Kolumbien | Nummer 366 - Dezember 2004

Immer wieder demobilisieren

Obskure Praktiken von Paramilitärs und Regierung in Kolumbien

Seit 2002 ein einseitiger Waffenstillstand zwischen der kolumbianischen Regierung und den Paramilitärs geschlossen wurde, laufen Verhandlungen über Demobilisierungen. Verschiedene Einheiten haben inzwischen ihre Waffen abgegeben und bis Ende 2005 soll der Prozess laut Regierung abgeschlossen werden. Mittlerweile ist klar, dass es sich bei den Demobilisierungen zum großen Teil um eine Farce handelt: Paramilitärs werden, ohne juristisch zur Verantwortung gezogen zu werden, in die Gesellschaft „reintegriert“ und zum Teil in privaten Wachschutzgesellschaften im direkten Anschluss wieder bewaffnet. Kommandoposten über paramilitärische Einheiten werden für viel Geld gehandelt, weil sich auf diesem Wege auch Mitglieder der Drogenmafia Straffreiheit erkaufen.

Dario Azzellini

In der Provinz Antioquia wüteten die Paramilitärs über Jahre hinweg besonders heftig. Sie konnten dort bereits Anfang der 90er Jahre auf den Schutz des heutigen Präsidenten Álvaro Uribe zählen, der sie als Gouverneur protegierte und die Entstehung legaler paramilitärischer Gruppen (Convivir) förderte. Jetzt sollen die paramilitärischen Einheiten von Antioquia und der Bloque Bananeros aus der Region Urabá zwischen Anfang November und Mitte Dezember demobilisiert werden. Beide Blöcke sind Teil des Paramilitärischen Dachverbandes AUC (Vereinte Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens). In Antioquia sind von dem Programm etwa 500 Paramilitärs betroffen. Nachdem sie sich in bestimmten Gebieten gesammelt haben, sollen sie in ihren ehemaligen Wohnorten „reintegriert“ werden.
Auch für den Bloque Catatumbo im Norden von Santander, der an der Grenze zu Venezuela operiert, steht eine Demobilisierung in Aussicht. Nach Angaben der AUC gehören dem Block circa 3000 Paramilitärs an. Laut Menschenrechtsorganisationen ist der Block für 70 Prozent der 4000 Morde im Stadtgebiet von Cucuta in den vergangenen vier Jahren verantwortlich. Die im Mai diesen Jahres in Venezuela verhafteten 130 kolumbianischen Paramilitärs, die Militäroperationen gegen die Chávez-Regierung vorbereiteten, stammten ebenfalls aus dieser Region. Der Block steht unter dem direkten Oberbefehl des Paramilitärführers Salvatore Mancuso, der gleichzeitig auch Militärchef der AUC ist.

Absurde Verhandlungen
Die Entwaffnung und Rückführung in die Zivilgesellschaft soll bis zum Ende des Jahres durchgeführt sein. Die „Demobilisierung“ geschehe angeblich einseitig und ohne Gegenleistung. 80 Prozent der betroffenen Paramilitärs seien nicht in schwere Verbrechen verwickelt und könnten daher direkt „in das zivile Leben integriert“ werden. Der Rest solle sich entweder am Verhandlungsort Santa Fe de Ralito oder in einer anderen Region sammeln, bis das weitere Vorgehen entschieden sei.

Strategie der
Wiederverwertung
Pro forma verhandeln die Paramilitärs der AUC seit Januar 2003 mit der Regierung über ihre Demobilisierung. Doch seit Beginn der Gespräche ist so gut wie nichts über Inhalte und Verlauf an die Öffentlichkeit gedrungen. Auch von dem Anfang Dezember 2002 ausgerufenen einseitigen Waffenstillstand, der die Grundlage der Verhandlungen bildet, ist nichts zu merken. Unlängst zählte die staatliche Menschenrechtsbehörde Defensoría del Pueblo 342 Verstöße der AUC gegen den vor 23 Monaten verkündeten Waffenstillstand, darunter Massaker, selektive Morde, Entführungen, Erpressung, Vertreibung, Raub und das Anwerben von „Kindersoldaten“. Hinzu kommen die Verbrechen einiger Tausend weiterer Paramilitärs, die nicht über ihre Demobilisierung verhandeln.
Die demobilisierten Paramilitärs werden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen im „Bauernsoldaten-Programm“ der Regierung und von privaten Sicherheitsfirmen „recycelt“. Der ehemalige Kongressabgeordnete Carlos Alonso Lucio schlug sogar vor, die demobilisierten Paramilitärs sollten in die Streitkräfte integriert werden. Lucio ist als Berater der AUC tätig.
Bereits im November 2003 waren 855 AUC-Paramilitärs des Bloque Cacique Nutibara (BCN) in Medellín demobilisiert worden. José Miguel Vivanco, Amerika-Direktor der konservativen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnete die medial aufbereitete Aktion als „Spektakel der Straflosigkeit“. Die Paramilitärs gaben insgesamt gerade mal 110 Kalashnikov-Schnellfeuergewehre, einige automatische Pistolen, Revolver, Jagdgewehre und selbst gefertigte Waffen ab, da sie angeblich „in Schichten“ agierten. Nach nur drei Wochen „Resozialisierung“ wurden 200 von ihnen von einem kommunalen Wachunternehmen angestellt, wieder bewaffnet und zu Patrouillen in die gleichen Stadtteile Medellíns geschickt, die sie auch zuvor heimgesucht hatten. Keine neun Monate später stellte sich heraus, dass ein guter Teil der angeblich Demobilisierten den in Medellín und Umgebung operierenden Paramilitärblock Héroes de Granada gebildet hatten.
Laut AUC und Regierung sollen bis Ende 2005 mehr als 20.000 Paramilitärs „demobilisiert“ werden. Das Friedensforschungsinstitut Indepaz geht im Vergleich zu dieser Zahl von der Existenz von rund 13.000 Paramilitärs aus. So stellt die „Demobilisierung“ nicht nur eine Belohnung für die Paramilitärs dar, die den über Jahre mit Raub, Mord und Drogenhandel angehäuften Reichtum legalisieren können und straffrei ausgehen, sondern auch die Möglichkeit für zahlreiche andere Kriminelle sich wieder eine saubere Weste zu verschaffen. AUC Kommandantenposten der AUC werden daher mittlerweile für Millionensummen an Drogenhändler verkauft.

Sturm auf die Kokain-Stadt
In der Nacht auf den 18. September stürmte die kolumbianische Polizei in der Nähe von Pereira, in Kolumbiens Kaffeeregion, eine kleine Kokainstadt der Paramilitärs. Der Komplex habe 250 Personen in sieben Gebäuden beherbergen können und produzierte nach offiziellen Angaben monatlich eine Tonne Kokain. Die kleine Kokainstadt verfügte über Kanalisation, Krankenstation und Satellitenkommunikation.
Die Anlage gehörte der Front Héroes de Guática des Bloque Central Bolívar, dem größten Block der AUC. Diese unterstand der Führung von Lorenzo González Quinchía alias „Macaco“, der sich bereits seit Mitte Juli in der angeblich für Verhandlungen entmilitarisierten Zone Santa Fe de Ralito aufhält, in der sich die höchsten Kommandanten der AUC versammelt haben. In der mehrere hundert Quadratkilometer großen Region, die unter Kontrolle hunderter bewaffneter „Leibwachen“ der Paramilitärführer steht, sind die Haftbefehle gegen die Paramilitärs ausgesetzt (siehe LN 360). „Macaco“ wird unter anderem wegen Mordes gesucht.

Kampf um Drogen
Drei Stunden dauerten die Kampfhandlungen, dann sei die Anlage durch die Armee eingenommen worden. 42 Personen wurden verhaftet, darunter angeblich drei Kommandanten von Einheiten der Héroes de Guática. Neben Bargeld und Waffen seien mehrere Tonnen Chemikalien zur Kokainproduktion gefunden worden.
„Macaco“ kontrolliert das Drogengeschäft im niederen Cauca von Antioquia, im Süden Bolívars und in Catatumbo. Aus den Einnahmen habe er zahlreiche Unternehmen gekauft, die von Strohmännern geführt würden. Die bewaffneten Strukturen von „Macaco“ erstrecken sich über große Teile des Landes bis zur venezolanischen Grenze.
Insgesamt sollen die kolumbianischen Paramilitärs etwa 70 Prozent des gesamten Kokainbusiness sowie nahezu 100 Prozent des seit Anfang der 90er Jahre wachsenden Heroingeschäfts kontrollieren. Auch wenn Paramilitärs, Polizei und Armee eng miteinander kooperieren, kommen spektakuläre Polizeiaktionen immer wieder vor, da die kolumbianische Regierung Erfolge vorweisen muss, um die als Hilfe im Antidrogenkampf getarnte militärische Unterstützung aus den USA nicht zu verlieren.

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