Aktuell | Nummer 587 - Mai 2023 | Peru

Ja, in Peru gab es Menschenrechtsverletzungen

Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen in der westlichen Welt widerlegen die Falschdarstellungen von Dina Boluarte

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch dokumentiert erneut die Unterdrückung seitens des peruanischen Regimes: unverhältnismäßige Gewaltanwendung, willkürliche Festnahmen, Folter und Misshandlung sowie Kriminalisierung sozialer Proteste sind seit Dezember 2022 an der Tagesordnung. Eine Stellungnahme des Colectivo Fujimori Nunca Más – Berlin.

Von Colectivo Fujimori Nunca Más - Berlin (Übersetzung: Ulrike Geier)

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Nur el pueblo rettet el pueblo Protest von Peruaner*innen in Berlin (Foto: Fujimori Nunca Más – Berlin)

Während des sozialen Aufstands in Peru hat das Regime von Dina Boluarte zusammen mit einem großen Teil der peruanischen Presse eine Desinformationskampagne gestartet. In dieser wurde unter anderem versucht, das Narrativ zu etablieren, dass die Demonstrierenden selbst die Todesfälle verursacht hätten, Waffen von Evo Morales aus Bolivien geliefert wurden und dass der Terrorismus des Leuchtenden Pfades zurückgekehrt sei. Diese Behauptungen sind jedoch international widerlegt worden und wir hoffen, dass die internationale Justiz tätig wird, um der peruanischen Bevölkerung zu ihrem Recht zu verhelfen. Mehrere Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen in der westlichen Welt haben sich zu Wort gemeldet und das Regime von Dina Boluarte scheint angesichts seiner Lügen mehr und mehr in die Isolation zu geraten.

Der kürzlich veröffentlichte Bericht „Tödliche Verschlechterung. Übergriff durch Sicherheitskräfte und Demokratiekrise in Peru“ von Human Rights Watch stellt fest, dass die vom peruanischen Militär und der Polizei während der Proteste zwischen Dezember 2022 und Februar 2023 getöteten Menschen als außergerichtliche oder willkürliche Hinrichtungen angesehen werden können. Der Bericht dokumentiert des Weiteren eine übermäßige Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte, Verstöße gegen das Protokoll, Misshandlungen von Gefangenen und Mängel bei strafrechtlichen Ermittlungen sowie eine tief verwurzelte politische und soziale Krise, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Peru untergräbt. Obwohl einige der Demonstrierenden für Gewalttaten verantwortlich waren, reagierten die Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Gewalt, unter anderem mit Sturmgewehren und Handfeuerwaffen. 49 Demonstrierende und Unbeteiligte, darunter acht Jugendliche unter 18 Jahren, wurden während der Proteste getötet.

“Diese Demokratie ist keine Demokratie mehr”

Der Bericht stützt sich auf mehr als 140 Interviews mit Zeug*innen, verletzten Demonstrant*innen und Umstehenden, Angehörigen von Getöteten, Polizistinnen, Staatsanwältinnen, Journalist*innen sowie auf Informationen des Verteidigungs- und Innenministers, damaliger Vertreter der peruanischen Polizei, der Staatsanwältin und der Bürgerbeauftragten. Die Organisation sichtete mehr als 37 Stunden Videomaterial und 663 Fotos der Demonstrationen und prüfte Autopsie- und Ballistikberichte, medizinische Unterlagen, Strafregisterauszüge und andere Dokumente. Die so gesammelten Beweise belegen, dass mindestens 39 Menschen durch Schussverletzungen starben. Mehr als 1.300 Menschen wurden verletzt, darunter Hunderte Polizist*innen.

Peru hat in den letzten Jahren eine Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Institutionen erlebt. Dies ist zum Teil auf die weit verbreitete Korruption zurückzuführen sowie auf ein Parlament, das hauptsächlich von persönlichen Interessen geleitet wird und beständig darauf aus ist, die seine Macht limitierenden Kontrollmechanismen zu beseitigen. Vor mehr als einem Jahr untergrub die damalige Opposition – die jetzt die Regierung stellt und das Parlament kontrolliert – zusammen mit der sich um die Unternehmensgruppe El Comercio konzentrierende Presse und den ultrakonservativsten Sektoren der Gesellschaft die ohnehin schon prekäre peruanische Demokratie, indem sie ein Narrativ des Wahlbetrugs erfanden. Anschließend blockierte sie die Reformprojekte der Regierung und startete eine Verfolgungskampagne gegen Vertreter*innen der Exekutive – zu der Castillo durch fragwürdige Ernennungen von Ministern mit verschiedenen Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen beitrug. Der damalige Präsident vertiefte schließlich am 7. Dezember 2022 die politische Krise, indem er versuchte, das Parlament aufzulösen und in die Justiz einzugreifen. Der Kongress setzte Castillo ab und die Vizepräsidentin Dina Boluarte übernahm die Präsidentschaft, wie es die peruanische Verfassung vorsieht. Jedoch ohne jegliche Legitimation durch die Bevölkerung, da sie alle Versprechen des Wandels, die sie während des Wahlkampfs an der Seite von Castillo gegeben hatte, verriet. Die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens zur Neubesetzung des Präsident*innenpostens steht indes noch immer in Frage. Wie es im bekannten Protestsong so schön heißt: „Diese Demokratie ist keine Demokratie mehr.“ (Während der Proteste entwickelte sich das Lied „Dina asesina”, in dem es heißt „Esta democracia, ya no es democracia“, Anm. d. Red.).

Tausende Menschen – vor allem Landarbeiter*innen und Indigene aus dem Süden des Landes – gingen auf die Straße, um Castillo zu unterstützen und gegen seine Absetzung zu protestieren. Sie forderten Wahlen und eine verfassungsgebende Versammlung. In den folgenden Tagen und Wochen verstärkten sich die Proteste und die Demonstrierenden blockierten Straßen und Flughäfen im ganzen Land. Als Reaktion darauf verhängte die Regierung Boluartes den Ausnahmezustand und setzte sowohl Streitkräfte als auch Nationalpolizei ein, um die Proteste niederzuschlagen. Die Sicherheitskräfte gingen brutal mit scharfer Munition und Tränengas gegen die Demonstrierenden vor, unter denen sich viele Frauen und Kinder befanden.

Der Bericht von Human Rights Watch betont, dass Peru die Menschenrechts- und Demokratiekrise umgehend und wirksam angehen muss. Dazu gehört die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Sicherheitskräfte sowie Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Beamt*innen internationale Menschenrechtsstandards einhalten und für die begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Aussagen decken sich mit dem im Februar 2023 von Amnesty International veröffentlichten Bericht, der auf folgende in Peru festgestellte Menschenrechtsverletzungen hinweist: Übermäßige Gewaltanwendung, willkürliche Festnahmen, Folter und Misshandlung sowie Kriminalisierung sozialer Proteste.

Dieses Vorgehen seitens der peruanischen Sicherheitskräfte verstößt gegen die grundlegenden Menschenrechte und kann schwerwiegende Folgen für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung haben. Darüber hinaus betont Amnesty International, dass diese Handlungen nicht neu sind und dass die Menschenrechtsverletzungen in Peru schon seit mehreren Jahren Anlass zur Sorge geben. Die Organisation fordert die peruanische Regierung auf, sofortige und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die staatliche Repression zu beenden und die Achtung der Menschenrechte zu gewährleisten. Außerdem fordert sie die peruanischen Behörden auf, mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um die strukturellen Probleme der peruanischen Bevölkerung anzugehen.

Auch die Rede des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik sowie Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Josep Borrell am 18. April vor dem Europäischen Parlament zur Lage in Peru widerlegt die Darstellung von Präsidentin Boluarte und ihren Verbündeten. In seiner Rede äußerte er seine Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen im Land, einschließlich der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste und der Korruptionsvorwürfe im Justizsystem. Ein kürzlich vom US-Außenministerium veröffentlichter Bericht verurteilt ebenfalls die exzessive Gewaltanwendung bei den Demonstrationen in Peru und das Fehlen wirksamer Maßnahmen, um die an diesen Aktionen beteiligten Beamt*innen zur Rechenschaft zu ziehen. In dem Bericht wird die Befürchtung geäußert, dass diese Straffreiheit zu weiterer Gewalt und Unterdrückung führen könnte. Der Bericht weist auch auf mehrere dokumentierte Fälle von polizeilichen Übergriffen hin, welche von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen dokumentiert wurden, die ebenfalls die peruanische Regierung dringend zur Aufarbeitung der Fälle auffordern.

Die extreme Rechte hatte erwartet, dass sie die Verstöße unter den Teppich kehren könnte

Auch der am 3. Mai veröffentlichte Bericht des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt, was bereits in allen zuvor genannten Berichten erwähnt wurde und wiederholt werden muss: Während der peruanischen Proteste wurden von der peruanischen Regierung „schwere Menschenrechtsverletzungen“ begangen.

Der Gerichtshof empfiehlt, dass zur Überwindung der Krise in Peru ein „breiter, echter und umfassender Dialog“ geführt werden muss, in dem alle Bereiche der Gesellschaft vertreten sind. Er ist außerdem der Ansicht, dass die in seinem Bericht genannten Menschenrechtsverletzungen untersucht und strafrechtlich verfolgt werden sollten.

Insgesamt zeigen diese Berichte die weitgehende internationale Isolierung des autoritären Regimes von Dina Boluarte und ihrer Kompliz*innen, da die unter ihrem Mandat begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen in der westlichen Welt verurteilt werden. Die extreme Rechte in Peru hatte erwartet, dass diese schweigen würden und sie all die Tötungen und Misshandlungen unter den Teppich kehren könnten. Hier müssen wir allerdings auf die Bedeutung des Einsatzes der Kollektive der peruanischen Diaspora in der ganzen Welt hinweisen und aller Verbündeten, die Peru solidarisch ihre Hand gereicht haben. Hier in Deutschland geschah dies speziell durch das Netzwerk PEX Alemania und in Berlin war es explizit unsere Aufgabe als Kollektiv Fujimori Nunca Más – Berlín, durch die Summe all unserer kleinen Anstrengungen einen Druck im Ausland aufzubauen, damit die Stimmen unserer Landsleute gehört werden können. Aber es sei gesagt, dass wir nicht in Solidarität mit dem peruanischen Volk (pueblo) handeln. Wir SIND das peruanische Volk.

In diesem Sinne werden wir nicht aufhören, Druck auszuüben und uns zu organisieren, bis angesichts dieser schweren Menschenrechtsverletzungen GERECHTIGKEIT erreicht wird. Und wir werden auch weiterhin auf das größere, kollektive Projekt der tiefgreifenden Veränderung unserer Gesellschaft durch einen plurinationalen und paritätischen Verfassungsprozess drängen. Gleichzeitig unterstützen wir auch die Kämpfe unserer lateinamerikanischen Brüder und Schwestern, der Migrant*innen und Arbeiter*innen hier in Berlin, Deutschland und Europa; wir kämpfen für die Umwelt und ökologische Gerechtigkeit; wir setzen uns für die feministischen Kämpfe und die LGBTQIA+-Bewegung ein und wir verstärken unser Engagement für einen breiten Prozess der Dekolonisierung in der ganzen Welt, in dem Peru und Abya Yala (Lateinamerika) eine entscheidende Rolle spielen auf dem Weg zu mehr Souveränität unserer Völker und Territorien auf der Suche nach dem Buen Vivir (guten Leben, Anm. d. Red.).

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