Film | Nummer 489 - März 2015

Jia Zhang-ke, ein Mann aus Fenyang

Der Brasilianer Salles gibt mit filmografischen Elementen einen künstlerischen Einblick in das Lebenswerk des chinesischen Regisseurs Jia Zhang-ke

Claudia Fix

Walter Salles ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten brasilianischen Regisseure, der mit Die Reise des jungen Che 2003 auch an internationalen Kinokassen einen Erfolg erzielte. Sein bekanntestes Werk in Brasilien ist Central do Brasil von 1998, prämiert mit zwei Goldenen Bären sowie einem Golden Globe und zweifach für einen Oscar nominiert. In diesem Jahr wurde Walter Salles mit seinem Dokumentarfilm Jia Zhang-ke, ein Mann aus Fenyang auf die Berlinale eingeladen. Die Dokumentation ist eine filmische Hommage an den wohl bekanntesten chinesischen Regisseur, dessen letzter Spielfilm A touch of sin auch in deutschen Kinos lief, aber in China nicht gezeigt werden darf. Es ist erst der zweite Dokumentarfilm von Walter Salles, nach dem sechsminütigen Kurzfilm Castanha e Caju contra o encouraçado Titanic über zwei traditionelle Musiker aus Recife, der sich durch seine Filmografie noch zusätzlich heraushebt.

Ganz unspektakulär beginnt Salles das Porträt mit einem Zitat von Jia Zhang-ke, mit einem langen Gang über eine heute nahezu unbelebte Straße, die in dem Film Plattform eine wichtige Rolle spielte. Langsam, ganz langsam taucht der Film gleichermaßen in das Leben wie in die Filmografie von Jia Zhang-ke ein. Er nimmt uns mit in das Elternhaus des chinesischen Regisseurs, ein ehemaliges Gefängnis mit halbmeterdicken Mauern, das in einem der alten Viertel von Fenyang liegt. Und er lässt Jia Zhang-ke erzählen von seiner Kindheit und Jugend, den Erfahrungen mit Armut und Hunger, dem Apfelbaum im Hof und der Bücherwand in seinem Elternhaus, und, gegen Ende, auch von den Erfahrungen seines belesenen, Tagebuch schreibenden Vaters während der Kulturrevolution. Immer wieder werden die aktuellen Bilder der besuchten Lebensstationen oder Drehorte, die Interviews mit dem Regisseur, mit seiner wichtigsten Schauspielerin und anderen Mitarbeiter*innen gegengeschnitten mit Szenen aus seinen Filmen. Ganz allmählich entfaltet sich so nicht nur ein Porträt des Regisseurs, der auf berührende und gleichzeitig unaufdringliche Weise seine in den Filmen eingefangenen Emotionen mit uns teilt, sondern auch ein Bild des modernen Chinas, das nicht gesehen werden soll. Und wie unbeabsichtigt drängen sich Parallelen zwischen den beiden neuen Wirtschaftsmächten Brasilien und China auf: Die apokalyptischen Bilder vom Bau des Drei-Schluchten-Staudamms – eine Vision der Zukunft in Belo Monte und Tapajós?

Auch wenn er nicht prämiert wurde, ist Salles mit diesem Dokumentarfilm ein kleines Meisterwerk gelungen, das kongeniale Porträt eines außergewöhnlichen Regisseurs und Menschen, das gleichzeitig überraschende Einblicke in die Vergangenheit und Gegenwart von China bietet.

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