Kirche | Nummer 437 - November 2010

Katalysator für den Wandel

In Kuba trägt die katholische Kirche maßgeblich zur Freilassung von politischen Gefangenen bei

Nicht erst seit der Freilassung der ersten von insgesamt 52 politischen Gefangenen ist die katholische Kirche auf Kuba in den Fokus des Interesses getreten. Den einen gilt die Kirche als Katalysator für den Wandel. Von anderen wird sie kritisiert, weil sie der Regierung in die Hände spielt und mehr und mehr den Dialog führt, den eigentlich die Opposition führen sollte. Lange hat sich die katholische Kirche allerdings im Hintergrund gehalten, sich meist hinter verschlossenen Türen geäußert. Das ist seit einigen Monaten vorbei, denn gleich mehrfach haben nun die Bischöfe auf der Insel öffentlich Reformen angemahnt und vor Konflikten gewarnt.

Knut Henkel

Die Kirche Santa Rita in Havannas Stadtteil Miramar ist keine gewöhnliche Kirche. Nicht allein, weil der moderne Kirchenbau zu den schöneren in Kuba zählt, sondern vor allem weil sich jeden Sonntag die Damas de Blanco, die in weiß gekleideten Frauen, in diesem Gotteshaus in Havannas Diplomatenviertel treffen. „Der Besuch der Messe und der anschließende Marsch durch Miramar, um für die Freiheit unserer Männer, Söhne, Onkel und Neffen zu demonstrieren, hat Tradition“, erklärt Laura Pollán. Sie gehört zu den Gründerinnen der „Frauen in Weiß“, deren Männer im März 2003 von den kubanischen Sicherheitskräften festgenommen, verhört und wenig später allesamt zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Ihr Mann Héctor Maseda Gutiérrez, einer der „Gruppe der 75”, wie die 75 Oppositionellen, darunter Journalisten und Gewerkschafter genannt werden, sitzt noch immer in Haft. In Kubas Dissidentenkreisen wird der Zeitraum des Falls der „Gruppe der 75“ als „Schwarzer Frühling“ bezeichnet. Die Frauen der politischen Häftlinge gründeten daraufhin die Frauenorganisation Damas de Blanco und wurden 2005 mit dem Sacharow-Preis, dem Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments, ausgezeichnet.
An den sonntäglichen Märschen soll sich nach der Freilassung der letzten aus der „Gruppe der 75“, die für November erwartet wird, nichts ändern. Derzeit sitzen noch ein gutes Dutzend der 75, darunter Laura Polláns Ehemann, in kubanischen Gefängnissen und diejenigen, die der Insel nicht den Rücken kehren wollen, sollen als Letztes aus der Haft entlassen werden, so war aus Kirchenkreisen jüngst zu hören. Ohnehin haben die Damas de Blanco längst erklärt, so lange weitermachen zu wollen, bis auch der letzte politische Gefangene Kubas entlassen worden ist. „Wir hoffen auf das Verhandlungsgeschick der Kirche“. In die hat Laura Pollán großes Vertrauen. „Zur Vermittlung durch die Kirche gibt es keine Alternative. Niemand kann das in Kuba besser machen, denn es gibt keine andere Institution, die ähnliche Glaubwürdigkeit besitzt“, ist sich die ehemalige Lehrerin sicher.
Tatsächlich hat die katholische Kirche mit Unterstützung der spanischen Regierung erreicht, dass bis Ende September 39 der 52 Gefangenen in kleinen Gruppen von drei bis sechs Personen auf freien Fuß gesetzt wurden. Das Gros von ihnen reiste nach Spanien, einzelne aber auch nach Chile und von Spanien in die USA.
Dankbar für den Einsatz der Kirche ist auch Oscar Espinosa Chepe, Ökonom, Journalist und einer aus der „Gruppe der 75“, der aufgrund gesundlicher Probleme schon vor fünf Jahren freigelassen wurde. „Die Kirche ist zwar erst in den letzten Monaten in die Öffentlichkeit getreten, aber hinter den Kulissen hat sie sich schon seit Jahren um Vermittlung bemüht“, erklärt der 69-Jährige. Die Aktionen von Padre José Félix Pérez von der Kirche Santa Rita, sind nur ein Beispiel dafür. Er protestierte zum Beispiel erfolgreich dagegen, dass die Ausweise der „Frauen in Weiß“ im Umfeld der Kirche von der Polizei kontrolliert wurden.
Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich das Verhältnis zwischen Kubas Kommunistischer Partei (PCC) und der Kirche peu à peu entspannt. Als erster Wendepunkt dafür gilt der Parteikongress der Kommunistischen Partei von 1991, auf dem beschlossen wurde, dass der Parteimitgliedschaft die Ausübung einer Religion nicht im Wege steht. Den zweiten markierte der Besuch des Papstes im Januar 1998, bei dem Johannes Paul II. mehr Bewegungsfreiheit für die Kirche anmahnte. Auch dieses Ereignis hat einiges zum Aufschwung der katholischen Kirche auf Kuba beigetragen. Diese hat Schätzungen zufolge rund eine halbe Million aktive Mitglieder. Hinzu kommen rund vier Millionen getaufte, aber nicht praktizierende KatholikInnen. Von denen haben viele eine hohe Affinität zu afrikanischen Religionen und tauchen eher sporadisch in den katholischen Gotteshäusern auf. Gleichwohl ist die katholische Kirche auf der Insel die einzige Institution, die in der gesamten Bevölkerung soviel Vertrauen genießt, dass sie nicht Gefahr läuft, als Handlanger der Regierung zu erscheinen.
Für die Regierung von Raúl Castro sind direkte Gespräche mit der kleinen, nicht sonderlich homogenen und offiziell illegalen Opposition bisher undenkbar. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden deren Organisationen und Führungsfiguren in den staatlichen Medien ignoriert. Ein direkter Kontakt wäre somit nur schwer zu vermitteln gewesen und die Kirche ist daher eine willkommene Alternative als Vermittlerin. Die hat sich allerdings in den letzten Monaten vermehrt kritisch zu Wort gemeldet – so zum Beispiel in Person von Dionisio García Ibáñez, dem Präsidenten der Bischofskonferenz aus Santiago de Cuba. Ihm folgte im April Kardinal Jaime Ortega y Alamino. Er rief die Regierung zur Mäßigung auf. Zuvor waren die Märsche der Damas de Blanco gleich mehrfach von RegierungsanhängerInnen angegriffen, die Frauen beleidigt und teilweise auch geschlagen worden.
Wenig später begannen die Verhandlungen zwischen der Regierung von Raúl Castro und den beiden Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof García Ibáñez und Kardinal Ortega y Alamino. Mit diesen Verhandlungen über den Umgang mit der Opposition und die Freilassung von politischen Gefangenen hat sich die Rolle der Kirche in Kuba verändert. Diese hat jedoch, so Oswaldo Payá, Vorsitzender der oppositionellen christlichen Befreiungsbewegung, die Rolle des alleinigen Gesprächspartners inne. „Das bedeutet, dass andere Organisationen ausgeschlossen werden“, kritisiert der überzeugte Christ und Pazifist. Der Träger mehrerer internationaler Menschenrechtspreise, darunter dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments, wirft der Kirche vor, dass sie de facto die Rolle der „einzigen Gesprächspartnerin“ angenommen habe.
Von der Kirche wird eine solche Sicht der Dinge zurückgewiesen. Sie sieht sich als Wegbereiterin der Freilassung der Gefangenen und geht davon aus, dass der Dialog auf andere Themen und Fälle ausgeweitet werden kann. Eine wesentliche Aufgabe der Kirche sei die Versöhnung und daher habe die Kirche die Verpflichtung in einer Situation wie dieser zu agieren, so García Ibáñez.
Dass die katholische Kirche dabei mehr und mehr an das Licht der Öffentlichkeit getreten ist, hat auch viel mit der prekären Situation in Havanna zu tun. Kubas Regierung steht mit dem Rücken zur Wand, weil selbst das Geld für notwendigste Importe knapp ist und die halbherzigen Reformen der letzten drei Jahre nichts gebracht haben. Auch ein Grund, weshalb Ortega y Alamino Mitte April die Regierung aufforderte, endlich die angekündigten Wirtschaftsreformen einzuleiten. Es gäbe einen „nationalen Konsens den Wandel einzuleiten“, mahnte der Kardinal.
Diese Meinung teilen zwar auch große Teile der Opposition in Kuba, allerdings sind viele mit der Rolle der Kirche nicht einverstanden. Die arbeite der Regierung in die Hände, helfe den internationalen Druck zu reduzieren und sorge faktisch für die Ausweisung der freigelassenen politischen Gefangenen. Von denen hat sich bisher ein knappes Dutzend geweigert auszureisen – unter ihnen mit Héctor Maseda Gutiérrez der Mann Laura Polláns. Ob sie weiterhin in Kuba leben können und ob sie ohne Auflagen und Bedingungen freigelassen werden, ist bisher unklar. Das ist in Kubas Dissidentenkreisen ein Thema. So kritisieren 165 DissidentInnen in einem Brief an Papst Benedikt XVI., dass die Gefangenen dank der Vermittlung der Kirche nach Spanien abgeschoben würden, was wiederum im Interesse der kubanischen Regierung läge, die Störenfriede loszuwerden. Die AutorInnen Martha Beatriz Roque, Luis García und Vladimiro Roca forderten, dass die Kirche aufhören solle, die Regierung politisch zu unterstützen. Zwar wies die katholische Kirche diese Sicht der Dinge, die längst nicht alle der international bekannten DissidentInnen teilen, umgehend zurück, aber es zeigt, dass die veränderte Rolle der Kirche sehr wohl auch politisch interpretiert wird. Für die Kirche eine Gratwanderung, denn derzeit laufen mit der Regierung in Havanna auch Verhandlungen ganz anderer Art. Dabei geht es um einen potentiellen Papstbesuch im Jahr 2012. Dann feiert die katholische Kirche Kubas den 400. Jahrestag der Entdeckung „Unserer Lieben Frau der Nächstenliebe“, der Patronin Kubas. Zu den Feierlichkeiten den Papst auf der Insel begrüßen zu können, wäre aus Sicht der Kirche ein Ereignis. Das würde ihren Stellenwert auf der Insel eventuell weiter stärken.

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