Kuba | Nummer 353 - November 2003

In Bushs Visier

Die USA erhöhen ihren Druck auf Kuba

Bis März 2003 schien es als gelänge es Kuba, Schritte aus der internationalen Isolation zu machen. Doch mit den Verhaftungen von 75 Oppositionellen und den Todesurteilen gegen drei von elf Fährentführern verhärtete sich der politische Umgang mit Kuba erneut. Während Kuba international in die Isolation gedrängt wird, verspricht US-Präsident George W. Bush den Exilkubanern einen „Systemwechsel“auf der Zuckerinsel. In den Medien werden diese Maßnahmen einseitig diskutiert. Dieser Artikel bietet, unter Einbeziehung von Hintergrundinformationen, eine andere Interpretation an.

Edgar Göll

Kuba ist mega-out. Dabei sah das bis Anfang 2003 noch alles anders aus. Kuba war in der Lage, seine Beziehung zu anderen Staaten, insbesondere zur EU und den USA, mit kleinen Schritten zu verbessern. Die EU hatte ein Büro in Havanna eröffnet, die Bundesregierung plante ein Goethe-Institut aufzubauen, der EU-Außenkomissar Poul Nielson lud Kuba zur Mitgliedschaft in das Cotonou-Abkommen ein. In den USA regten sich in Kreisen von Kongress, Wirtschaft und Zivilgesellschaft immer stärkere Kräfte für den schrittweisen Abbau der aggressiven US-Politik gegen die Karibikinsel.
Und im Jahresbericht von amnesty international wurden für Kuba bis Ende 2002 nur wenige politische Gefangene und Menschenrechtsverletzungen wie zum Beispiel die Zurückhaltung von Medikamenten an Gefangene gezählt. Selbst konservative Kräfte im Westen konstatierten, dass sich die Situation der Menschenrechte nach westlichen Standards in Kuba im Laufe der letzten Jahre verbessert habe. Realitätsnäher lässt sich die Menschenrechtslage in Kuba einschätzen, wenn sie verglichen wird mit Staaten wie der Türkei, Kolumbien oder Mexiko, wo Folter und Attentate an der Tagesordnung sind und vollends, wenn die in UN-Dokumenten mit zugrunde gelegten Dimensionen sozialer Menschenrechte berücksichtigt werden. Hierbei schneidet Kuba wesentlich besser ab als die meisten anderen Staaten, die USA inklusive.
Doch seit April diesen Jahres wird uns ein völlig anderes Bild von Kuba vermittelt: das der kommunistischen, alle Freiheit unterbindenden Diktatur. Klischees des Kalten Krieges und oberflächliche Parallelen mit osteuropäischen Gesellschaften vor 1989 werden aufgeführt. Selten noch wird berichtet, eher einseitig kommentiert. Was ist passiert?

75 Verhaftungen, 3 Hinrichtungen

Akuter Anlass für die negative Berichterstattung waren die im März vorgenommenen Verhaftungen und die anschließenden Verurteilungen von 75 Bürgern in Kuba. Hinzu kam die Exekution von drei jungen Fährentführern. Die von US-dominierten Nachrichtenagenturen darüber weltweit verbreiteten Informationen verbreiteten das Klischee, der ergraute Fidel Castro habe als kommunistischer Diktator und im Schatten des Irakkriegs die Opposition eingesperrt, um die überfällige Öffnung und Liberalisierung zu verhindern.
Das klingt nicht unplausibel. Aber zum Jahrestag des von den USA unterstützten Putsches in Chile und im Jahr des völkerrechtswidrigen Krieges der USA gegen Irak bietet sich eine gänzlich andere Interpretation an. Und es stellt sich die für politische Analysen strategisch bedeutsame Frage „Cui bono“ – wem nutzt es? Die antikubanische Eskalation kam für Bush zum richtigen Zeitpunkt: in Genf tagte die UN-Menschenrechtskommission und die US-Regierung versuchte, wie seit Jahren, Kuba von der UN verurteilen zu lassen.
Was in den herrschenden Diskussionen über die Verhaftungen in Kuba fehlt, sind die Hintergründe. Verschwiegen wurde und wird:
– dass Vertreter der exilkubanischen Kreise verlautbarten, die Bush-Administration habe ihren Vertreter angewiesen, das Regime in Kuba zu provozieren (Neue Zürcher Zeitung 25.3.2003),
– dass der US-Botschafter in der Dominikanischen Republik, Hertell, sagte, der Umgang mit dem Irak sei ein Beispiel für Kuba (Washington Times, 12.4.2003),
– dass in Florida Vorbereitungen der exilkubanischen Terroristengruppe „Comandos F-4“ mit ihren modernen Waffen stattfinden (South Florida Sun-Sentinel 6.4.2003).
Zum Hintergrund der Sicherheitsmaßnahmen in Kuba gehören aber noch zwei grundlegende Entwicklungen. Erstens: Das von konservativen Exilkubanern dominierte Florida spielte bei der Ernennung Bushs zum Präsidenten eine besondere Rolle. Aufgrund der weitgehenden Hegemonie von Rechtskonservativen und Falken in der Administration, dem Kongress und der republikanischen Partei der USA erhalten unilaterale und aggressive Politikmuster Aufwind – auch gegenüber Kuba. Hierzu gehört auch eine postmoderne Variante des Blitzkrieges als neue militärische Doktrin und sicherlich eine entsprechende Überarbeitung der militärischen Contingency Plans gegen Kuba. Dabei handelt es sich um Pläne, die für mehrere Eventualitäten aufgestellt wurden, um auf entsprechend unterschiedliche Herausforderungen umgehend reagieren zu können.
Seit dem Amtsantritt von Bush jr. verschlechtern sich die bilateralen Beziehungen durch zahlreiche Nadelstiche Washingtons. Hintergrund ist die selbstherrliche Ideologie Bushs und die Ernennung reaktionärer Exilkubaner in Regierungsämter. Zum eklatantesten Beispiel sei auf die am Kongress vorbei vorgenommene Einsetzung von Otto Reich als Chef der Lateinamerikapolitik der Bush-Administration hingewiesen. Aufgrund seiner Verwicklungen in zahlreiche US-Interventionen in Lateinamerika unter der Präsidentschaft Ronald Reagans und Verwicklungen dem Iran-Contra-Skandal war dies höchst umstritten und hatte sogar den costaricanischen Ex-Präsidenten Arias veranlasst, öffentlich gegen Reich Stellung zu beziehen. Trotz Verbots verkaufte die damalige US-Regierung unter Präsident Reagan in den 1980er Jahren moderne Waffen an den kriegführenden Iran und unterstützte mit den millionenschweren Geldmitteln – ebenfalls gegen explizite US-Gesetze verstoßend – die gegen die legitime Regierung kämpfenden „Contras“ in Nicaragua.

Staatsfeindliche Bücher

Zweitens: Seit September 2002 ist der erfahrene rechtskonservative Militärexperte James Cason Chef der US-Interessensvertretung in Havanna. Schon vor seinem Amtsantritt hat er sich explizit und öffentlich der Aufgabe verschrieben, die Opposition in Kuba aufzubauen und zu stärken. Dies setzte er in die Tat um. Cason reiste innerhalb kürzester Zeit über 6.200 Meilen und traf sich mit den zahlreichen kleinen Oppositionsgruppen, insgesamt mit etwa 300 Bürgern. Er verteilte als staatsfeindlich deklarierte Materialien wie Bücher und Broschüren, verschenkte tausende von Radioapparaten zum Empfang der von Florida ausgestrahlten kubafeindlichen Sender und vergab infrastrukturelle Unterstützung wie PCs, Internetzugang, Kopierer, Fotoapparate und Videorekorder. Außerdem führte er in seiner Residenz Treffen mit Oppositionellen durch. Und die verurteilten Kubaner wurden nach Angaben der kubanischen Regierung von den USA für ihre Tätigkeit reichlich bezahlt (Pressekonferenz des kubanischen Außenministers Felipe Perez Roque vom 9. April 2002 in Havanna. Siehe auch: Robert Sandels: Cuba Crackdown: A Revolt Against the National Security Strategy – Latin America Database an der University of New Mexico/USA, 25. April 2003). Aufgrund des Helms-Burton-Gesetzes der USA stehen für derartige subversive Aktionen jährlich mehrere Millionen US-Dollar zur Verfügung, die an diverse Nichtregierungsorganisationen verteilt und nach Kuba kanalisiert werden. Regierungsamtliche Angaben der USA über Finanzmittel, die von der US-Administration konkret für gegen das kubanische Gesellschaftssystem gerichtete Aktivitäten vorgesehen sind, können auf der Homepage der US-Entwicklungshilfebehörde (http://www.usaid.gov/regions/lac/cu/) eingesehen werden. Der rechtliche Hintergrund dafür ist, dass mit dem sogenannte Helms-Burton-Gesetz der USA von 1996 in jedem US-Haushaltsjahr Mittel für die Unterstützung der kubanischen Opposition und der „Stärkung der kubanischen Zivilgesellschaft“ zur Verfügung gestellt werden.
Casons subversive Tätigkeit könnte auch zu den bewaffneten Entführungen zweier Flugzeuge und der versuchten Entführung eines Schiffes nach Florida beigetragen haben. Drei der elf Schiffsentführer wurden wegen der Schwere ihres Verbrechens – sie gefährdeten das Leben von etwa 70 Passagieren – zum Tode verurteilt und hingerichtet. Aufgrund der Erfahrungen mit früheren Destabilisierungsaktionen der US-Geheimdienste gegen missliebige Regierungen in Lateinamerika erscheint diese Befürchtung plausibel, wenn auch aus westeuropäischer Sicht unangemessen hart.
Es ist offensichtlich, dass die Bush-Administration mit Vehemenz eine Destabilisierung Kubas betreibt, durch die entweder die Aufkündigung der geringfügigen Beziehungen oder eine offen aggressive, gegebenenfalls militärische Vorgehensweise durch die USA provoziert werden soll. Hierzu werden von Bush bilaterale Abkommen gebrochen. So ist beispielsweise seit 1997 geregelt, dass die USA für KubanerInnen jährlich 20.000 Visa ausstellen sollen. Doch in diesem Jahr wurden lediglich 750 Visa ausgestellt. Zugleich werden die KubanerInnen mit dem einmaligen Angebot gelockt, sie würden bei Betreten der USA als ImmigrantInnen anerkannt und die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Auch hält das US-Militär immer noch das Gebiet Guantanamo auf Kuba besetzt. Dort führt es Militärübungen durch und hat seit fast zwei Jahren 660 des Terrorismus verdächtigte Menschen, darunter auch Jugendliche, unter unmenschlichen Bedingungen interniert. Über all dem schwebt die Wirtschaftsblockade, die trotz der zehn in der UN-Vollversammlung fast einstimmig beschlossenen Resolutionen, die ein Ende der Blockade fordern, welche von den US-Administrationen weiter betrieben wird, was die Regierungen der EU nicht weiter sanktionieren.
Schon jetzt lässt sich durch die von der Bush-Regierung betriebenen neuesten Aggressionen in Kuba einiger Schaden absehen: die betroffenen 78 Familien müssen die Verhaftungen und die drei Hinrichtungen verkraften und ihre Haltung zum Regime dürfte nicht positiver geworden sein; Sicherheitsvorkehrungen in Kuba werden erhöht und entsprechende Kosten entstehen, da sie von Seiten Bushs mit allem rechnen müssen; zugleich dürften daher womöglich Streichungen in ökonomischen, sozialen und ökologischen Bereichen vorgenommen werden; die politische Pluralisierung in der kubanischen Gesellschaft wird weiterhin beschränkt bleiben, Misstrauen und Angst auf allen Seiten dürften steigen; innerhalb der Solidaritätsbewegung gibt es wegen falscher Information bei einigen Mitstreitern Unmut, viele sind erschüttert und frustriert; liberale und unvoreingenommene Sympathisanten dürften mangels wirklicher Informationen über die Vorkommnisse abgeschreckt werden.
Am 11. Oktober 2003 nun hielt US-Präsident Bush im Weißen Haus vor konservativen Exilkubanern eine Rede, in der er eine weitere Verschärfung der Reisemöglichkeiten für US-Bürger nach Kuba und die Einrichtung eines neuen Gremiums in seiner Regierung ankündigte, das einen Systemwechsel in Kuba unterstützen soll.

Angst und Zwietracht

Fazit: Gerade in einer Zeit gestiegener Bedrohung durch die unilaterale Politik von Bush werden durch die Aktivitäten und die Desinformationskampagne der USA in Kuba Angst und Zwietracht gesät, das internationale Ansehen Kubas geschwächt. Die negativen Klischees über Kuba sind nach den US-Kriegen gegen Afghanistan und insbesondere Irak sehr bedeutungsvoll. Denn bei Erreichen einer bestimmten Intensität und Situation, zum Beispiel eine große Ausreisewelle aus Kuba, könnten sie den Vorwand für noch aggressivere oder gar militärische Angriffe bieten.
Zu den Basisrechten von Menschen gehört das in der UN-Charta proklamierte Recht auf selbstbestimmte Entwicklung. Daher sollten diejenigen, denen die Menschenrechte in Kuba ein besonderes Anliegen zu sein scheinensind, sich vehement für eine umgehende Zivilisierung bzw. Verurteilung der US-Politik gegen Kuba einsetzen. Ein Recht auf nationale Selbstverteidigung sollte nicht nur Präsident Bush zugesprochen werden. Daher müsste auch die EU die kürzlich vorgenommene Verschärfung ihrer Kubapolitik gründlich überdenken.

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