Chile | Indigene | Kultur | Nummer 525 - März 2018

KEIN LAND OHNE SPRACHE

In Chile kämpfen Mapuche um den Erhalt von Mapuzungun

Die Sprache der indigenen Mapuche befindet sich in einer kritischen Situation. Wie bei vielen indigenen Sprachen nimmt die Anzahl der Sprecher*innen stetig ab. Allerdings gibt es einige Bemühungen, das Verschwinden der mehr als 6.000 Jahre alten Sprache zu verhindern.

Von David Rojas Kienzle

>Fotos: David Rojas-Kienzle

„Wir sind heute hier in Temuco, um den lokalen Autoritäten und der Gesellschaft in der Region zu zeigen, dass Mapuzungun am Leben ist, aber Unterstützung braucht“, so einer der vielen Redner*innen auf der Demonstration für die Anerkennung von Mapuzungun als offizielle Sprache am 16. Februar. Temuco ist die Hauptstadt der südchilenischen Region Araucanía, die am stärksten indigen geprägt ist. Gut 500 Menschen sind dem Aufruf gefolgt und nahmen an dem bunten Lauf durch die Innenstadt teil. Mapuzungun ist die Sprache der Mapuche und wird nach Schätzungen in Argentinien und Chile von mehr als 450.000 Menschen gesprochen. Die Mehrheit der Sprecher*innen ist allerdings älter als 50 Jahre und in der jüngeren Generation der unter 25-Jährigen sind es nach Schätzungen – aktuelle Umfragen gibt es nicht – nur noch fünf Prozent der Bevölkerung, die die indigene Sprache wirklich beherrschen. Ist das Mapuzungun also dabei, verloren zu gehen?

Wenn es nach Alberto Huenchumilla (33) geht, nicht. Er hat zusammen mit anderen Einzelpersonen und Organisationen, die sich der Verbreitung und dem Unterrichten von Mapuzungun widmen, die Demo organisiert, die jährlich stattfindet. „Wir machen Workshops, Kurse und mehrtägige Internate hier in Temuco und der Umgebung. Wir versuchen ein Ambiente zu schaffen, in dem nur Mapuzungun gesprochen wird, aber das ist schwierig, weil es wenige Muttersprachler gibt. Aber wir haben positive Ergebnisse erzielt, es gibt viele, vor allem junge Leute, die Mapuzungun lernen.“ Huenchumilla ist besorgt um seine Muttersprache: „Es ist vor allem die Generation meiner Eltern, die über 60 Jahre alt sind, die Mapuzungun sprechen und viele von ihnen gehen schon von uns. Und Kinder, die heute auf die Welt kommen, lernen selten Mapuzungun.“

Mapuzungun wird von mehr als 450.000 Menschen gesprochen.

Eines der größten Probleme ist, dass Mapu­zun­gun außerhalb von Gemeinden und Mapuche-Zeremonien kaum gesprochen wird. Beim Arzt, in der Schule, in öffentlichen Einrichtungen – fast überall wird ausschließlich Spanisch gesprochen. Zwar werden in öffentlichen Einrichtungen auf Schildern einzelne Begriffe übersetzt, z.B. pewkayal – „Auf Wiedersehen“, allerdings mehr als Folklore denn als Commitment zum Mapuzungun. Das Recht, Mapuzungun zu sprechen und gehört zu werden, gibt es in Chile nicht. „Als Muttersprachler müsste ich die Möglichkeit haben, beispielsweise im Büro oder in Orten der öffentlichen Verwaltung Mapuzungun zu sprechen. Eine Anerkennung als offizielle Sprache würde bedeuten, dass Mapuzungun auch in Schulen gesprochen wird, so wie Spanisch.“

Huenchumilla ist als Muttersprachler seines Alters eine Ausnahme. Die meisten Mapuche, die jünger als 40 sind, sprechen kein Mapuzungun, ihre Eltern haben es ihnen nicht beigebracht. Zu tief sind die Narben, die Diskriminierung und Mobbing hinterlassen haben. Auch Basilio Painemal (73) hat seinen Kindern kein Mapuzungun beigebracht, sondern Spanisch mit ihnen geredet. Er hatte als Kind die Erfahrung machen müssen, diskriminiert zu werden, weil er, als er mit sechs Jahren in die Schule kam, kein Spanisch sprach. Nachdem er ein halbes Leben in Santiago verbracht hatte, wo er kaum jemanden fand, mit dem er in seiner Muttersprache hätte sprechen können, entschloss er sich dazu, seinen Kindern seine Sprache nicht beizubringen, um ihnen diese schmerzhaft Erfahrung zu ersparen. Wie Basilio Painemal ging es den meisten Mapuche seiner Generation.

Sein Enkel, Jonathan Zapata Painemal hat sich genau wie Huenchumilla dem Mapuzungun verschrieben. Er selbst ist kein Muttersprachler, sondern musste sich Mapuzungun spät im Leben beibringen. Heute unterrichtet er selbst, unter anderem auch in einem der vielen Sommer­internate. In Río Amargo, in der Nähe der Kleinstadt Collipulli, fand ein solches selbstorganisiert für eine Woche statt. Die gut 30 chilkatufe – „Schüler*innen“ – waren dabei mit den Problemen, die das Erlernen von Mapuzungun erschweren, konfrontiert. Mapuzungun ist eine sogenannte isolierte Sprache, die keine bekannten Sprachverwandtschaften mit anderen Sprachen hat. Allein die verwendeten Laute sind für Spanisch sprechende Personen fremd, die Struktur ist mit indogermanischen Sprachen, wie Deutsch, Englisch oder Spanisch nicht zu vergleichen. Mapuzungun ist eine agglutinierende Sprache, das bedeutet, dass Aktionen, für die man beispielsweise im Deutschen einen ganzen Satz verwenden würde, mit an ein Substantiv angehängten Suffixen erklärt werden. „Ich werde nicht schwimmen gehen“ heißt so nur willülayan.

Die meisten Mapuche unter vierzig sprechen kein Mapuzungun.

„Man sagt, dass wenn ein Kind eine Sprache lernt, es jedes Wort 70 Mal aussprechen muss, bevor es internalisiert wird. Ihr seid alle wie Kinder, also redet so viel ihr könnt!“, ermutigt Zapata die chilkatufe zu sprechen, auch wenn es schwierig ist. Eine besondere Rolle kommt während des Internats dem chachay (liebevolle Bezeichnung für einen älteren Mann) Basilio Painemal zu. Er ist die Referenz für Aussprache und Grammatik und beantwortet mit unendlicher Geduld die zahllosen Fragen der chilkatufe. Nach einer Woche haben die Schüler*innen einen Grundwortschatz an Mapuzungun gelernt. Aber wird das ausreichen, um die Sprache zu retten?

Die Demonstration in Temuco geht zu Ende, Huenchumilla hat Hoffnung, sieht aber auch die Probleme: „Mapuzungun hat gerade wenig Prestige. Aber ich denke, dass die Sprache immer mehr geschätzt wird, vor allem von jungen Leuten, auch solchen die keine Mapuche sind. Das ist sehr wichtig, damit sich das Mapuzungun erholen kann. Wir sind in einer kritischen Situation. Aber es gibt die Hoffnung, dass wir wieder auf Mapuzungun leben können, so wie es früher war. Ohne Sprache haben wir kein Territorium.“ Denn der Kampf um die eigene Sprache ist eng verbunden mit dem Kampf um die Rückeroberung des eigenen Territoriums der Mapuche, auf dem sie bis zur Invasion des chilenischen Militärs im 19. Jahrhundert, autonom lebten. Dabei geht es jedoch nicht allein um die Wiederaneignung von Land, sondern auch um die Revitalisierung von Kultur und Sprache.

Einer, der diesen Kampf aktiv führt, ist Luanko (31), Rapper. „Ich habe mit 19 Jahren angefangen Mapuzungun zu lernen. Aber ich beherrsche nur etwa 50 Prozent. Je mehr man lernt, desto mehr stellt man fest, was man nicht weiß.“ Luanko rappt auch auf Mapuzungun. „Vor zehn Jahren habe ich meine erste CD auf Mapuzungun veröffentlicht, mittlerweile sind es vier. Das was ich rappe, ist meine alltägliche Sprache. Ich spreche auch mit meiner Tochter Mapuzungun.“ Auch Luanko ist besorgt um seine Sprache. „Wenn die neuen Generationen, wie die meiner Tochter, nicht Mapuzungun lernen, könnte eine Sprache, die mehr als 6000 Jahre alt ist, verloren gehen. Deswegen ist es so wichtig, dass meine Generation die Sprache spricht, nicht nur einzelne Wörter, sondern den ganzen Tag. Es ist traurig das zu sagen, aber nur eine Minderheit meiner Freunde spricht Mapuzungun mit ihren Kindern“.

“Ihr seid alle wie Kinder, redet so viel ihr könnt!”

Trotzdem hat zumindest Basilio Painemal neue Hoffnung geschöpft. Die vielen Initiativen lassen ihn optimistisch in die Zukunft blicken: „Ich habe immer gesagt, dass Mapuzungun dabei ist, verloren zu gehen, mittlerweile denke ich aber, dass es dabei war, verloren zu gehen.“

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