Argentinien | Nummer 379 - Januar 2006

Kirchner auf allen Kanälen

Argentinien zahlt alle Schulden beim IWF

Nach dem deutlichen Wahlerfolg der Präsidentenpartei Frente para la Victoria hat Amtsinhaber Néstor Kirchner sein Kabinett und den Kongress endgültig auf seinen Kurs gebracht. Mit der überraschenden als auch emotionalen Ankündigung der Schuldentilgung beim Internationalen Währungsfonds hat Kirchner weiter gepunktet.

Jürgen Vogt

Wir haben ein Stück Freiheit zurück gewonnen!“ Mit die-sen Worten hatte der argentinische Präsident Néstor Kirchner am 16. Dezember die Begleichung der gesamten Verbindlichkeiten Argentiniens in Höhe von 9,8 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bis zum Jahresende 2005 bewertet. In einer vom Fernsehen live übertragenen Rede kündigte Kirchner die Tilgung der Schulden an, welche mit Hilfe der Devisenreserven der argentinischen Zentralbank erfolgen soll. Argentinien besitzt gegenwärtig Devisenreserven von knapp 27 Milliarden US-Dollar.
Gleichzeitig werde mit der vorzeitigen und einmaligen Bezahlung rund eine Milliarde US-Dollar an Zinszahlungen eingespart. Die gesamte argentinische Auslandverschuldung beläuft sich jedoch weiterhin auf eine Höhe von 120 Milliarden US-Dollar. Beim IWF wären 2006 gut 5,1 Milliarden, 2007 gut 4,6 und 2008 nochmals rund 500 Millionen US-Dollar fällig geworden.
Die strikte Einhaltung des Schuldendienstes gegenüber dem IWF war ein zentraler Punkt der argentinischen Wirtschaftspolitik. Dies obwohl die Abhängigkeit von der US-dominierten Finanzorganisation dem argentinischen Präsidenten Kirchner von Beginn seiner Amtszeit ein Dorn im Auge war. In seiner Ankündigung kritisierte Kirchner abermals in scharfer Form die Politik des IWF gegenüber Argentinien, der mit dem Druckmittel der Verschuldung sein Land zu einer „antizyklischen Politik gezwungen hat, die sich schädlich auf das Wirtschaftswachstum ausgewirkt hat.“ Die vorzeitige Bezahlung der Verbindlichkeiten gegenüber dem IWF versetze Argentinien außerdem in eine bessere Position bei der Frage der Reformierung der internationalen Finanzinstitution.

Schluss mit dem Monster

Kirchner verkündete den Rückzahlungsplan im Präsidentenpalast vor seinem Kabinett, den Gouverneuren der Provinzen, geladenen Unternehmern, Gewerkschaftsführern, Vertretern der Streitkräfte und Menschenrechtsorganisationen. Estela de Carlotto, die Vorsitzende der Großmütter der Plaza de Mayo sprach anschließend, „von einem historischen Tag, weil wir mit einem Monster Schluss gemacht haben, dass uns unterdrückt hat.“
Kirchner brauchte jedoch die Hilfe von Venezuela und Spanien um die Schulden beim IWF zu begleichen. Bei seinem Besuch in Venezuela Ende November sagte ihm sein Amtskollege Hugo Chávez einen weiteren Kauf von argentinischen Staatsanleihen in nicht genannter Höhe zu. Bereits wenige Monate zuvor hatte Venezuela argentinische Anleihen in Höhe von 900 Millionen US-Dollar gekauft. Zu welchen Konditionen Argentinien Anleihen an die beiden Länder ausgeben konnte ist nicht bekannt.
Wie die argentinische Tageszeitung „Clarín“ berichtet, sei der Rückzahlungsplan bereits vor einem Jahr mit der spanischen Regierung besprochen worden. Demnach sollten bei der Zentralbank Rücklagen aus Devisenreserven, Guthaben bei der staatlichen Nationalbank und Steuereinnahmen in Höhe von zehn Milliarden gebildet werden, um Ende 2005 auf einen Schlag den IWF auszahlen zu können.

Präsident K – Kongress K

Die nötigen Steuereinnahmen sicherte sich die Regierung einen Tag zuvor, als das neu gewählte Abgeordnetenhaus in seiner ersten Sitzung einer Verlängerung von Steuererhebungen zustimmte, die rund 40 Prozent der Steuereinnahmen ausmachen. Dass hiervon auch die Schulden beim IWF mitbezahlt werden sollten, wussten die Parlamentarier nicht. Erst als dies alles über die Bühne gegangen war, lud Kirchner kurzfristig und für viele überraschend zu seiner Ankündigung in die Casa Rosada ein.
Es war die erste parlamentarische Nagelprobe für Kirchner nach den Parlamentswahlen vom 23. Oktober. Im Abgeordnetenhaus verfügt die Regierung nur über 115 Mandate. Für eine einfache Mehrheit benötigt sie die Zustimmung von 129 Abgeordneten. Dass das Parlament jedoch am 16. Dezember mit 162 Stimmen auch den von der Regierung vorgelegten Haushalt für 2006 passieren ließ, ging im Freudentaumel über die Schuldenrückzahlung fast unter.

Kabinett K

Den Haushaltsentwurf für 2006 hatte noch der ehemalige Wirtschaftsminister Roberto Lavagna ins Parlament eingebracht. Lavagna war bereits unter Kirchners Amtsvorgänger Eduardo Duhalde Wirtschaftsminister. Kirchners Zusage, Lavagna auch weiterhin im Kabinett zu behalten sicherte ihm 2003 wichtige Wählerstimmen. Lavagna war der einzige weitgehend selbstständig agierende Minister in Kirchners Kabinettsriege. Aus dem Wahlkampf für das neue Parlament hielt er sich mit eisernem Schweigen völlig raus. Nach dem deutlichen Wahlsieg der Präsidentenpartei Frente para la Victoria waren seine Tage im Amt für viele Beobachter gezählt.
Lavagna kritisierte Ende November mögliche Kartellabsprachen der mit staatlichen Aufträgen betrauten Firmen und warf ihnen Preisabsprachen vor. Die Vergabe der Aufträge fällt in das Ressort von Planungsminister Julio De Vido. Die umstrittene Figur am Kabinettstisch ist Wegbegleiter des Präsidenten seit er Bürgermeister von Río Gallegos war. Damit war das Maß voll: Vier Tage später war Lavagna seinen Job los.
Nachfolgerin im Amt des Wirtschaftsministers wurde die bisherige Präsidentin der argentinischen Nationalbank (Banco de la Nación) Felisa Miceli. Ebenfalls ausgetauscht wurden der Außenminister, der Minister für Verteidigung und die Ministerin im Sozialministerium. Diese Wechsel kamen jedoch nicht überraschend. Die bisherigen Amtsinhaber wurden bei den Parlamentswahlen Ende Oktober als Senatoren und Abgeordnete in den Kongress gewählt. Eine Ämterdoppelung ist in Argentinien nicht möglich.
Neuer Außenminister wird der bisherige Vizeaußenminister Jorge Taiana, der wesentlich den Gipfel der Amerikas Anfang November organisiert hatte. Taiana saß unter der Militärdiktatur lange Jahre im Gefängnis. Neue Verteidigungsministerin wird Nilda Garré, die bisher Botschafterin in Venezuela war. Die dreifache Mutter wurde 1945 in Buenos Aires geboren. 1973 wurde sie zum ersten Mal als Abgeordnete ins Parlament gewählt. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 engagierte sie sich für Menschenrechte. Seit Juni 2005 bekleidete sie das Amt der Botschafterin in Venezuela.

Die Schwester sichert die Provinz

Im Sozialministerium wird Juan Carlos Nadalich der Nachfolger der Präsidentenschwester Alicia Kirchner. Die Schwester ist jetzt Senatorin von Santa Cruz. Nadalich war bisher der zweite Mann in der Sozialversicherungsanstalt Pami und gilt als absolut loyal gegenüber dem Präsidenten.
Kirchner hat zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt im Mai 2003 eine größere Kabinettsumbildung vorgenommen. Mit dem Rauswurf von Lavagna hat er den letzten unabhängigen Mohikaner vom Kabinettstisch verdrängt. Mit Felisa Miceli hat er das in Argentinien mächtige Wirtschaftsministerium selbst übernommen. Im Kongress bekommt er seine Mehrheiten. Als Präsident hat Kirchner seine Machtbasis gefestigt. Und die Peronisten brauchen bald einen neuen Parteivorsitzenden. Man darf gespannt sein.

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