Kolumbien | Nummer 305 - November 1999

Indígenas zwischen allen Fronten

Ein Staudammprojekt soll trotz verfassungsrechtlicher Bedenken durchgesetzt werden

Seit Jahren wehren sich die BewohnerInnen des Sinú-Tales im Norden Kolumbiens gegen ein Staudammprojekt, das ihre Heimat überfluten und ihnen die Lebensgrundlage entziehen würde. Mit Unterstützung aus dem In- und Ausland erstritten die dort lebenden Indígena vom Volk der Embera-Katío vor Gericht ihr Recht auf Anhörung und Entschädigung. Gekümmert hat das allerdings weder die Kraftwerksbetreiber noch die kolumbianische Regierung.

Jens Holst

Die bisherigen Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betroffenen konnten die grundsätzlichen Probleme nicht klären. Die Indigenen vom Volk der Embera-Katío wollen sich in ihrer Mehrheit nicht mit einer bloßen finanziellen Entschädigung zufrieden geben. Sie fordern Unterstützung für die unausweichliche Umstellung ihrer gesamten Lebens- und Arbeitsweise. Trotz seiner Zusage, sich für die BewohnerInnen des Gebietes einzusetzen, genehmigte Umweltminister Juan Mayr am 8. Oktober die Flutung des Staubeckens. Der kolumbianische Vizepräsident Bell, der sich zu dem Zeitpunkt gerade in Europa aufhielt, kündigte an, Mayr zur Klärung der Hintergründe des Sachverhalts zu einer Reise auf den Alten Kontinent zu veranlassen.
Wer in Kolumbien für seine Rechte eintritt, lebt gefährlich. Sechs führende VertreterInnen des Indianervolkes der Embera-Katío wurden allein in den letzten Monaten ermordet. Paramilitärische Gruppen bedrohen die Menschen, die sich gegen die Inbetriebnahme des Wasserkraftwerkes im nordkolumbianischen Department Córdoba zu Wehr setzen, zerstören ihre Hütten und Boote oder bringen sie mit gezielten Kopfschüssen um. Auf diese Weise versuchen sie, nicht nur den Widerstand gegen das Stromprojekt, sondern auch herrschendes Recht zu brechen.
Das Oberste Verfassungsgericht des Andenstaates gab den klagenden Embera-Katío im November 1998 recht: Die Betreiber und der Staat hätten verfassungswidrig gehandelt, indem sie den Betroffenen das Mitspracherecht vorenthielten. Die Richter hatten den Kraftwerksbetreibern die Fertigstellung nur unter der Auflage erlaubt, daß sie sich mit den Embera-Katío einvernehmlich auf eine angemessene Entschädigung und Starthilfen bei der Umsiedlung einigen. Das ist bisher nicht geschehen, trotzdem hat der nordkolumbiansche Stromlieferant CORELCA die Staumauer und die Turbinen fertiggebaut und Umweltminister Mayr nunmehr die Flutung des Staubeckens genehmigt.

Wunderwerk der Moderne?

Gebaut wurde das 340 Megawatt-Kraftwerk Urrá I am Oberlauf des Sinú-Flusses seit 1994 für knapp 200 Millionen US-Dollar von einem schwedischen Konsortium unter Federführung von Skanska Cementgjuteriet. Den Auftrag hatte CORELCA erteilt, der 1,2 Millionen Menschen an der Karibikküste mit Elektrizität versorgt. Im vergangenen Jahr übernahm die Houston Industries Enegery Inc. mit ihrer venezolanischen Tochter Electricidad de Caracas 65 Prozent der Anteile.
Der 7 400 Hektar große Stausee wird überwiegend Land der Embera-Katío sowie einen Teil des Paramillo-Nationalparks überfluten. Die betroffenen Menschen hat niemand befragt, geschweige denn über die anstehenden Veränderungen unterrichtet. „Wir hatten nie einen Staudamm gesehen und konnten uns gar nicht vorstellen, wie so etwas aussehen würde“, erinnert sich ein Indianer-Vetreter in der Gemeinde Tierra Alta in unmittelbarer Nähe der Staumauer. Die Informationen von Seiten der Investoren waren ebenso spärlich wie unverständlich für die UreinwohnerInnen des Gebietes, die zwar reichhaltige Erfahrungen über die schonende Nutzung des Regenwaldes und der Flüsse vorweisen können, den High-Tech-Neuerungen der westlichen Welt jedoch mit Unwissen und Unverständnis gegenüberstehen.

Strom statt Fische

Erschwert wird die Lage in dem Emberagebiet durch den Konflikt zwischen der linken Guerilla FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und den rechten Paramilitärs. In den letzten Jahren terrorisieren die von Offizieren, Großgrundbesitzern, Drogenbossen und lokalen Machthabern unterhaltenen paramilitärischen Milizen die Zivilbevölkerung. Ihr Anführer Carlos Castaño verkündete letztes Jahr, ein riesiges Gebiet im Nordwesten Kolumbiens, in dem auch das Wasserkraftwerk Urrá I liegt, von Guerilleros zu säubern. In dieser Region, wo die Macht aus den Gewehrläufen kommt und Gewalt zum Alltag gehört, zählen Gesetz und Recht so gut wie nichts. Die kolumbianische Verfassung von 1991 räumt den UreinwohnerInnen des Landes zwar das Recht ein, sich in unabhängigen Reservaten zu organisieren und über ihr Land zu verfügen. Doch wenn dieses Land wirtschaftlichen Interessen im Wege steht, werden die Bewohner bedroht, vertrieben und ermordet. Selbst das Urteil des Obersten Verfassungsgerichts scheint kaum das Papier wert zu sein, auf dem es niedergeschrieben ist.
Die Embera-Katío am Oberlauf des Sinú-Flusses leben überwiegend von Landwirtschaft und Fischfang. Das Staudammprojekt bedroht ihre Lebensgrundlagen. Heftig widersprechen sie den Aussagen von Kraftwerksbetreibern und Regierungsstellen, der Fischfang hätte nach Errichtung der Staumauer deutlich zugenommen. „Seitdem der Fluß für den Bau des Damms umgeleitet wurde, gab es immer weniger Fische“, beklagt ein Bewohner des Tals. Wenn das Kraftwerk erst einmal in Betrieb genommen wird, drohen am unteren Flußlauf weitere Gefährdungen für Mensch und Tier. Da in Urrá I die Turbinen mit Wasser aus den tiefen, nicht belüfteten Schichten angetrieben werden, wird der Sinú mit übelriechenden und teilweise giftigen organischen Abfällen belastet, die beim Absterben der Pflanzen auf dem Grund des Stausees entstehen. An geeigneten Filteranlagen wurde gespart. Die Betroffenen ahnen immer mehr die Konsequenzen des Großprojekts. Doch wer sich gegen das Wasserkraftwerk wehrt, lebt gefährlich und gerät in die Schußlinie der Paramilitärs.

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