Literatur | Nummer 250 - April 1995

Instrumentelle Demokratisierung

Zwischen PolitikerInnen von links bis rechts, Basisgruppen und Weltbank, der US-Re­gierung und den Vereinten Nationen herrscht Einigkeit über die Notwendigkeit von Demokratie. Von Nord bis Süd und von West bis Ost wird das hehre Ziel der Demokra­tisierung – insbesondere der “Dritten Welt” beschworen. Doch die Auto_rInnen des von Jochen Hippler herausgegebenen Sammelbandes Demokratisierung der Machtlo­sigkeitDritte Welt

Michael Krämer

In seinem Eingangsaufsatz zeichnet Jochen Hippler die Be­deutung von Demo­kratie für die Identitätsbildung der westli­chen Länder nach. Waren während des Kalten Krieges Antikommu­nismus und Demokratie die zen­tralen Elemente der Selbstdefi­nition und der Abgrenzung zum sozialistischen “Reich des Bö­sen” (Reagan) sei die Bedeutung des Demo­kratiebegriffs für die positive Identitäts­stiftung des Westens heute “möglicherweise sogar noch wichtiger”. Indem “westlich und demokratisch zu Synonymen” erkoren werden, werde ei­nerseits die westliche Form von Demo­kratie als einzig wirkliche und damit uni­versell gültige postuliert und damit ande­rerseits zugleich die Recht­fertigung für ihre Verbreitung in der ganzen Welt gelie­fert.
Was bei rechten Ideologen in den USA, wie Samuel Hunting­ton, einen ab­grenzenden Kampf des zivilisierten We­stens gegen den Rest der Welt zur Folge hat, wird bei Anthony Lake, einem außen­politischen Vordenker der Car­ter-Admini­stration, zu einem “de­mo­kratischen Kreuzzug”, mit dem die ganze Welt be­glückt werden soll. Um welche Form von Demokratie es sich handelt, wird schon aus der, in der US-Administration gängi­gen For­mulierung von den “market de­mocracies” deutlich. Die Ge­wichtung ist klar, wie Jochen Hippler schreibt: “Märkte und Demokratie sind nicht gleich­gewich­tig, sondern Demo­kratie ist die nachge­ordnete Ka­tegorie, die durch wirtschaftli­che Refor­men erst ermöglicht wird. De­mokratie ist die wünschbare Folge von Kapitalismus.”
Die zwei wichtigsten Strate­gien zur Durchsetzung des west­lichen Modells im Süden sind seit den achtziger Jahren Auf­standsbekämpfung und Struk­tur­anpas­sung. Ergebnis ist zumeist eine formale Demo­krati­sierung, die allerdings an den herrschen­den Verhältnissen nichts oder nur wenig verändert. Claude Aké nennt dies in seiner Analyse der Entwicklung in Afrika die “De­mokratisierung der Macht­losigkeit”. Die Demo­kratisierung werde ihres emanzi­patorischen Gehalts beraubt und “legitimiert die Machtlosigkeit der Menschen in Afrika, so daß es ihnen viel­leicht noch schlechter als vorher geht, als ihre Machtlosigkeit we­nigstens noch als ein Problem gesehen wurde. Heute ist sie verschlei­ert.”
Mit der Universali­sierung geht für Aké auch die weitere “Trivialisierung der De­mokratie” einher, so wie auf glo­baler Ebene die Herr­schaftsverhältnisse auch inner­halb der einzelnen Staaten kon­serviert werden: “Demokratie ist so weit trivialisiert wor­den, daß sie für die Eliten nicht mehr ge­fährlich ist, die stolz auf ihre demokrati­sche Überzeugung sein können, ohne daß viel von ihnen gefordert würde. Demo­kratie wird so in einer wesentlich entleer­ten Form universalisiert, die für die neuen politischen Re­alitäten im Westen außer als Ideologie kaum relevant ist.” Auch der Übergang von Militär­diktaturen oder Ein­partei­en­regimen zu pluralisti­schen Wahl­demokratien ermög­licht in den meisten Fällen le­diglich bisher unterlegenen oder ausgeschlos­senen Fraktionen der politi­schen und wirtschaftlichen Eliten, an die Regierung zu kommen – die Mehrheit der Be­völkerung bleibt jedoch weiter­hin von der Macht ausgeschlos­sen.
Wie sehr die Demokratisie­rung im Süden der wirtschaftli­chen Rationalität untergeordnet ist, verdeutlicht Liisa Laakso, die ihre Analyse auf den beiden gängigen Interpretationen des Demokra­tie-Konzepts aufbaut. In der ersten Kon­zeption “kön­nen Gleichheit, Partizipation oder die institutionelle Gestal­tung von Entscheidungen nur in einer wirklich selbstbestimmten sozialen Praxis einen Wert ha­ben. Diese Interpretation reflek­tiert den substantiellen Inhalt von Demo­kratie, der ohne Moral un­vorstellbar und radikal in sei­ner Möglichkeit ständiger Neu­definition von Politik ist.”
Dieser sub­stantiellen Kon­zeption stehe eine zweite Inter­pretation entge­gen, in der “die Be­deutung von Demokratie auf eine be­stimmte institutionelle Gestaltung von Entscheidungs­strukturen” redu­ziert sei. Ihr “hervorstechendstes Merkmal (ist) nicht mehr die Emanzipa­tion, sondern Funktio­nalität und Effektivität.” Deut­lich domi­niert heute der instru­mentelle Ansatz, der es ermög­licht, von den ei­gentlichen Pro­blemen der サDrit­ten WeltDen Ideologiecharakter dieses Demo­kratiekonzepts zeigt auch Susan George in ihrem Aufsatz über das Weltbank-Kon­zept des good governance. Die Verwen­dung des im englischen Sprach­gebrauch seltenen governance ermögliche es der Weltbank, di­rekter als bisher auf die Poli­tik der Länder サDritten WeltDamit weitet die Weltbank ih­ren Ein­fluß von der ökonomi­schen auf die politi­sche Sphäre aus, ob­wohl sie sich aufgrund ih­rer eige­nen Charta nicht einmi­schen darf, “wenn es um die Wahl einer bestimmten Regie­rungsform geht. Die Welt­bank ist of­fiziell eine unpolitische eine rein wirt_schaftliche Instanz. Die Verwen_dung des Begriffs go_vernance ist der Versuch ihre tatsächli_chen Ziele in dieser Hin_sicht zu umschrei_ben.” Nach Su­san Ge­orge ermögli­che dies in erster Linie, die Schuld für das Schei­tern der bis­herigen (Weltbank-) Entwick­lungs­kon­zepte den Re­gierungen des Südens aufzubür­den. Dabei sei aber “die Welt­bank selbst für viele Probleme in der dritten Welt verantwortlich. Ihr bisheri­ges Entwicklungskon­zept schafft und ver­schärft gera­dezu die Ar­mut und vergrößert die Kluft. Die Politik der Welt­bank hat in den vergangenen 40 Jahren ei­nerseits Eli­ten geschaf­fen, die in das Weltsystem in­tegriert sind, andererseits viele Menschen auf der Strecke gelas­sen. Jetzt braucht die Weltbank die Armen viel dringender, als die Armen sie brauchen. Den Armen würde es ohne die Welt­bank weitaus bes­ser gehen, aber ohne sie würde die Bank eine wichtige Rechtfertigung ihrer Exi­stenz verlieren. Governance ist das pas­sende Mittel, um den näch­sten Fehlschlag der Welt­bank und ihrer EntwicklungIn zwölf Beiträgen wird in der “Demokratisierung der Machtlo­sigkeit” versucht, die politische Herrschaft des Nordens über den Süden zu analysieren. Insgesamt lohnt sich die Lektüre, auch wenn die Qualität der Aufsätze sehr unter­schiedlich ist. Einige Beiträge bieten nichts Neues und hätten besser nicht Ein­gang in das Buch gefunden. Dazu gehört beispielsweise einer der beiden Aufsätze, die sich explizit mit Lateinamerika be­schäftigen: Xa­bier Gorostiagas Hindernisse und Chancen für Demokra­tie in Mittelamerika” verharrt weitge­hend in nichtssagenden Allge­meinplätzen und hätte so auch schon vor einigen Jahren ge­schrieben sein können. Interes­santer ist da schon Niala Maha­rajs Aufsatz Pathologie und Macht

Die “Demokratisierung der Machtlo­sigkeit” und eine gleich­zeitig erschienene Aufsatz­sammlung über 50 Jahre IWF und Weltbank bilden den Auftakt zu einer deutsprachigen Buch­reihe des Amsterda­mer Trans­national InstituteDritten Welt den USA und Europa, dessen Di_rektor Jochen Hippler seit einiger Zeit ist. Hoffentlich wird die Arbeit des TNI in Zu_kunft damit auch im deutsch_sprachigen Raum besser bekannt.

Jochen Hippler (Hg.): Demokrati­sierung der Macht­losigkeit. Politi­sche Herrschaft in der Dritten Welt, Konkret Li­teratur Verlag, Hamburg 1994, 240 Seiten, DM 32,-
John Cavanagh/Marcos Ar­ru­da/­Daphne Wysham (Hg.): Kein Grund zum Feiern. 50 Jahre Welt­bank und IWF. Kritik und Alternati­ven, Kon­kret Literatur Verlag, Ham­burg 1994, 176 Sei­ten, DM 28,-

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