Jenseits von Chiapas…?
Anmerkungen zum dritten Bundestreffen der Mexiko-Gruppen
Während diesseits und jenseits des “gran charco” mit einer gewissen Euphorie über die Möglichkeit der Bildung eines mexikoweiten zapatistisch-cardenistischen Bündnisses namens Movimiento de Liberación Nacional (MLN) angeregt debattiert wurde, beraten UnterhändlerInnen zwischen Weißem Haus, Wall Street und Los Pinos (dem Amtssitz des Präsidenten Zedillo) ebenfalls zeitgleich die letzten Bedingungen und Details. Dabei ging es nicht nur um den milliardenschweren transnationalen Dollarkredit für Mexiko, sondern auch um den Frontalangriff auf das EZLN und die mit ihm “sympathisierende” Zivilgesellschaft.
Im Nachhinein gesehen liegt die Bedeutung des Hamburger Treffens dennoch darin, zum einen ein Resümee der politischen und wirtschaftlichen Situation Mexikos zu ziehen, ein Jahr nach dem “Wiedereintritt der Gesichtslosen, der ewig Toten in die Geschichte”, dem öffentlichen Erscheinen des EZLN. Und zum anderen bot das Wochenende die Gelegenheit, das eigene Engagement und die eigene Solidarität mit einer neuartigen, zumindest ungewöhnlichen und vielfach mittels “Marcos-Folklore” schon wieder refunktionalisierten Bewegung zu reflektieren. Dem Europa-Vertreter der CND, Alejandro de la Paz, gelang es im Verlauf des Treffens, die beiden Diskussionsstränge – das schlichte Bedürfnis zu begreifen, “qué chingaos está pasando en México”, und den Wunsch nach einer eigenen Standortbestimmung gegenüber dem “Phänomen EZLN” – aufeinander zu beziehen. Denn wie Alejandro aus eigener Erfahrung zeigte, steht die von den zentralamerikanischen Guerrillabewegungen der siebziger und achtziger Jahre stark geprägte bundesdeutsche Soliszene ähnlich wie die mexikanische Zivilgesellschaft zunächst perplex vor einer bewaffneten Campesino-Bewegung, die weder Avantgarde-Ansprüche hat noch bereit ist, einen heroischen Stellvertreterkrieg für ganz Mexiko zu führen. Stattdessen zwingt sie die vielfältigsten Bewegungen, Organisationen, Parteien und Grüppchen dazu, ihre Einzelforderungen, Alternativen und Utopien in ein gemeinsames, aber plurales “neues Projekt der Nation” einzubringen.
Wie soll die Unterstützung einer Bewegung aussehen, die versucht, sich jeglicher Form von Globalisierung zu entziehen? Was heißt “internationale Solidarität” im Kontext von Regionalautonomie, von Anerkennung kommunaler Souveränität? Auf dem Hamburger Treffen gab es nur zaghafte Andeutungen möglicher Antworten: Auf die Globalisierung und Transnationalisierung von Machtstrukturen soll mit dem Aufbau eines transnationalen Austausches vergangener und gegenwärtig praktizierter Erfahrungen, mit Strategien des Widerstands, der “Demokratisierung von unten”, des Er-Lebens von Autonomie reagiert werden. Jenseits des Scheiterns oder Erfolgs der CND beginnt Alejandro zufolge ein derartiger, spannungsreicher und auch widersprüchlicher Austausch im Rahmen der verschiedensten lokalen, regionalen und mexikoweiten Treffen. Der Austausch von MitgliederInnen der Frauenbewegung, der Slum- und Stadtteilinitiativen, der LehrerInnen- und StudentInnenbewegungen sowie nicht zuletzt der Campesino- und Indígena-Organisationen ist nun eingeleitet worden. Das Engagement bundesdeutscher Gruppen sollte seiner Ansicht nach diese Art der Zusammenarbeit aufgreifen durch unterschiedlichste Lernformen der Stiftung von Partnerschaften zwischen Gemeinden, Schulen, Organisationen etc. sowie durch das wechselseitige Schaffen von Gegenöffentlichkeiten bereichern. Dies würde es den verschiedenen sozialen Bewegungen gestatten, mittels Blick über den sprichwörtlichen Tellerrand die eigene Isolation zu überwinden und ihren spezifischen Kampf in einen allgemeineren Kontext zu stellen.
Ein konkretes Ergebnis des Hamburger Mexiko-Treffens ist der Aufbau eines direkten Kontakts zwischen den bundesdeutschen Gruppen und der CND sowie der oppositionellen, von Amado Avendaño koordinierten chiapanekischen “Übergangsregierung im Widerstand”. Über dieses neue Netz sollen unterschiedliche Aktionen in verschiedenen Städten organisiert werden, bei denen vor allem eine engere Zusammenarbeit mit den hier (noch existierenden) sozialen Bewegungen gesucht wird. Begünstigt wird diese Zusammenarbeit durch die Heterogenität der in Hamburg anwesenden Gruppen: Zu routinierten “Profis” der internationalistischen Szene und Gruppen, die aus kirchenbewegten oder akademischen Kontexten stammen und oft zu eher theoretischem Debattieren neigen, treten eher stadtteilbezogene und aus der eigenen konkreten Lebenswelt heraus engagierte Gruppen. Für diese sind Konzepte wie Autonomie nicht bloßer Diskussionsstoff, sondern vielmehr Alltagspraxis. Ob sich aus einem derart heterogenen Spektrum von Gruppen neue und effektive Aktionsformen entwickeln lassen, muß jetzt der Kampf gegen die von den Gläubigerbanken “transnationalisierte” militärische Repression der mexikanischen Demokratiebewegung zeigen.