Argentinien | Nummer 295 - Januar 1999

Kandidatenkür bei der Alianza

Graciela Fernandez Meijide verlor das Rennen um die Kandidatur

Die argentinische Verfassung verbietet Präsident Carlos Menem, bei den Wahlen im Oktober 1999 für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. So geht es im nächsten Jahr um die Chance, mit einem durch und durch korrupten System aufzuräumen und einen Neuanfang zu wagen. Wie keine andere verkörpert die politische Außenseiterin Graciela Fernández Meijide diesen Wechsel. Bei den offenen Wahlen für die Präsidenschaftskandidatur ihres Oppositionsbündnisses Alianza verlor sie jedoch mit schwachen 36,2 Prozent gegen den moderaten Fernando de la Rúa. Meijide muß sich im Gegenzug mit der Kandidatur für den Gouverneursposten der Provinz Buenos Aires begnügen.

Antje Krüger, LN

Am 29. November durften Argentiniens BürgerInnen in offenen Wahlen über die Präsidentschaftskandidaten des oppositionellen Parteienbündnisses Alianza abstimmen. Zur Wahl standen ihnen Fernando de la Rúa (UCR) und Graciela Fernández Meijide (FREPASO). 1994 hatten sich UCR und FREPASO (Erklärungen zu Parteien und Kandidaten siehe Kasten) in dieser Koalition zusammengeschlossen, um der Regierung Menem besser die Stirn bieten zu können. „Die Alianza entstand als eine Antwort auf die Forderung der Gesellschaft, mit der Einförmigkeit einer ultrakonservativen Regierung, der fehlenden Transparenz und einer Politik des Ausschlusses zu brechen“, heißt es in ihrem Gründungsdokument. Obwohl die Koalition zwischen einer traditionellen Partei (UCR) und einer neuen Bewegung (FREPASO) von vielen skeptisch beäugt wurde, gewann sie schnell an Popularität. Ihr bislang größter Erfolg war der Triumph Meijides bei den Abgeordnetenwahlen im Oktober 1997 in der Provinz Buenos Aires (Siehe LN 282).
In der Frage der Präsidentschaftskandidatur konnten die Bündnispartner der noch jungen Koalition jedoch kein Einvernehmen finden: der moderatere Flügel stellte sich hinter De la Rúa (UCR), die Innovativeren bevorzugten die letztendlich gescheiterte Meijide (FREPASO). Man entschied sich, ganz Argentinien wählen zu lassen, bremste jedoch gleichzeitig in der Angst, die Einheit der Allianz aufs Spiel zu setzen, die öffentliche Austragung des ideologischen Konflikts. Programmatische Differenzen ließen sich in der Kampagne somit kaum erkennen. Beide Kandidaten fordern eine größere Transparenz der Politik, wollen das Wirtschaftssystem dabei jedoch im wesentlichen unangetastet lassen. Soziale Ungerechtigkeiten sollen durch Umverteilung und Steuerreform wettgemacht werden, der Bildungssektor bevorzugt unterstützt werden.

Der Politikstil ersetzt das Programm

Der Kontrast zwischen den beiden Kandidaten liegt jedoch in ihrem persönlichen Profil. Durch ihren jeweiligen Zugang zur Politik, ihren Karrieren und ihre Prioritäten verkörpern sie einen unterschiedlichen Politikstil.
Fernando de la Rúa gehört nicht nur einer Partei mit langer Tradition an, seine Karriere entspricht auch dem klassischen Werdegang des Erfolgspolitikers. Seit seiner Jugend Mitglied der UCR, errang der Rechtsanwalt 1973 bereits seinen ersten Senatssitz, gefolgt von weiteren Senats- und Abgeordnetensitze bis hin zum Posten des Bürgermeisters der Stadt Buenos Aires, den er zur Zeit innehat. Sein Profil: moderat, genau durchdachte und kalkulierte Gesten und Worte.
Um sich von Meijide abzugrenzen, hob De la Rúa während seiner Kampagne seine umfangreichen Erfahrungen in der Politik hervor und betonte, als Bürgermeister von Buenos Aires die Stadt vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahrt zu haben. Allerdings sieht auch er sich jetzt Vorwürfen aufgrund von Ungereimtheiten bei der Finanzierung einiger politischer Projekte in seiner Partei gegenüber.

Meijide als integre Außenseiterin

Graciela Fernández Meijide dagegen ist eine Außenseiterin in der politischen Landschaft Argentiniens. Ihr Sohn ist einer von etwa 30 000 Verschwundenen unter der letzten Militärdiktatur. Die Ohnmacht gegenüber der Unantastbarkeit der Täter und die Wut über die dunklen Machenschaften der Regierung Menem veranlaßten sie, den Schritt in die Politik zu wagen. Ohne obskure Verbindungen erkämpfte sie sich 1993 erstmalig einen Abgeordnetenplatz. In diesem Quereinstieg vor allem liegt ihre Glaubwürdigkeit und Popularität begründet. Die Leute erkennen in Meijide „eine der ihren“. „Sie glauben, daß ich Problemen wie Arbeitslosigkeit und Armut gegenüber sensibel bin und, daß ich die Probleme wirklich angehe“, erklärt Meijide über sich selbst, „und sie halten mir zugute, daß ich keine Kompromisse mit Parteiapparaten suche, sondern den Konsens mit den Menschen.“ Seit dem Übergang zur Demokratie 1983 ist sie die erste Frau, die sich in dieser Männerdomäne bis zum Präsidentenposten durchzuschlagen versucht. Und sie fordert etwas, was in Argentinien schon verloren schien: Ethik. Allein diese Tatsachen sind schon revolutionär zu nennen.
In ihrer Kampagne legte Meijide ihren Schwerpunkt auf den Kampf gegen die Korruption und kündigte der Regierung Menem samt Partei- und Justizapparat an, sie wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder und anderen Skandalen vor Gericht zu stellen.
Trotz ihrer Popularität scheiterte Graciela Fernández Meijide am 29. November. „Meine schlimmste Niederlage war es, das Leben meines Kindes während der Diktatur nicht retten zu können. Das hat mich viel gelehrt, und ich weiß, daß es keine schlimmere Niederlage für mich geben kann.“, hatte sie vor der Wahl erklärt. Trotzdem wirkte das Ergebnis von nur etwas mehr als einem Drittel der Stimmen gegenüber den 63 Prozent von De la Rúa niederschmetternd.
Die Umfragen der letzten Monate prophezeiten zwar immer wieder De la Rúa als Sieger, aber ein so schwaches Abschneiden hatte niemand erwartet. Nur in einem einzigen Wahlbezirk konnte Graciela einen Sieg für sich verbuchen, hier jedoch erzielte sie einen doppelten Triumph: der Distrikt war ausgerechnet die Stadt Buenos Aires, wo De la Rúa seit zwei Jahren regiert.
Das Scheitern der 67-jährigen liegt sicherlich zu einem Teil in der Einseitigkeit ihrer Kampagne begründet. Das Desinteresse der nicht politisch organisierten ArgentinierInnen und ihre Angst vor Experimenten, noch dazu mit Frauen, dürfte bei der Wahl eine wichtige Rolle gespielt haben. Entscheidend war aber überdies ein weiteres Element: Da der FREPASO bei weitem nicht über so viele Mitglieder und einen so hohen Organisationsgrad verfügt wie die UCR, war Meijide darauf angewiesen, Massen außerhalb der Partei zu mobilisieren, Menschen, die es nicht gewohnt sind, an parteiinternen Angelegenheiten teilzunehmen. So überwog unter den zwei Millionen TeilnehmerInnen der Kandidatenkür offenbar der Anteil derjenigen, die es mit der UCR halten, gegenüber den FREPASO-AnhängerInnen. Meijide erklärt ihr Scheitern: „Es wählten keine jungen Leute. Das ist etwas, was mich sehr beunruhigt. Denn dieses Land hat einen Umbruch nötig, und der kann nur mit Hilfe der Jugend geschehen.“
Umfragen unter den WählerInnen ergaben, daß De la Rúa vor allem aufgrund seiner jahrelangen politischen Erfahrungen gewählt wurde. Man nahm seine moderate Haltung in Kauf, die einschließt, daß er wesentlich milder als Meijide mit der jetzigen Regierung umgehen wird. Argentinien entschied sich für das Gewohnte.

Fehlende Namen im Wahlregister

Über die Frage hingegen, ob die Unvollständigkeit einiger Wahlregister das Ergebnis maßgeblich zugunsten De la Rúas beeinflußt haben, läßt sich nur mutmaßen. Schließlich ist unklar, für welchen Kandidaten die zehn Prozent der Wahlberechtigten gestimmt hätten, die am 29. November vor den Urnen standen, ihr Kreuz jedoch nicht machen durften, da ihre Namen im Register fehlten. Der zur Wahlaufsicht bevollmächtigte Santiago Díaz Ortiz (FREPASO) machte die Panne am Mittag des Wahltages publik, als es allerdings bereits zu spät war, die Mängel zu beheben. „Die Probleme haben mit der Datenbank zu tun, die als Grundlage für die Erstellung des Registers diente. Es erreichte schon uns mit diesen Lücken und wir konnten nichts mehr retten.“

Cavallo reitet wieder

Noch steht nicht genau fest, gegen wen De la Rúa bei den Wahlen 1999 antreten wird. Die Kandidatur der Peronisten (PJ) steht noch aus. Allerdings werden Eduardo Duhalde, Gouverneur der Provinz Buenos Aires, die meisten Chancen zugeschrieben. Sein Gegner, Ramón „Palito“ Ortega, hat sich zwar als Sänger einen Namen gemacht, wird sich aber auf der politischen Bühne kaum durchsetzen können. Außerdem stellt sich der ehemalige Wirtschaftsminister Menems, Domingo Cavallo als Kandidat der von ihm ins Leben gerufenen Acción por la República zur Verfügung. Zu erwarten ist auch eine Kandidatur der Kommunisten, die aber kaum Erfolgsaussichten haben dürfte. So läßt sich für heute, sollten nicht noch tiefgreifende, unvorhersehbare Veränderungen eintreten, ein Wahlkampf zwischen Fernando de la Rúa, Eduardo Duhalde und möglicherweise auch Domingo Cavallo im nächsten Jahr vorhersagen.

KASTEN:
ALIANZA: Umstrittene, aber erfolgreiche Koalition zwischen UCR und FREPASO. 1996 geschlossen, um in Abgeordnetenwahlen gegen Menem und PJ zu gewinnen. Als sozialdemokratisch einzuschätzen.
UCR (Unión Cívica Radical): Seit 1891, jetziger Vorsitzender: Raúl Alfonsín, 1. demokratisch gewählter Präsident nach der letzten Diktatur, Vorgänger Menems Präsidentschaftskandidat: Fernando de la Rúa.
FREPASO (Frente para un País Solidario): Seit 1994, gegründet von abtrünnigen Linksperonisten (Anstoß gab Alfredo „Chacho“ Alvarez) und der Sozialististischen Partei als Reaktion auf die neue politische Situation. Präsidentschaftskandidatin: Graciela Fernández Meijide.
PJ (Partido Justicialista): Heutige Regierungspartei unter Carlos Menem, meist nur „Peronisten“ genannt. Demnächst finden ebenfalls interne Wahlen zum Präsidentschaftskandidaten statt (Eduardo Duhalde, Ramón Ortega).
ACCION POR LA REPUBLICA: Partei Domingo Cavallos
(Präsidentschaftskandidat), dem rechten Teil des politischen Spektrums zuzuordnen.

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