führt weiter, was im vergangenen Januar schon einmal für massiven Protest gesorgt hatte: Ärmere Patienten haben kaum Chancen, Subventionen aus dem staatlichen Gesundheitsfonds zu bekommen. Eine Behandlung ermöglichen sich die Patienten durch private Zuzahlungen. Ein weiteres Problem für die Regierung ist die Währungsinstabilität: Die kolumbianische Zentralbank kauft einmal mehr täglich 20 Millionen an Dollarreserven auf, damit der Peso im Verhältnis zum schwachen Dollar nicht zu stark und die kolumbianischen Exporte nicht zu teuer werden – von denen ist das Land nun mal abhängig.
Am Wirtschaftsmodell, das sich mitten im Bergbauboom am Export von Kohle, Gold, Öl und anderen Primärgütern orientiert, hat sich nichts geändert. Neuen Raum nimmt aber die Modernisierung der Landwirtschaft ein, wie Agrarminister Juan Camilo Restrepo im August präsentierte: Der Zugang zu Agrarland soll verbessert, die Nutzung verändert, flächendeckend Landtitel vergeben werden, ein Programm zur Rückgabe von Land an Vertriebene aufgelegt und Landtitel auf illegal erworbenes Land entzogen werden. Die Steuern auf Grundbesitz sollen modernisiert werden.
Dass die Regierung die Rückgabe von Land an interne Flüchtlinge verkündet hat, hatte in Bogotá für große Aufmerksamkeit gesorgt. Zunächst gab es zwei Gesetzesprojekte: Eines zur Rückgabe von Land an einen Teil der über vier Millionen von ihrem Flecken Land Vertriebenen. Zwei Millionen Hektar wolle man in den kommenden vier Jahren für Opfer von Vertreibungen verfügbar machen. Außerdem wolle die Regierung „bald“ eine Gesetzesinitiative zur Agrarreform präsentieren, die in Kolumbien seit über 100 Jahren immer wieder gefordert und nie umgesetzt wurde.
Symbolisch ist der Schwenk der Regierung wichtig: Endlich gibt es eine Anerkennung der Vertriebenen. Doch eine Initiative der Regierung ist das Vorhaben keineswegs: Das Verfassungsgericht fordert eine Regelung schon seit Jahren. Die strukturellen Probleme, die die Vertreibung erst möglich machten, würden nicht einbezogen – so jedenfalls die Kritik der Opferorganisationen. Inzwischen seien die beiden Gesetzesvorhaben zusammengeschrumpft auf Initiativen zur Wiedergutmachung. Das Projekt sei sehr begrenzt und habe mit einer Agrarreform nichts zu tun. Was passiere, wenn nun tatsächlich jemand in seine alte Heimat zurückkehre? Es gebe keinerlei Garantien, dass die Vertriebenen nicht erneut mit Verfolgung rechnen müssen. Woher das Geld für die Landverteilung kommen solle, sei unklar. Wie eine kollektive Wiedergutmachung für indigene oder afrokolumbianische Gemeinden aussehen soll, die besonders von Vertreibungen betroffen sind, ist kein Thema. Währenddessen ist die erste Lesung des Gesetzes im Repräsentantenhaus erfolgreich verlaufen, mehrere Lesungen im Senat stehen noch an. Nach anfänglicher Kritik schloss sich das Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) dem Vorhaben an. Konflikte mit Teilen der Ultrarechten sind dennoch möglich: Schon, dass im Gesetzesentwurf Opfer von Verbrechen von Staatsbediensteten ebenfalls als Opfer anerkannt werden, verleitete Ex-Präsident Uribe zur Aussage, das würde die Truppen demoralisieren.
Im Grunde solle das Gesetz den Landbesitz in Kolumbien „in Ordnung bringen“, dieser Meinung ist der Politikwissenschaftler Carlos Gutiérrez. Er befürchtet sogar, eine weitere Landkonzentration könnte die Folge des Gesetzes sein. Besitztitel für privaten Landbesitz werden festgeschrieben, wo dies bisher nicht der Fall war, und damit der Zugang zu Krediten erleichtert. Ein Teil der Vertriebenen wird entschädigt und die Agrargrenze möglicherweise noch ausgeweitet. Erreicht wird eine Inwertsetzung von Parzellen, die zuvor in Subsistenzwirtschaft betrieben wurden.
Das Versprechen der Regierung ist folgendes: „Wir wollen, dass jeder Bauer sich in einen wohlhabenden Juan Valdéz verwandelt: Einen produktiven Unternehmer, der im Berufsverband organisiert ist, mit der Berufung zum Export, der mit technologischer Hilfe erster Güte rechnen kann“, so Santos bei einer Rede im Departamento Bolívar im Oktober. „Juan Valdéz“ ist die kolumbianische Modellfigur des glücklichen Kaffeebauern. Allerdings stellt sich die Regierung vor, export-orientierte Kleinbetriebe in Kooperativen zusammenzuschließen, die von größeren Unternehmen Technologie zur Verfügung gestellt bekommen – unabhängige Landwirtschaft sieht anders aus.
Santos versucht zudem, die Wogen zwischen Exekutive und den Obersten Gerichten wieder zu glätten. Anfang Dezember konnten sich Regierung und Judikative endlich auf die neue Generalstaatsanwältin Vivianne Morales einigen. Der Posten war wegen permanenter Konflikte zwischen Ex-Präsident Uribe und den rechtsprechenden Organen 16 Monate vakant gewesen. Uribe schien zeitweise so etwas wie einen persönlichen Feldzug gegen den Obersten Gerichtshof zu führen. Die „Versöhnung“ mit der Judikative könnte nun allerdings bedeuten, dass einige der PolitikerInnen, die mit dem Paramilitarismus zu tun hatten, mit juristischem Nachspiel zu rechnen haben, da sie das Image einer rechtsstaatlichen Nachkriegsgesellschaft doch gewaltig stören. Da ist plötzlich von Korruption im Transportministerium und im Kolumbianischen Institut für Ländliche Entwicklung (INCODER) die Rede. Letzteres hatte Vertriebenen ihre Landtitel abgesprochen, da sie es ja nicht mehr bewirtschafteten.
Einige aus der Regierung von Álvaro Uribe bekommen es deshalb mit der Angst zu tun. María del Pilar Hurtado beantragte in Panama politisches Asyl – sie sei in Kolumbien „nicht mehr sicher“. Die ehemalige Geheimdienstchefin und der Leiter des Präsidentenamtes Bernardo Moreno sollten wegen des Ausspionierens von Oppositionellen vor Gericht gestellt werden. Dass die Regierung Panamas ihr am 19. November tatsächlich Asyl gewährte, sorgte für Aufsehen und Protestdemonstrationen in beiden Ländern. Immerhin hatte del Pilar Hurtado einem staatlichen Apparat angehört, der über Jahre systematisch mit kriminellen Methoden regierungskritische Organisationen, AnwältInnen und JournalistInnen verfolgte und bis zu den kleinsten häuslichen Details dokumentierte (siehe LN 431). Der kolumbianische Innen- und Justizminister Germán Vargas Lleras beeilte sich zu betonen, dass es sich in Kolumbien um faire Verfahren handele. „Es stimmt nicht, dass der kolumbianische Staat seine Bürger nicht schützen könne. Wir haben hier eine Demokratie, und die drei Gewalten arbeiten harmonisch zusammen“, sagte Präsident Santos. Weiteren „Asyl“-Anträgen wurde daraufhin nicht stattgegeben.
Einerseits sollen wohl tatsächlich staatliche Institutionen wieder in rechtsstaatlichere Bahnen gelenkt werden. Andererseits, so der Politikwissenschaftler Héctor Moncayo in einem Radiointerview, eröffnet sich über diesen juristischen Weg die Möglichkeit, die Verantwortung für staatliche Verbrechen Einzelnen zuzuschreiben: Eigentlich seien staatliche Institutionen Opfer einer Infiltrierung von der Mafia, das habe rein gar nichts mit staatlicher Politik zu tun – private Gruppen seien schuld an Menschenrechtsverbrechen und alles sei zudem hinter Ex-Präsident Uribes´ Rücken geschehen. So blieben Verfahren gegen Einzelne, aber im Großen und Ganzen eine flächendeckende Straflosigkeit der Verantwortlichen die Norm.
Bei all dem ist es fast verwunderlich, wie Santos sein Image im Griff hat, war er doch eine zentrale Figur im Kabinett der letzten Jahre. Als Verteidigungsminister war er verantwortlich etwa für das Bombardement eines Guerilla-Camps auf ecuadorianischem Boden 2008. Während seiner Amtszeit wurde ein System von Boni für SoldatInnen eingeführt, die getötete Gueriller@s präsentierten. Tausende ZivilistInnen wurden daraufhin von Militärs ermordet und als „im Kampf gefallen“ erfasst. Der Trick heißt Rhetorik: Bei allen genannten Vorhaben (Rückgabe von Land, juristisches Haftbarmachen von TäterInnen) wird aus einer Nachkriegsperspektive gesprochen.
Bereits unter Uribe sei erreicht worden, was man wollte: jegliche Versuche einer Friedenspolitik zu delegitimieren, so Moncayo. Denn die sei ja Komplizenschaft mit dem „Terrorismus“. Jetzt wird das Bild verbreitet, der „Terrorismus“ sei so gut wie besiegt, „als wären wir in einer neuen Welt der Versöhnung angelangt“.
In der kolumbianischen Realität herrscht aber weiterhin Krieg: Ende September verbuchte die Regierung einen großen Erfolg, als der FARC-Kämpfer Mono Jojoy getötet wurde. Der so genannte „Konsolidierungsplan“ soll nun – sozusagen als sechste Lokomotive – mit der „integralen Präsenz des Staates“ in etwa Hundert Gemeinden in den Departamentos Meta im Südosten und Sucre und Córdoba im Nordwesten des Landes für Ordnung sorgen, wo die Guerilla zurückgedrängt wurde. „Integrale Präsenz“ bedeutet in diesem Fall Patrouillen von Militärs im städtischen Bereich und soziale Kontrolle auf allen Ebenen: eine neue Phase der „Aufstandsbekämpfung“. Es ist schiere Illusion zu denken, Übergriffe der kolumbianischen Armee auf ZivilistInnen passierten jetzt höchstens noch vereinzelt. Gleichzeitig findet eine Reform der Strafgesetzgebung statt. Eine neue Straftat soll eingeführt werden: Apología al terrorismo heißt soviel wie Rechtfertigung des Terrorismus. Dass eine solche juristische Figur zur Kriminalisierung von KritikerInnen der Regierung beiträgt, liegt auf der Hand. Mit einer ähnlichen Argumentation war schon die liberale Abgeordnete Piedad Córdoba, durch deren Vermittlung in den letzten Jahren mehrere von der FARC Entführte nach Hause zurückkehren konnten, im September ihres parlamentarischen Mandats enthoben worden. Veränderungen sind auch im Strafverfahrensrecht und Polizeirecht geplant.
Die Regierung Santos bedeutet keineswegs die große Erneuerung des Landes. Es ist vielmehr erklärte Regierungspolitik, die Arbeit der Vorgängerregierung weiterzuführen. Aus Deutschland kann sie dabei mit umfassender Unterstützung rechnen: Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), der im November nach Kolumbien reiste, sagte dort, einem Land wie Kolumbien gebühre Solidarität. „Der internationale Terrorismus ist eine Bedrohung für alle. In diesem Zusammenhang wird Deutschland seinen Beitrag leisten.“