Instrumentelle Demokratisierung
In seinem Eingangsaufsatz zeichnet Jochen Hippler die Bedeutung von Demokratie für die Identitätsbildung der westlichen Länder nach. Waren während des Kalten Krieges Antikommunismus und Demokratie die zentralen Elemente der Selbstdefinition und der Abgrenzung zum sozialistischen “Reich des Bösen” (Reagan) sei die Bedeutung des Demokratiebegriffs für die positive Identitätsstiftung des Westens heute “möglicherweise sogar noch wichtiger”. Indem “westlich und demokratisch zu Synonymen” erkoren werden, werde einerseits die westliche Form von Demokratie als einzig wirkliche und damit universell gültige postuliert und damit andererseits zugleich die Rechtfertigung für ihre Verbreitung in der ganzen Welt geliefert.
Was bei rechten Ideologen in den USA, wie Samuel Huntington, einen abgrenzenden Kampf des zivilisierten Westens gegen den Rest der Welt zur Folge hat, wird bei Anthony Lake, einem außenpolitischen Vordenker der Carter-Administration, zu einem “demokratischen Kreuzzug”, mit dem die ganze Welt beglückt werden soll. Um welche Form von Demokratie es sich handelt, wird schon aus der, in der US-Administration gängigen Formulierung von den “market democracies” deutlich. Die Gewichtung ist klar, wie Jochen Hippler schreibt: “Märkte und Demokratie sind nicht gleichgewichtig, sondern Demokratie ist die nachgeordnete Kategorie, die durch wirtschaftliche Reformen erst ermöglicht wird. Demokratie ist die wünschbare Folge von Kapitalismus.”
Die zwei wichtigsten Strategien zur Durchsetzung des westlichen Modells im Süden sind seit den achtziger Jahren Aufstandsbekämpfung und Strukturanpassung. Ergebnis ist zumeist eine formale Demokratisierung, die allerdings an den herrschenden Verhältnissen nichts oder nur wenig verändert. Claude Aké nennt dies in seiner Analyse der Entwicklung in Afrika die “Demokratisierung der Machtlosigkeit”. Die Demokratisierung werde ihres emanzipatorischen Gehalts beraubt und “legitimiert die Machtlosigkeit der Menschen in Afrika, so daß es ihnen vielleicht noch schlechter als vorher geht, als ihre Machtlosigkeit wenigstens noch als ein Problem gesehen wurde. Heute ist sie verschleiert.”
Mit der Universalisierung geht für Aké auch die weitere “Trivialisierung der Demokratie” einher, so wie auf globaler Ebene die Herrschaftsverhältnisse auch innerhalb der einzelnen Staaten konserviert werden: “Demokratie ist so weit trivialisiert worden, daß sie für die Eliten nicht mehr gefährlich ist, die stolz auf ihre demokratische Überzeugung sein können, ohne daß viel von ihnen gefordert würde. Demokratie wird so in einer wesentlich entleerten Form universalisiert, die für die neuen politischen Realitäten im Westen außer als Ideologie kaum relevant ist.” Auch der Übergang von Militärdiktaturen oder Einparteienregimen zu pluralistischen Wahldemokratien ermöglicht in den meisten Fällen lediglich bisher unterlegenen oder ausgeschlossenen Fraktionen der politischen und wirtschaftlichen Eliten, an die Regierung zu kommen – die Mehrheit der Bevölkerung bleibt jedoch weiterhin von der Macht ausgeschlossen.
Wie sehr die Demokratisierung im Süden der wirtschaftlichen Rationalität untergeordnet ist, verdeutlicht Liisa Laakso, die ihre Analyse auf den beiden gängigen Interpretationen des Demokratie-Konzepts aufbaut. In der ersten Konzeption “können Gleichheit, Partizipation oder die institutionelle Gestaltung von Entscheidungen nur in einer wirklich selbstbestimmten sozialen Praxis einen Wert haben. Diese Interpretation reflektiert den substantiellen Inhalt von Demokratie, der ohne Moral unvorstellbar und radikal in seiner Möglichkeit ständiger Neudefinition von Politik ist.”
Dieser substantiellen Konzeption stehe eine zweite Interpretation entgegen, in der “die Bedeutung von Demokratie auf eine bestimmte institutionelle Gestaltung von Entscheidungsstrukturen” reduziert sei. Ihr “hervorstechendstes Merkmal (ist) nicht mehr die Emanzipation, sondern Funktionalität und Effektivität.” Deutlich dominiert heute der instrumentelle Ansatz, der es ermöglicht, von den eigentlichen Problemen der サDritten WeltDen Ideologiecharakter dieses Demokratiekonzepts zeigt auch Susan George in ihrem Aufsatz über das Weltbank-Konzept des good governance. Die Verwendung des im englischen Sprachgebrauch seltenen governance ermögliche es der Weltbank, direkter als bisher auf die Politik der Länder サDritten WeltDamit weitet die Weltbank ihren Einfluß von der ökonomischen auf die politische Sphäre aus, obwohl sie sich aufgrund ihrer eigenen Charta nicht einmischen darf, “wenn es um die Wahl einer bestimmten Regierungsform geht. Die Weltbank ist offiziell eine unpolitische eine rein wirt_schaftliche Instanz. Die Verwen_dung des Begriffs go_vernance ist der Versuch ihre tatsächli_chen Ziele in dieser Hin_sicht zu umschrei_ben.” Nach Susan George ermögliche dies in erster Linie, die Schuld für das Scheitern der bisherigen (Weltbank-) Entwicklungskonzepte den Regierungen des Südens aufzubürden. Dabei sei aber “die Weltbank selbst für viele Probleme in der dritten Welt verantwortlich. Ihr bisheriges Entwicklungskonzept schafft und verschärft geradezu die Armut und vergrößert die Kluft. Die Politik der Weltbank hat in den vergangenen 40 Jahren einerseits Eliten geschaffen, die in das Weltsystem integriert sind, andererseits viele Menschen auf der Strecke gelassen. Jetzt braucht die Weltbank die Armen viel dringender, als die Armen sie brauchen. Den Armen würde es ohne die Weltbank weitaus besser gehen, aber ohne sie würde die Bank eine wichtige Rechtfertigung ihrer Existenz verlieren. Governance ist das passende Mittel, um den nächsten Fehlschlag der Weltbank und ihrer EntwicklungIn zwölf Beiträgen wird in der “Demokratisierung der Machtlosigkeit” versucht, die politische Herrschaft des Nordens über den Süden zu analysieren. Insgesamt lohnt sich die Lektüre, auch wenn die Qualität der Aufsätze sehr unterschiedlich ist. Einige Beiträge bieten nichts Neues und hätten besser nicht Eingang in das Buch gefunden. Dazu gehört beispielsweise einer der beiden Aufsätze, die sich explizit mit Lateinamerika beschäftigen: Xabier Gorostiagas Hindernisse und Chancen für Demokratie in Mittelamerika” verharrt weitgehend in nichtssagenden Allgemeinplätzen und hätte so auch schon vor einigen Jahren geschrieben sein können. Interessanter ist da schon Niala Maharajs Aufsatz Pathologie und Macht
Die “Demokratisierung der Machtlosigkeit” und eine gleichzeitig erschienene Aufsatzsammlung über 50 Jahre IWF und Weltbank bilden den Auftakt zu einer deutsprachigen Buchreihe des Amsterdamer Transnational InstituteDritten Welt den USA und Europa, dessen Di_rektor Jochen Hippler seit einiger Zeit ist. Hoffentlich wird die Arbeit des TNI in Zu_kunft damit auch im deutsch_sprachigen Raum besser bekannt.
Jochen Hippler (Hg.): Demokratisierung der Machtlosigkeit. Politische Herrschaft in der Dritten Welt, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1994, 240 Seiten, DM 32,-
John Cavanagh/Marcos Arruda/Daphne Wysham (Hg.): Kein Grund zum Feiern. 50 Jahre Weltbank und IWF. Kritik und Alternativen, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1994, 176 Seiten, DM 28,-