Interkontinental gegen neoliberal?
Zu den Vorbereitungen des 2. Interkontinentalen Treffens gegen Neoliberalismus und für eine menschliche Gesellschaft
Und los ging’s. Seit letztem Dezember gab es mehrere Vorbereitungstreffen. Es wurde eine weltweite Befragung (consulta) erarbeitet, um möglichst viele Meinungen hinsichtlich des endgültigen Verlaufs des Treffens zu hören (siehe LN 274). Inzwischen arbeiten sechs internationale Kommissionen zur Vorbereitung und des 2. Encuentro Intercontinental, das vom 25. Juli bis 3. August in Spanien stattfindet. Es wird damit gerechnet, daß etwa 3.000 Menschen daran teilnehmen werden.
Der organisatorische Ablauf erinnert stark an das letzjährige Treffen in Chiapas. Die Arbeitsgruppen sollen jedoch nicht wie im vergangenen Sommer von den OrganisatorInnen vorgegeben werden. Vielmehr sind die TeilnehmerInnen selbst gefordert, das Treffen inhaltlich vorzubereiten und auszugestalten. Dazu kann es in den AGs einzelne vorbereitete Beiträge geben.
Deshalb sind folgende Termine in der Vorbereitung wichtig: Bis 31. Mai: Anmeldung der Arbeitsgruppen bei der Kommission für Inhalte (Kontakt siehe unten). 15. bis 30. Juni: Anmeldung der TeilnehmerInnen Zur Anmeldung der TeilnehmerInnen wird es nicht, wie im vergangenen Jahr, landesweite Kommissionen geben, sondern regionale Knotenpunkte. Dies wird beim nächsten Bundestreffen in Hannover vom 23. bis 25. Mai genauer besprochen (Kontakt: Jürgen Otte, Tel. 0511/455288 oder 455804).
Nicht zuletzt der dezentrale Charakter des Treffens erfordert einige finanzielle Mittel, denn die Reisen während des Treffens sollen aus dem Gesamtetat finanziert werden. Kalkuliert wird bislang mit einem Etat von etwa 800.000 DM, in dem 20 Prozent für Reisekosten von TeilnehmerInnen aus peripheren Ländern verwandt werden. Von 15 Gruppen in Deutschland wurde zugesagt, über die Organisierung von Feten, Spendenkampagnen oder Anträge bei Stiftungen etwa 35.000 DM beizusteuern. Dennoch wird ein Teilnahmebeitrag erhoben werden müssen.
Politische Diskussion bisher vernachlässigt
Bislang wenig diskutiert wurde die politische Bedeutung des Treffens. Dazu wollen wir hier lediglich einige Probleme andeuten – nicht um das Treffen und die enorme Vorbereitungsarbeit zu denunzieren, sondern um eine Diskussion über den politischen Stellenwert zu entfachen:
Eine Gefahr der großen Vorbereitungs-dynamik ist zweifellos, daß der Kern der AktivistInnen wegen des Zeitdrucks oder aus anderen Gründen den Vorbereitungsprozeß nicht mehr transparent gestaltet, was im Endeffekt zu Lasten einer breiten Beteiligung gehen kann. Dies wird an der bereits erwähnten Befragung deutlich (abgedruckt in der Flugschrift Land und Freiheit vom 1. März 1997).
Zum Teil hatten die Fragen das Niveau der Preislage wie “Das Treffen soll Räume zum Austausch von Ideen, Praktiken und Wünschen öffnen” oder “Wir wollen daß Männer und Frauen gmeinsam voranschreiten, wobei die wirkliche Beteiligung der Frau gefördert werden soll.” Es war jeweils mit ja oder nein zu antworten. Viele beantworteten die Fragen gar nicht, denn sie wirkten eher wie eine Rechtfertigung, zwar alle Interessierten ganz “zapatistisch” am Vorbereitungsprozeß zu beteiligen, sich aber im Grunde dann doch die wesentlichen Entscheidungen vorzubehalten. Einige derer, die mit der Befragung angesprochen und motiviert werden sollten, sprachen verärgert von “Verarschung”.
Viele Entscheidungen, die die Ausrichtung des Treffens prägen, werden vor Ort getroffen – und müssen in vielen Fällen auch dort getroffen werden.
Die Frage ist, wie transparent das geschieht und ob nicht doch manchmal “organisatorische Sachzwänge” vorgeschoben werden. So wurde beispielsweise von vielen an der internationalen Befragung kritisiert, daß die Durchführung des Treffens an fünf veschiedenen Orten schon festgelegt sei. Warum nicht an einem Ort und die großen Fahrtzeiten anderweitig nutzen? Warum nicht mit den hohen Fahrtkosten lieber Leute aus peripheren Ländern einladen? Diese Fragen wurden gar nicht gestellt, sondern waren, in einigen Fällen aus “organisatorischen Gründen”, schon entschieden.
Ein diffuses “Wir”
Ein weiterer Aspekt ist der permanente Rekurs auf ein vereinheitlichendes Wir. Wir, die sich treffen; wir, die den Widerstand gegen die neoliberale Barbarei vorantreiben; wir, die eine neue Welt schaffen wollen. Teilweise entsteht der Eindruck, daß hier eine sehr problematische Identitätsbildung betrieben wird. Nennen wir sie mal etwas überspitzt die “Identität der Widerständigen”. Konstruiert wird sie mit Sätzen wie diesem (aus einem Aufruf zum 2. Interkontinentalen Treffen): “Wir alle sind einer intensiven Kolonisierung unserer Aktivitäten und Beziehungen durch ein- und dasselbe System ausgesetzt… Überall sind wir viele, die wir unzufrieden sind.”Die genannten sechs internationalen Kommissionen haben jeweils in der Bundesrepublik Ansprechpartner.
Dieses Wir läuft Gefahr, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken, Grautöne zu übersehen und andere auszuschließen. Es führt auch dazu, politische Diskussionen innerhalb der politischen Zusammenhänge, die sich bei der Organisierung der Treffen gegen Neoliberalismus einbringen, auszublenden. Komplementär zu dieser “Wir”-Konstruktion sind die unterschiedlichen Verständnisse dessen, was nun unter “Neoliberalismus” verstanden wird. Hier besteht unbedingter Diskussionsbedarf hinsichtlich der Interpretation heutiger Verhältnisse und der Möglichkeiten für eine radikale emanzipatorische Politik.
Der Zeitdruck verhindert inhaltliche Diskussion
Schließlich wird der andauernde Zeitdruck zum politischen Problem. Exemplarisch wird das deutlich an der unzureichenden Auswertung der Treffen in Berlin und Chiapas 1996. Direkt nach Berlin wurden alle Anstrengungen auf die Vorbereitung des Treffens in Chiapas konzentriert. Es kam weder zu einer umfassenden Auswertung des Berliner Treffens noch zu inhaltlichen Diskussionen im Hinblick auf das zwei Monate später in Chiapas stattfindende Meeting. Nach Chiapas war es ähnlich. Beim zweiten bundesweiten Auswertungstreffen in Frankfurt kam ein kluger und löblicher Vorschlag aus Zürich für eine Vorbereitungssitzung zum 2. Interkontinentalen Treffen. Seitdem fließt viel Kraft in die Vorbereitung des Treffens. Was die Organisation angeht, so wurde einiges gelernt aus den Treffen in Berlin und Chiapas. Dennoch bleibt kein Raum für die entscheidende Frage, die gar nicht lähmend verstanden werden soll: Was sollen eigentlich die ganzen Treffen? Steht das Thema Neoliberalismus im Mittelpunkt? Warum nicht alle zwei Jahre ein Treffen? Welche Bedeutung soll/kann das immer wieder zitierte “Netz” haben? Wie können andere soziale und politische Spektren einbezogen werden? Geht es wirklich um “die” Marginalisierten oder darum, verschiedene existierende Kämpfe besser kennenzulernen und an bestimmten Punkten zusammenzuarbeiten?
Dies alles sind Fragen, die angesichts des enormen Druckes bislang kaum gestellt wurden. Trotzdem halten wir die Treffen für wichtig und werden auch daran teilnehmen. Allerdings warnen wir vor zu hohen Erwartungen – und vor allem vor der Selbstüberschätzung der Organisierenden. Erfahrungsaustausch und Vernetzungsprozesse sollten genauso vorangetrieben werden wie die Diskussionen mit anderen politischen Sprektren und untereinander. Jedoch: Die in Europa und anderswo aktiven Gruppen, die sich an den Treffen gegen Neoliberalismus beteiligen, sind nicht der wie auch immer geartete “Kern” das Widerstands. Sie sind ein heterogener und relativ kleiner, wenn auch dynamischer Teil davon. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.