Kuba | Nummer 489 - März 2015

In Geduld üben

Drei Fahrradbauer aus dem Saarland würden gerne in Kuba produzieren – trotz Hürden und kleinerer Rückschläge

Kuba öffnet seine Wirtschaft ausländischem Kapital. Seit kurzem ist ein neues Investitionsgesetz in kraft. Drei Saarländer Fahrradbauer wollen davon profitieren.

Andreas Knobloch

Wo auch immer sie in Havanna auftauchen, rufen die Fahrräder kleine Menschenaufläufe hervor. Die Leute bleiben stehen, schauen interessiert, einige applaudieren, andere schwingen sich mit dem Einverständnis der Drei selbst in den Sattel und drehen eine Proberunde. „Die Räder sind schon eine Attraktion“, freut sich Hüseyin Soyalp über die Resonanz.
In der Tat stechen die von ihm entworfenen Zweiräder ins Auge: schwere, lang gezogene Stahlrahmen, bemalt in kräftigen Farben: rot, blau, gelb. Mit den ausholenden Lenkern, dem tiefen Sitz und den breiten Reifen erinnern sie an Chopper-Motorräder.

Auffälliges Gefährt.  Saarländische Räder auf Kubas Strassen. Foto: Andreas Knobloch
Auffälliges Gefährt.
Saarländische Räder auf Kubas Strassen. Foto: Andreas Knobloch

„Sie passen sehr gut nach Havanna – das Geschwungene, das Schwere“, meint Soyalp. In der Tat, die auf alte Schule gemachten Räder mit ihrer Ästhetik der 1950er/1960er Jahre harmonieren perfekt mit dem Stil der US-amerikanischen Straßenkreuzer, die einen in Havanna noch immer auf Schritt und Tritt begleiten. Die altersschwachen Gebäude, abgeblätterten Wände und verblassenden Farben Havannas bilden die Kulisse – großzügige, gefällige Architektur trotz des überall sichtbaren Verfalls.

Man erlebt die Stadt direkter, sagt Martin Staub, über das Fahrgefühl der Fahrräder. Es klingt wie ein Werbespruch. Zwar gebe es ab und zu Probleme mit Schlaglöchern, aber man habe schon Ideen, wie die Rahmen noch stabiler gemacht werden können. Mehr will er nicht verraten. Vielleicht auch deshalb, weil hinter dem Ganzen eine Geschäftsidee steckt. Soyalp, Staub und ihr Kollege Ralf Braun wollen ihre Räder in Kuba herstellen und von dort aus weltweit vermarkten. Deshalb sind sie aus dem Saarland nach Havanna gekommen.
„Wir werden auf der Straße oft gefragt, ob man die Fahrräder kaufen kann und wie teuer sie sind. Aber wir lassen den Preis offen“, sagt Staub. Mehr als 1.000 Euro werden für ein einzelnes Gefährt fällig, soviel verrät er dann doch. Erstaunen. Denn bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von umgerechnet 20 US-Dollar wird sich kaum ein Kubaner solch ein Rad leisten können. Warum also ausgerechnet in Kuba?

Für die Antwort holt Staub ein wenig aus. Er habe 30 Jahre lang für einen Finanzdienstleister gearbeitet, erzählt er, für „den letzten Lebensabschnitt“ aber etwas Anderes gesucht. Nach Kuba kam er erstmals Mitte der 90er Jahre, in der Zeit der schwersten Wirtschaftskrise, nachdem mit dem Verschwinden der sozialistischen Bruderstaaten in Osteuropa drei Viertel des Außenhandels quasi über Nacht weggebrochen waren. Als Tourist bekam man die Härten allerdings nur abgefedert mit. Die Insel habe ihn nicht mehr losgelassen, sagt Staub, die Sonne, die Tropen, die Leichtigkeit … Danach ist er immer wiedergekommen – wie so viele. „Die Idee mit den Fahrrädern ist aus einer Kombination der Leidenschaft für Kuba und der wirtschaftlichen Öffnung des Landes entstanden“, berichtet er.

Kuba befindet sich seit einigen Jahren im Wandel. Weite Teile der Wirtschaft wurden für private Initiativen geöffnet. Rund um den Hafen Mariel im Westen Havannas ist eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet worden, wo unter günstigen Rahmenbedingungen ausländische Unternehmen angesiedelt werden sollen. Und vor wenigen Monaten trat zudem ein neues Investitionsgesetz in kraft. Die Spielregeln ändern sich.
Auch Staub sah plötzlich seine Chance gekommen: „Das neue Investitionsgesetz lockt neben Steuervorteilen und zollfreien Einfuhren mit einer Reihe von Anreizen für potenzielle Investoren: temporäre Residenz, die Möglichkeit, Immobilienbesitz auf der Insel zu erwerben …“ Es klingt ein bisschen so, als spiele dieser Anreiz vor allem für Staub eine nicht ganz unbedeutende Rolle. Aber es geht ihm um mehr: „Ich wollte ein Teil des Wandels sein“, sagt er. Man nimmt es ihm ab. Und dann erzählt er, wie er verschiedene Ideen durchgespielt habe: Photovoltaik, Müllmanagement, Bierbrauerei, irgendwas mit Autos. „Aber diese Projekte wären alle mit hohen Investitionen verbunden gewesen.“ Schließlich ist er bei den Fahrrädern gelandet.

„Ich kannte aus Saarbrücken zwei verrückte Fahrradbauer“, wie er mit einem Augenzwinkern erklärt. Ralf Braun, der wegen seines Aussehens und seiner vielen Tattoos „Popeye“ gerufen wird, sei immer nachts durch die Stadt gefahren und habe gerufen: „Wer will ein Fahrrad? Ich bau’ dir eins!“ Urbane Legende? Zusammen mit Hüseyin Soyalp jedenfalls betrieb Braun eine kleine Fahrradwerkstatt, in der sie alte Schrottfahrräder zusammenbauten und neu lackierten. Irgendwann kam dann die Idee, eigene Rahmen zu entwickeln. Die Entwürfe für das Design male er mit Kreide im Maßstab 1:1 auf den Boden der Werkstatt, berichtet Soyalp, anschließend biege er die Rahmen nach dem vorgezeichneten Muster. Dann würden die Teile verschweißt; den Entwurf wische er wieder weg. „Daher sind alle Räder Unikate, handgemachte Einzelstücke.“

Und die sollen künftig in kleinen Serien auch in Kuba produziert werden, so Staubs Plan. Dazu will er namhafte kubanische Künstler ins Boot holen, die den Fahrrädern eine besondere Note verpassen, diese beispielsweise in den Farben der „Orishas“ anmalen, der Gottheiten der afrokubanischen Religion Santería: in Rot und Schwarz, den Farben Eleguás – dem, der Wege öffnet oder schließt –, im Gelb Ochúns, der Göttin der Flüsse und der Fruchtbarkeit, oder dem Blau und Weiß Yemayás, der Mutter der Fische und des Meeres.
„Die Resonanz ist extrem positiv“, sagt Staub. Tourismusprojekte hätten sich interessiert gezeigt, die Fahrräder beispielsweise für Citytouren zu vermieten. „Aber wir stehen erst am Anfang.“ Noch müssen viele Details geklärt werden. Da ist zum einen die Materialbeschaffung: „Sind die Teile in Kuba beziehbar oder müssen sie importiert werden?“ Zum anderen, ob man ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem kubanischen Partner eingeht. Laut Staub gibt es Gespräche mit einer Fahrradfabrik in Santa Clara, aber man warte noch auf grünes Licht durch die Regierung. Eine andere Möglichkeit wäre, eine eigene Firma zu gründen. Die könnte in der Sonderwirtschaftszone Mariel angesiedelt werden.

„Wir würden gern nach Mariel fahren und uns das dort mal anschauen“, sagt Staub, „warten aber noch auf einen Besuchstermin.“ Doch dafür müsste zunächst ihr Touristenvisum, mit dem sie eingereist sind, in ein Geschäftsvisum umgewandelt werden. Aber das geht nicht von einem Tag auf den anderen, schon gar nicht in Kuba. Geduld ist also gefragt. Überhaupt ticken die Uhren in Kuba manchmal etwas langsamer. War von Regierungsseite im April noch die Rede davon gewesen, dass die ersten ausländischen Unternehmen in der zweiten Jahreshälfte 2014 in der Sonderwirtschaftszone angesiedelt würden, wird nun das kommende Jahr angepeilt.

Kurz vor ihrer Abreise fahren sie dann schließlich doch auf eigene Faust nach Mariel. Sie wollen zumindest einen Eindruck gewinnen. Auf das Gelände der Sonderwirtschaftszone aber kommen sie nicht. Eine andere Besuchergruppe, irgendein Minister, sei gerade auf Rundgang, heißt es zur Begründung. Um nicht völlig unverrichteter Dinge wieder abzufahren, veranstalten sie einen improvisierten Grillnachmittag mit ein paar Anwohner*innen. Bloß nicht unterkriegen lassen von kleinen Rückschlägen. Staub will bald schon wiederkommen – dann mit einem Geschäftsvisum.

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