Gentechnik | Nummer 281 - November 1997

Intensive Aromaerlebnisse

Von Gen-Gauloises und Tumor-Bakterien

Weizen, Reis, Mais, Hirse, Kartoffeln – der Mensch ernährt sich nur von wenigen der rund 30.000 eßbaren Pflanzenarten. Zehn Kulturpflanzen, deren Ursprünge in Regionen der sogenannten Dritten Welt liegen, decken heute über zwei Drittel der Welternährung. Nutzpflanzen wurden in Jahrtausenden zu Kulturpflanzen. Innerhalb weniger Jahre züchtete die moderne Wissenschaft daraus die heute eingesetzten Hochertragssorten. Die Gentechnologie wird die wenigen Kultursorten noch einmal grundlegend verändern.

Henning Strodthoff

Mit Pflanzen, die mittels Gentechnik gegen Pflanzengifte (Herbizide) widerstandsfähig gemacht wurden, sind bisher mehr als die Hälfte aller weltweit durchgeführten Freisetzungsexperimente durchgeführt worden. Für die Konzerne ist die Herbizidresistenz ein gutes Geschäft, weil das Gift, gegen das die Pflanzen widerstandsfähig gemacht wurden, oftmals aus dem eigenen Hause kommt. So konstruierte der US-Multi Monsanto Raps- und Sojapflanzen, die den firmeneigenen Unkrautvertilger Roundup überleben.
Mit Hilfe der Gentechnik sollen Pflanzen giftige Substanzen produzieren, die sie vor Schädlingen schützen. Dazu werden sie mit dem Erbgut von Organismen ausgestattet, die sich natürlicherweise mit Gift-Genen in ihrer Umwelt behaupten. Der Bacillus thuringiensis (Bt) ist ein solcher Organismus. Der Schweizer Konzern Novartis hat einen Mais konstruiert, der sich mittels eines Bt-Gens vor gefräßigen Maiszünsler-Raupen schützen soll. Damit die Pflanzen sich selbst gegen Viren oder bakterielle Krankheitserreger schützen können, werden sie mit Genen von Mikroorganismen oder Viren ausgestattet. So sollen die Zuckerrüben der Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS), die seit 1993 in Niedersachsen und Bayern im Freiland getestet werden, gegen die Viruskrankheit Rizomania widerstandsfähig sein.

Neue Inhaltsstoffe

Vielen Nutzpflanzen, die zu den Hauptnahrungsmitteln der Menschheit zählen, fehlt der eine oder andere für den Menschen lebenswichtige Inhaltsstoff. Zum Problem wird das meist dann, wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, sich ausgewogen von unterschiedlichen Lebensmitteln zu ernähren.
Die Gentechnik bietet High-Tech-Lösungen: Philippinische und Schweizer Forscher entwickeln eine neue gentechnische Reissorte, die den Vitamin A-Mangel in vielen Ländern beheben soll. Auch in den Industrieländern sollen die Verbraucher von neuen Pflanzeninhaltsstoffen profitieren: Fades Obst und Gemüse soll mit Genen für intensive Farb- und Aromaerlebnisse aufgepeppt werden.
Je nach Bedarf kann aus gentechnisch veränderten Pflanzen Plastik, Verpackungsmaterial oder Treibstoff fabriziert werden, maschinengerecht und industriegenormt. Das Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie testet seit 1996 im brandenburgischen Golm bereits über 90 verschiedene Kartoffellinien im Freiland. Sie enthalten nur noch ganz spezielle Stärken, maßgeschneidert für die Kosmetik-, Verpackungs- oder Nahrungsmittelindustrie.
Pflanzen können nach gentechnischer Manipulation plötzlich den Süßstoff Thaumatin, künstliche Eiweiße oder sogar teure menschliche Antikörper für Impfstoffe produzieren. Das Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben testet bereits manipulierten Tabak im Freiland, der für die Backindustrie das Enzym Xylanase produzieren kann.
Einige Vorhaben der PflanzengenetikerInnen lassen sich vielleicht erst in ferner Zukunft, möglicherweise auch gar nicht, in marktreife Produkte umsetzen. Denn die Wechselbeziehungen des Pflanzenerbguts mit den jeweiligen Umweltfaktoren sind oft viel komplizierter, als die ForscherInnen zu Beginn ihrer Projekte gedacht hatten.

Kunterbunter Wildwuchs

Schon das erste offizielle deutsche Freisetzungsexperiment in Köln endete in einem Fiasko: 40.000 manipulierte Petunien, ausgestattet mit einem Maisgen für eine lachsrote Blütenfarbe, blühten statt rot plötzlich weiß. Auch waren die manipulierten Petunien vitaler und größer als ihre unveränderte Ausgangsform. Sie besaßen also plötzlich ganz neue Eigenschaften, obwohl ihnen doch nur das Gen für die Blütenfarbe übertragen worden war. Das zeigt: Lebewesen sind mehr als nur molekulare Maschinen. Und ein Gen ist kein einfacher Programmierbefehl.
Gene können, das ist längst bekannt, von Pflanzen an Bodenbakterien weitergegeben werden. Und erst nach den ersten Freisetzungen entdeckte man, daß Milben Gene zwischen Pflanzen und Tieren hin- und hertransportieren und sogar in fremdes Erbgut einschleusen können. Zwischen der ersten Aussaat der neuen Pflanze und dem Auftreten von massenhaften Schäden können zweihundert Jahre liegen. Eines muß klar sein: Einsammeln und wie manche Chemie-Schadstoffe entsorgen lassen sich vermehrungsfähige Organismen nicht.

Der Hunger bleibt

Gentechnik soll die Welternährung sichern, so lautet ein Versprechen der ForscherInnen. Zu den ganz großen Versprechen der Gentechnologie gehört es, das Hungerproblem einer ständig wachsenden Weltbevölkerung lösen zu können. Genmanipulierte Nutzpflanzen sollen Erträge steigern und Verluste durch Pflanzenkrankheiten und Insektenfraß vermindern. Doch der Hunger von 800 Millionen Menschen hat politische Ursachen. Menschen verhungern neben gedeihenden Feldern, deren Erträge in die Industrieländer exportiert werden, um Zinslasten und Schulden abzutragen. Die Gentechnologie wird die Länder des Trikonts in weitere Abhängigkeiten treiben. Wer sich keine hochgerüstete Wissenschaftsindustrie leisten kann, darf das patentierte Gentech-Saatgut nur gegen Lizenzgebühren nutzen, auch wenn die Pflanzen ursprünglich einmal aus dem eigenen Land stammten.
Agrarwissenschaftler sind sich heute weitgehend darüber einig, daß annähernd stabile Ernten Vielfalt brauchen. Am besten ist es, wenn jeder Halm auf dem Acker sich genetisch ein wenig von seinem Nachbarn unterscheidet und die Nahrungspflanzen den besonderen Bedingungen vor Ort angepaßt sind. Ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) wirft die Frage auf, ob mit einem Einstieg der Länder der sogenannten Dritten Welt in die Gentechnik nicht Mittel gebunden werden, die für einfachere und effektivere Produktionssteigerungen eingesetzt werden können.

Vom Acker…

Genmanipulierte Pflanzen werden in allen Erdteilen freigesetzt, oft in Ländern ohne gesetzliche Regelungen für gentechnische Experimente, ohne Sicherheitsvorschriften und Kontrollen. Auch kommerziellen Anbau gibt es bereits: Virus-resistenten Tabak in China, Anti-Matsch-Tomaten in Guatemala, Herbizid-resistente Soja- und Rapspflanzen oder Insekten-resistente Baumwolle in den USA und Kanada. Dabei werden die Pflanzen auf zum Teil riesigen Flächen freigesetzt. Oft genügt ein Windstoß, um mit den Blütenpollen auch die Zusatz-Gene über große Entfernungen unkontrolliert zu verbreiten. Dänische Wissenschaftler konnten am Raps zeigen, daß schon nach kurzer Zeit die Fremd-Gene auf andere verwandte Pflanzen überspringen. Die Folgen solcher Genwanderungen sind unübersehbar.

…in den Magen

Mit den neuen Kreationen aus dem Labor werden immer, ob gewollt oder ungewollt, auch Substanzen verspeist, die bisher in der menschlichen Nahrung nichts zu suchen hatten. Zufällig und unerwartet wurde entdeckt, daß gewöhnliche Bohnen, die dem Wirkstoff von Roundup (Glyphosat) ausgesetzt waren, Substanzen anreicherten, die wie das Hormon Östrogen wirken. Mit der Genübertragung werden Pflanzen dazu gebracht, Eiweiße zu bilden, die bisher überhaupt nicht oder nur in Spuren in Lebensmitteln zu finden waren.
Hülsenfrüchte sollen so verändert werden, daß sie die Aminosäure Methionin in großen Mengen produzieren. Hintergrund: Bohnen sind in einigen Regionen der Welt der wichtigste Lieferant für Eiweiße. Es fehlt ihnen jedoch vor allem an der essentiellen Aminosäure Methionin, so daß Menschen nicht allein von Bohnen leben können. Die WissenschaftlerInnen des Saatgutunternehmens Pioneer Hi-Bred übertrugen den Bohnen ein Gen für Methionin aus der Paranuß. Das Projekt sorgte für weltweite Schlagzeilen: Die Sojabohnen mit dem Nuß-Gen lösten – ebenso wie die Paranuß – in Vortests schwere Allergien aus. Das Forschungsprojekt wurde eingestellt.
Unbeirrt forscht man am Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben an einem ähnlichen Vorhaben weiter: Resistenz-Gene gegen Antibiotika. Den meisten genmanipulierten Pflanzen wird ein Resistenz-Gen gegen Antibiotika übertragen. Dieses Gen wird von den Gen-Forschern benötigt, um kontrollieren zu können, ob die Genmanipulation erfolgreich war oder nicht. Zu befürchten ist, daß sich die Antibiotika-Resistenz auf Krankheitskeime, auf Tiere oder gar auf Menschen überträgt. Als Medizin verordnete Antibiotika könnten so ihre Wirkung verlieren.

Gentech à la carte

Die ersten genmanipulierten Nutzpflanzen sind bereits für die Länder der Europäischen Union (EU) und damit auch für Deutschland zugelassen. Noch dürfen Sie hier nicht angebaut werden – es fehlen die notwendigen Sortenzulassungen. Doch schon jetzt werden genmanipulierte Nutzpflanzen in die EU importiert.
Die erste Marktzulassung für eine genmanipulierte Nutzpflanze erteilte die Kommission für die Länder der EU 1994. Der französische Konzern Seita, durch seine Zigarettenmarken Gauloises und Gitanes bekannt, darf seitdem Gen-Tabak unbeschränkt anbauen und verarbeiten.
Ob Mais, Raps oder Salat, viele Pflanzen sollen die Gentech-Speisekarte bereichern. Selbst Vertreter der Genehmigungsbehörden gestehen ein, daß sie noch kein umfassendes Konzept zur Risikobewertung von genmanipulierten Pflanzen haben. Trotzdem geben sie der Gentech-Industrie Grünes Licht für den großflächigen Anbau der neuen Hightech-Pflanzen. In der Praxis soll sich dann zeigen, ob die Pflanzen oder daraus hergestellte Lebensmittel neuartige Risiken bergen: Ein weltweites Experiment – und die VerbraucherInnen sind die Versuchskaninchen.

Falschgestellte Weichen

Die Gen-Ingenieure versprechen bei der Nutzpflanzenforschung viel, zu bieten haben sie jedoch allenfalls Scheinlösungen – mit einem ganzen Bündel unkalkulierbarer gesundheitlicher und ökologischer Risiken. Die Gentechnologie führt die Landwirtschaft weiter in die High-Tech-Sackgasse. Statt den integrierten Pflanzenschutzes weiterzuentwickeln und den ökologischen Landbau zu fördern, werden die Pflanzen selbst zu Pestiziden aufgerüstet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die unerwünschten Beikräuter resistent sind. Neue Mixturen aus der Giftküche sind gefragt, der Teufelskreis des chemischen Pflanzenschutzes geht weiter. Die angeschlagene bäuerliche Landwirtschaft gerät in neue Abhängigkeit: So verkauft der US-Konzern Monsanto sein Herbizid-resistentes Sojasaatgut nur an Farmer, die ausdrücklich erklären, daß sie bei der Ernte kein Saatgut für die nächstfolgende Aussaat zurückbehalten. Statt natürlicher Vielfalt der Sorten gibt es uniforme nachwachsende Rohstoffe, passend für die Großindustrie. Und statt gesunder, möglichst wenig verarbeiteter Nahrung aus umweltverträglichem Anbau kommen künftig noch künstlichere, durchkonstruiertere Nahrungsmittel ins Angebot. Den VerbraucherInnen wird ein völlig überflüssiges gesundheitliches Risiko aufgebürdet.

KASTEN

Wußten Sie, daß…

… zu Beginn der 80er Jahre fast der gesamte Zuckerimport der Philippinen in sich zusammenbrach?
Allein auf der Insel Negros wurden 250.000 Menschen arbeitslos. Der Grund: In den USA wurde plötzlich kaum noch Rohrzucker gebraucht. Vor allem Pepsi und Coca Cola süßten ihre Limos mit einem neuen Zuckersirup. Man gewann den neuen Zucker mit Hilfe von Spezial-Enzymen, die inzwischen fast ausschließlich von genmanipulierten Mikroorganismen gewonnen werden. Dieser Zucker-Ersatz HFCS (High Fructose Corn Sirup) wurde das kommerziell erfolgreichste Produkt der neuen Biotechnologie und entwertete damit das Zuckerrohr, von dem viele Länder des Südens leben.
… die traditionellen Anbauländer des Südens allein beim Zucker mit Exportverlusten von jährlich 6,5 Milliarden US-Dollar rechnen müssen?
… das Aroma der Vanille demnächst in großen Tanks, gefüllt mit Kulturen von Vanille-Zellen, hergestellt werden soll?
Jedenfalls haben einige US-Unternehmen erklärt, ihnen sei die pflanzenlose Produktion echter Vanille gelungen. Derzeit stammt die Vanille noch aus den Schoten der Orchideenart Vanilla planifolia, die überwiegend von Kleinbauern und -bäuerinnen auf Madagaskar und den Reunión-Inseln angebaut wird. Vanille ist das Hauptexporterzeugnis dieser Länder, die mehr als zwei Drittel des Weltbedarfs liefern.


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