Ecuador | Nummer 428 - Februar 2010

Jubiläum inmitten der Krise

Präsident Correa muss an verschiedenen Fronten die Feuer löschen, die er selbst entfacht hat

Ecuadors Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution) feierte Mitte Januar ihr dreijähriges Bestehen. Die massive Beteiligung an den offiziellen Feierlichkeiten in der Andenstadt Ambato konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Jahrestag in einer für Rafael Correa schwierigen politischen Konjunktur stattfand. Er hat sich mit den verschiedensten politischen Lagern verfeindet, und die Mittelschicht läuft ihm davon.

Miriam Lang

Ohne jeden Zweifel hat die Bürgerrevolution die politische Landschaft Ecuadors seit ihrem Beginn 2006 gründlich in Bewegung gebracht. Die traditionellen politischen Parteien scheinen endgültig in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht zu sein, und mit ihnen ein Konzept von formaler Demokratie, in der die Bevölkerungsmehrheit nicht repräsentiert war. Präsident Rafael Correa hatte eine Art Obama-Effekt ausgelöst: Er bewirkte, dass die Leute wieder Hoffnung entwickelten. Nicht nur auf eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation, sondern auch Hoffnung auf einen tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandel, an dem es sich zu beteiligen lohnt. Hoffnung darauf, dass das kleine Andenland nicht nur seine Souveränität behaupten, sondern gar international wahrgenommen werden könnte – zum Beispiel mit radikalen Vorschlägen zu einer eigenständigen südamerikanischen Finanzarchitektur. Oder mit dem Yasuní-Projekt, bei dem die in einem besonders schützenswerten Teil des amazonischen Regenwaldes vermuteten Ölreserven nicht gefördert werden sollen, sondern stattdessen die Länder aus dem Norden für die ausgefallenen Einkünfte finanziell mit in die Pflicht zu nehmen.
Ecuador fand seinen Platz in einem von einer neuen Linken mehr und mehr übernommenen Kontinent und entwickelte in diesem Kontext eigenständige, interessante Visionen. Correa ist ein gebildeter Präsident, der auch den einfachen Leuten komplexe Sachverhalte in ihrer eigenen Sprache verständlich machen kann. Auf diesem neuen Selbstbewusstsein sollte die Nation neu gegründet werden, dafür wurde gegen den Widerstand der alten politischen und wirtschaftlichen Eliten eine neue Verfassung durchgesetzt, die im Herbst 2008 in Kraft trat.
Vor allem im Bereich der Sozialpolitik hat die Bürgerrevolution durchaus positive Ergebnisse vorzuzeigen: Die staatlichen Investitionen im Bildungs- und Gesundheitssektor sowie im sozialen Wohnungsbau sind im Vergleich zu den vorherigen Regierungen sprunghaft gestiegen. Auch die Infrastruktur des Landes wurde merklich verbessert, Straßen, Brücken, Flughäfen errichtet, wo vorher kaum ein Durchkommen war. Der Staat vergibt Kredite zu günstigen Konditionen und verteilt in einem gewissen Maß auch Grund und Boden an die Bäuerinnen und Bauern, wenn auch von einer grundlegenden Agrarreform nicht die Rede sein kann. Die Arbeitslosigkeit ist trotz der weltweiten Krise seit Januar 2007 nur um einen Prozentpunkt auf acht Prozent gestiegen – im Vergleich zu elf Prozent in Chile und 14 Prozent in Kolumbien – was Correa in seiner Festansprache als Erfolg wertete. Auch der Analphabetismus soll um drei Prozentpunkte zurückgegangen sein. Die gesamtwirtschaftliche Situation des Landes ist aufgrund der weltweiten Krise jedoch eher schlecht, die Mittelschicht verliert spürbar an Kaufkraft, und die offiziellen Armutsstatistiken stagnieren.
Bereits im Sommer hatte ein Skandal um Regierungsaufträge an die Firmen von Fabricio Correa, dem Bruder des Präsidenten, am Image des smarten Staatschefs gekratzt. Nun sind in nur zwei Monaten zusätzlich zur Energiekrise, die sich in den vor zwei Wochen vorerst eingestellten täglichen Stromrationierungen manifestierte, zahlreiche weitere politische Krisenherde entstanden: Im Dezember brach die indigene Dachorganisation CONAIE die Verhandlungen mit der Regierung über Bergbau, interkulturelle Bildung, das neue Wassergesetz und den Status indigener Regierungsinstitutionen ab und kündigte für das Frühjahr neue Aufstände an. Im Januar mobilisiert Jaime Nebot, der konservative Bürgermeister der Industriemetropole Guayaquil, zu Massenprotesten wegen Haushaltsstreitigkeiten zwischen der Zentralregierung und seiner Kommune. Auch ein Flügel der Gewerkschaften will am liebsten in den Generalstreik treten, weil die Regierung traditionelle Errungenschaften der Arbeiterschaft angreift, wie zum Beispiel das 13. und 14. Monatsgehalt – der erste Schritt zur schleichenden Abschaffung weiterer Errungenschaften, wie viele befürchten. Nun hat auch noch die Gattin des Generalstaatsanwalts, der eigentlich für eine moralisch erneuerte Justiz stehen sollte, eine junge Frau totgefahren und danach versucht zu flüchten. Woraufhin von der Generalstaatsanwaltschaft alle klientelistischen Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um ihr die anstehende Haftstrafe zu ersparen. Und schließlich hat Rafael Correa das internationale Vorzeigeprojekt seiner eigenen Regierung – die erwähnte Nichtausbeutung des Erdöls im Yasuní-Nationalpark als Abkehr von dem auf Rohstoffexport basierenden Entwicklungsmodell – vor kurzem eigenhändig erdrosselt.
Anstatt auf dem Weltklimagipfel von Kopenhagen einen UN-verwalteten Fonds ins Leben zu rufen, in den die Länder aus dem Norden ihr „Geld gegen Regenwald“ hätten einzahlen sollen – und damit vor der Weltöffentlichkeit ins Sachen Klimaschutz gut dazustehen – pfiff er seinen Außenminister Falconí in letzter Minute zurück und verhinderte so die Konkretisierung des Fonds. Wenige Wochen später verkündete er obendrein in seiner wöchentlichen Radioansprache, das in Kopenhagen von Falconí geführte Verhandlungsteam habe „beschämende Bedingungen“ ausgehandelt, die gar die Souveränität Ecuadors in Frage stellten. Deshalb werde man spätestens im Juni mit der Ölförderung beginnen, wenn bis dahin aus dem Ausland nicht mindestens die Hälfte des Geldes eingegangen sei, das durch die Einahmen durch die Erschliessung der Ölquellen zu erwarten sei.
KritikerInnen vermuten hingegen, der Präsident habe dem Druck der mächtigen Ölkonzerne nachgegeben, die ein Gelingen der ökologischen Initiative unbedingt verhindern wollen. Im Yasuní-Gebiet werden mit 846 Millionen Barrel 20 Prozent der ecuadorianischen Ölreserven vermutet, wenn auch nicht besonders hochwertiger Qualität. Nichts an den Bedingungen für den Fonds sei beschämend gewesen, ja die Geber aus dem Norden hätten nicht einmal am Verhandlungstisch gesessen, hält Alberto Acosta dagegen, einer der geistigen Väter der Bürgerrevolution und ehemaliger Energieminister Correas. Man habe sich vielmehr mit der UN-Agentur UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) auf die Mechanismen geeinigt, wie der zu schaffende Fonds verwaltet werden solle, und in dem entsprechenden Gremium habe Ecuador letztendlich die Mehrheit gehabt. Der Präsident habe mit seiner Wankelmütigkeit nun schon seit geraumer Zeit die konkrete Einrichtung des Fonds gebremst, in den die Gelder längst hätten fließen können.
Gleichzeitig machte die Regierung nie öffentlich, wie viele Länder mit welchen Summen bereits Zusagen gemacht hatten – unter anderen die Bundesrepublik, Spanien, Belgien, etc. Laut Roque Sevilla, dem nun zurückgetretenen Vorsitzenden der ecuadorianischen Verhandlungskommission, gab es bereits Zusagen in Höhe von ca. 49 Prozent der vereinbarten Gesamtsumme.
Sevilla erklärte auch, der plötzliche Kurswechsel von Correa sei auf Bedenken dessen juristischen Beraters Alexis Mera erfolgt. Von Alexis Mera wiederum ist bekannt, dass er auch schon Berater des rechtesten Präsidenten war, den die jüngere ecuadorianische Geschichte aufzuweisen hat: León Febres Cordero, dessen massive Menschenrechtsverletzungen während der 80er Jahre sogar die Einrichtung einer Wahrheitskommission in Ecuador im Jahr 2007 motiviert haben.
Alexis Mera ist eine der rechten Schlüsselfiguren in der weithin als links wahrgenommenen Regierung. Er, der als enger Vertrauter von Correa gilt, stand bereits im vergangenen Oktober im Kreuzfeuer der Kritik, als die Indigene Bewegung die Regierung nach einem Aufstand gegen das geplante Wassergesetz an den Verhandlungstisch gezwungen hatte. Damals hatte die Regierung Correa eine Reihe von runden Tischen zu Schlüsselthemen wie Bergbau, interkulturelle Schulbildung, Wasser und indigene Regierungsinstitutionen ins Leben gerufen. Es war das erste Mal seit seinem Amtsantritt, dass Correa von sozialen Protesten öffentlich zum Einlenken gezwungen wurde – insbesondere, weil bei den Demonstrationen im Amazonasgebiet ein indigener Lehrer zu Tode gekommen war.
Die ungestümen Äußerungen des Präsidenten im Zusammenhang mit dem Yasuní-Projekt führten nicht nur zum Rücktritt von Außenminister Fander Falconí und des gesamten Yasuní-Verhandlungsteams der Regierung, sondern auch zum endgültigen Bruch mit Alberto Acosta, der von der Zeitschrift Vanguardia als „das schlechte Gewissen eines Regimes“ bezeichnet wird, „das das ursprüngliche Programm von Alianza País (Correas Wahlbündniss, Anm. d. Red.) inzwischen von der anderen Straßenseite aus betrachtet.“ Mit Falconí und Acosta verliert Correa zwei seiner ergebensten und öffentlich angesehensten Mitstreiter aus dem linken Flügel von Alianza País. Auch wenn er in der Sache inzwischen halbherzig zurückgerudert ist und eine neue Verhandlungskommission für die Yasuní-Initiative geschaffen hat, dürfte die Glaubwürdigkeit Ecuadors im Hinblick auf die Umsetzung eines innovativen und nachhaltigen Entwicklungsmodells einen schweren Schlag erlitten haben.
Doch darüber hinaus stehen in Ecuador auch verschiedene Konzepte von Demokratie zur Debatte, was zu konstanten Spannungen zwischen Regierung und sozialen Bewegungen führt. Anstatt in sozialen Organisationen legitime Verhandlungspartner beim Aufbau eines neuen gesellschaftlichen Projekts zu sehen, wirft er Indigenen, Gewerkschaften und anderen legitimen Interessengruppen vor, sie würden eine eigene Agenda verfolgen und hätten das Gemeinwohl nicht im Blick. CONAIE, Gewerkschaften und linke Intellektuelle fordern dagegen, ihr ehemaliger Hoffnungsträger möge endlich das Versprechen einer wahrhaft partizipativen Demokratie einlösen, in der gesellschaftliche Mitsprache auf allen Ebenen und auf verschiedene Arten stattfinden kann.
Unterdessen denkt die politische Bewegung Alianza País darüber nach, wie sie sich in eine durchstrukturierte Partei umwandeln könnte. Im vergangenen Sommer wurden in einigen Landesteilen „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ nach kubanischem Vorbild gegründet, eine „Organisierung von oben“, die bei vielen EcuadorianerInnen auf Ablehnung stieß. Generell scheint der Präsident den BürgerInnen in seinem politischen Projekt wenig mehr Souveränität als die Rolle von WählerInnen zuzuweisen. Noch sind dies nur Tendenzen – und es ist momentan schwer zu sagen, was die nächsten Monate Ecuador bringen werden. Die Regierung ist sich offenbar bewusst darüber, dass sie sich auf unsicherem Terrain bewegt. Daher versucht sie, an manchen Fronten zu beschwichtigen. So wurde zum Beispiel hinter verschlossenen Türen Zugeständnisse an die Indigenen gemacht, sodass diese vorerst von Mobilisierungen absehen wollen. Delfin Tenesaca, der neugewählte Sprecher der Indigenen aus dem Hochland, bringt auf den Punkt, was auch viele Linke denken: „Wir wollen nicht, dass Correa abtritt, aber wir wollen, dass er seinen Regierungsstil ändert.“
Manch einer geht auch davon aus, dass Rafael Correa der vertrackten Situation am liebsten durch einen neuen Wahlkampf entgehen will. Er selbst erwähnte bereits die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen einzuleiten, oder ein Referendum zum Yasuní-Projekt durchzuführen. Dies würde die Öffentlichkeit von manchen Problemen ablenken und Correa stünde wieder auf der Bühne, auf der er am besten glänzen kann.

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