„Jeder Protest läuft Gefahr, kriminalisiert zu werden“
Interview mit Jorge Morales, Anwalt der Indigenen- und Kleinbauernorganisation UVOC
Bei einer Veranstaltung hier in Deutschland sagten Sie, der private Besitz sei das Herz des guatemaltekischen Kapitalismus. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Landkonflikte in Guatemala?
Wenige Familien sind die großen Landbesitzer Guatemalas. Die politischen Parteien versuchen alles, um dieser Gruppe von Personen nicht zu widersprechen und die Gesetze schränken die Rechte der Landbesitzer kaum ein. In Guatemala spricht man deshalb auch vom „sakrosankten“ Privateigentum. Eine gerechte Verteilung des Landes ist unter diesen Umständen sehr schwierig, würde aber das Leben der Kleinbauern deutlich verbessern.
Wie gehen die Landbesitzer_innen auf den Ländereien vor?
Derzeit erhöht sich der Anbau von Ölpalmen enorm. Dieser Anstieg wird von der Regierung gefördert und hat die Vertreibungen im gesamten Land verstärkt. Vor allem in sehr fruchtbaren Zonen wurden die Kleinbauern völlig im Stich gelassen. Derzeit gibt es über tausend akute Landkonflikte in Guatemala und nur wenige sind dabei, gelöst zu werden. Die UVOC (Verband der Bauernorganisationen von Verapaz) kümmert sich hauptsächlich um die Regionen Alta und Baja Verapaz sowie einen Teil von Izabal, da sich hier die Mehrheit der Landkonflikte abspielt. Die nördliche Region Alta Verapaz ist eines der ärmsten Gebiete Guatemalas. Hier gibt es die höchsten Raten von Unterernährung, Analphabetismus und vielem mehr. Gleichzeitig ist es mit Blick auf Ressourcen und fruchtbares Land eine der reichsten Zonen. Vor allem im Polochic-Tal gibt es genug Wasser für den Anbau von Ölpalmen.
Wie entstand die UVOC?
Die UVOC existiert seit 1982. Sie gründete sich also noch während des bewaffneten Konfliktes und kanalisierte anfangs die Bedürfnisse verschiedener Gemeinden. Sie organisierte zum Beispiel Kooperativen. Mit der Zeit professionalisierte sie sich und fing an zu den Landkonflikten zu arbeiten, da diese das schwierigste, zahlreichste und dringendste Problem sind. Wir haben verstanden, dass das Land essentiell für einen Kleinbauern ist. Die Produktion in seiner Parzelle war und ist sein Leben und seine Welt. Außerdem gehören die Erzeugnisse, wie zum Beispiel Mais, zu den Grundnahrungsmitteln in Guatemala.
Welche Tätigkeiten übernimmt die UVOC konkret?
Innerhalb der UVOC sind circa 100 Gemeinden organisiert, um sich gegenseitig beim Kampf um ihre Rechte zu unterstützen. Wir begleiten die Konflikte in den Regionen und bringen unsere Vorschläge zur Verbesserung und Regulierung der Landfrage ein. Dies tun wir über Institutionen wie das Agrarministerium oder den staatlichen Landfonds. Außerdem fördern wir die Beteiligung von und die Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen, um sicher zu stellen, dass unsere Forderungen auch gehört werden. Denn jeder Protest läuft Gefahr, kriminalisiert zu werden. Deshalb sind wir lokal und international tätig, um Menschenrechtsverletzungen – wie die Vertreibungen – anzuzeigen und im Zuge von Protesten angeklagten Kleinbauern Rechtsbeistand zu liefern. Wir klopfen bei allen Regierungsbüros an, die für eine Lösung nötig sein könnten.
Wie stehen die Chancen, bei Landvertreibungen auf gerichtlichem Wege gegen die Landbesitzer_innen vorzugehen?
Ich sehe das Problem, bei den lokalen Staatsanwaltschaften. In den meisten Fällen, wenn ein Landbesitzer Anklage wegen unrechtmäßiger Besetzung seines Landes erhebt, findet keine gewissenhafte Untersuchung des Falles statt. Wir haben mitbekommen, wie so etwas läuft: „Wie beweisen Sie, dass es Ihr Land ist?“ „Hier ist meine Besitzurkunde und der Registereintrag.“ „Wie beweisen Sie die Besetzung des Landes?“ „Hier ist ein Foto des Ortes.“ Mit dieser Information werden dann Haftbefehle gegen die Leiter der Kleinbauernorganisationen ausgestellt. Dabei wird nicht beachtet, dass viele der Kleinbauern seit Jahren auf den Ländern leben, aber keine Besitzurkunden haben, da sie in der Kolonialzeit als Knechte und später als Angestellte dort gearbeitet haben. Unter diesen Umständen kann nach geltenden Gesetzen auf keinen Fall von illegaler Besetzung gesprochen werden. Dennoch werden auf dieser Grundlage die Vertreibungen ganzer Gemeinden durchgeführt, bei denen es Tote und Verletzte gibt. Den Menschen wird alles genommen, ihre Häuser werden abgerissen oder verbrannt und ihre Ernte wird zerstört.
Das Problem müsste innerhalb der landeseigenen Institutionen beseitigt werden. Aber auch der Gerichtsprozess gegen den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt wegen Völkermordes (siehe LN 468) zeigt uns sehr genau, dass die machtvollen Gruppen des Landes letztlich die Gerichte manipulieren. Und eben nicht nur den obersten Gerichtshof, sondern auch die untergeordneten Instanzen.
Würden Sie von einer systematischen Repression der Kleinbäuerinnen und -bauern durch den guatemaltekischen Staat sprechen?
Praktisch ja. Man kann dieses Vorgehen als systematische Repression bezeichnen, wenn man sich überlegt, wer alles bei einer Landvertreibung mitarbeitet: Die Nationalpolizei, die Staatsanwaltschaft, welche den Räumungsbefehl anfordert und ein Richter, der diesen Befehl ausstellt und sich keine Gedanken über die Konsequenzen macht. Und noch viel schlimmer: Wo bleibt das Ministerium für Landwirtschaft? Wie erfüllt es seine Pflicht? Gerade wenn es Landkonflikte gibt, sollte das Ministerium eine starke Rolle übernehmen.
Gab es Fälle von Repression gegen die UVOC und ihre Arbeit abseits der akut betroffenen Gemeinden?
Es gab und gibt sie konstant. Der Koordinator der UVOC, Carlos Morales, war Ziel von Verfolgung, Bedrohungen und Beleidigungen in den Regierungsbüros. Außerdem wurden sein Telefon und Handy überwacht. Dieses Risiko gehen alle ein, die sich offen für die Organisation einsetzen. Auch aus diesen Gründen war es für die UVOC nötig, sich international zu vernetzen. Wir unterhalten Beziehungen zu anderen Bewegungen mit ähnlichen Problemen und zu internationalen Organisationen. Außerdem erhalten wir über Peace Brigades International Begleitung in Guatemala.
Eine der zentralen Forderungen der UVOC ist die Verabschiedung eines „Integralen Gesetzes zur Landentwicklung“. Was würde dieses Gesetz bedeuten?
In seiner präsentierten Form zielt das Gesetz darauf ab, die Landprobleme zu lösen und vor allem Kleinbauern Ressourcen und vereinfachten Zugang zum Land ermöglichen. Sie sollen in der Lage sein, selber zu produzieren und Waren auf dem nationalen und internationalen Markt anzubieten. Genau genommen spricht man sogar von einer integralen Agrarreform, also einer Neuverteilung des Landes. Denn diese ist nötig. Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft und viele dieser Menschen haben kein Land, um Einnahmen für sich und ihre Familien zu erwirtschaften. Aber es gibt aus den politisch starken Lagern sehr viel Widerstand gegen das Gesetz. Und letztlich sind es die wirtschaftlich Mächtigen, die über den Kurs des Landes entscheiden.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es innerhalb Guatemalas, Ihre Ziele zu erreichen? Sie erwähnten den Landfonds…
Der Fonds wurde im Zusammenhang der Friedensverträge (zum Ende des bewaffneten Konfliktes 1996, Anm. d. Red.) als Kompromiss gegründet. Er ist mit der Aufgabe betraut, Landgüter zu kaufen und sie Kleinbauern zu vermachen, welche die Kosten dann über einen längeren Zeitraum und unter zumutbaren Bedingungen abbezahlen. Leider hat dieser Fonds kaum finanzielle Möglichkeiten, seine Aufgabe zu erfüllen. Ich hatte Zugang zu einigen Statistiken über den Fonds und daraus ging hervor, dass er 2012 zum Beispiel kein einziges Landgut gekauft hat. Außerdem wurde neben dem Fonds auch das Register von Katasterinformationen gegründet, aber es ist klar, dass dieses nicht vertrauenswürdig ist. Wenn man das Besitzregister anguckt, scheint es, als würde es in Guatemala noch sehr viel Land geben.
Außerdem fordern wir ein professionelleres Vorgehen vom Ministerium für Landwirtschaft. Oft haben wir uns durch Sitzungen und Arbeitsgruppen gekämpft, ohne einer Konfliktlösung näher zu kommen. Ich möchte mit all diesen Aussagen nicht ausdrücken, dass diese Institutionen nicht wichtig sind, weil sie nicht funktionieren. Im Gegenteil – sie sollten ausgebaut werden, damit sie auch den Bedürfnissen der Kleinbauern gerecht werden.
Infokasten:
Jorge Luis Morales
arbeitet als Anwalt für den Verband der Bauernorganisationen von Verapaz (UVOC). Die Organisation begleitet und unterstützt Gemeinden beim Kampf um das Recht für Zugang auf Land und vernetzt den Widerstand lokal und global.