„Kleine Rache an Collor“
„Doces poderes“ ist für die Regisseurin
Wie entstand die Idee, diesen Film zu machen?
Dieser Film ist aufgrund einer sehr persönlichen Erfahrung entstanden. Die Idee ist eigentlich schon aus dem Jahr 1990, als dieser Film sehr angebracht war. In jener Zeit fanden die ersten Präsidentschaftswahlen statt, und zwar zwischen Collor und Lula, wo ein richtig schmutziges Spiel getrieben wurde. Und es waren praktisch die ersten Wahlen in Brasilien, die sich in eine Marketing-Kampagne verwandelten. Als ich nach Brasilien zurückkehrte, waren alle meine Freunde in Wahlkampagnen engagiert. Das war für mich ein regelrechter Schock, eine totale Überraschung. Und schon damals habe ich diesen Film erlebt und hatte ihn im wesentlichen auch schon entworfen und strukturiert.
In welchen politischen Kampagnen steckten denn die meisten Ihrer Freunde?
Als ich zurückkehrte, war die Präsidentschaftswahl zwischen Collor und Lula schon gelaufen, meine Journalistenfreunde machten Wahlkampf für verschiedene Gouverneurskandidaten. Ich glaube, damals war in Brasilien das allgemein vorherrschende Gefühl, daß die Utopien vorbei und jegliche revolutionären Perspektiven verloren gegangen waren. Hinzu kamen die Wirtschaftskrise und natürlich auch die Wirklichkeit unter der Präsidentschaft von Collor. All das brachte die Leute zu der Überzeugung, daß es sich ja doch nicht mehr lohne. Sie fingen an, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten und Dinge zu tun, für die sie sich früher nie hergegeben hätten.
Dieser Film enthält also sicherlich auch viele autobiographische Elemente. Wieviel davon steckt hinter der Hauptperson, der Fernsehjournalistin Bia, die zur Programmdirektorin aufsteigt?
Es ist immer sehr angenehm, in dem Bereich zu arbeiten, wo man sich auskennt, den man im wahrsten Sinne des Wortes beherrscht. Und ich kenne die Dialoge, die Welt der Schauspieler, die technischen und professionellen Details beim Fernsehen. Dadurch hatte ich die Situation voll unter Kontrolle. Aber der Film selber ist eine reine Fiktion. Ich erzähle Ihnen das als jemand, die selber Chefredakteurin bei einer Zeitung war und aus wirtschaftlichen, nicht so sehr aus wirklich politischen Gründen im Anschluß an einen Streik entlassen wurde.
Sie haben an etlichen Stellen des Films eine typische Fernsehästhetik eingesetzt in Form der Video-Clips und vor allem der typischen Wahlkampfspots von politischen Kandidaten.
Wir haben eine Mischung zwischen dokumentarischen und fiktiven Anteilen versucht, denn das ist manchmal besser als ein rein fiktiver Film. Für mich war das vor allem in der Endphase ausgesprochen interessant. Erst wollten wir ein Komödie drehen, dann wurde es mehr ein Thriller, dann kommt ein neues Thema hinzu und man fängt an, mit den verschiedenen Stilen zu spielen.
Wie haben das Publikum und die PolitikerInnen in Brasilien auf den Film reagiert?
In den Universitäten gab es etliche Diskussionsveranstaltungen darüber. Die Polit-Szene reagierte eher besorgt auf den Film. Aber es gab auch sehr positives Echo, zum Beispiel bei den Journalisten in Brasília. Immer gab es im Anschluß an den Film Diskussionen. Viele Leute sind von dem Film wirklich beeindruckt, weil er sehr wahrheitsgetreu ist. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es immer ein schwieriger Film geblieben ist. Denn viele Menschen in Brasilien wollen sich einfach nicht mehr mit politischen Fragen auseinandersetzen. Und der Film wendet sich gegen diese Entpolitisierungstendenz.
Kann dieser Film zu Veränderungen in Brasilien beitragen?
Nein, ich glaube nicht, daß er die Kraft dazu hat. Wir haben uns zum Schluß überstürzt, um den Film noch vor den Wahlen herauszubringen, wir waren besorgt über die Reaktion der Medien. Der Film wurde zwar recht gut aufgenommen, an den Wahlen hat er aber nichts geändert, die Dinge gehen so weiter wie vorher. Und das hat sich gerade wieder in Sao Paulo gezeigt, wo ein Bürgermeisterkandidat aufgebaut wurde, der de facto ein Rechter war. Er war eine großartige Schöpfung der paulistischen Rechten und siegte allein dank eines absurden, aufgebauschten Marketings.
Wie teuer war der Film und wie ist er finanziert worden?
Er war sehr preiswert, er kostete nur 15.000 Dollar, sogar ein bißchen weniger. Im Unterschied zu vielen anderen Filmen haben wir nicht alles importiert, so daß die Filmarbeit in Brasilien ziemlich billig war. Und praktisch alle Schauspieler haben für einen symbolischen Betrag mitgemacht.
Kann der Film das Geld in Brasilien wieder einspielen?
Nein. Denn das ist sehr schwierig in Brasilien, der Markt ist klein, und die Leute haben größere Sorgen als den Inhalt dieses Films. Wir müssen unseren Markt erst wieder erobern.
Welchen Marktanteil kann ein derartiger Film überhaupt besetzen?
Einen sehr kleinen, der sich auf die großen Städte beschränkt, wo es für ein bestimmtes, europäischeres Publikum zwei oder drei Kinos gibt, wo solche Filme laufen. Er ist in Rio und in Sao Paulo jeweils nur in einem Kino gelaufen. Es wurde zwar lange dafür Werbung gemacht, aber er lief nur in einem einzigen Kino einer alternativen Gruppe, die eine sehr gute Arbeit machen. Für zwei Wochen wurde er in Rio noch in einem anderen Kino gezeigt, aber ansonsten ist das ein Problem der Zeit. In den anderen Städten des Landes läuft er mal für ein oder zwei Tage, und in die abgelegeneren Gebiete kommt er nie. Zumindest nicht in die Kinos, nur als Video. Es wurde viel über unseren Film gesprochen, und wir glauben, daß er gut als Videoversion geeignet ist. Wir haben die Hoffnung, darüber an mehr heranzukommen, und zwar nicht so sehr an Geld wie an ein größeres Publikum.
Wie schätzen Sie die Lage des brasilianischen Kinos derzeit ein?
Es war niemand anderes als Fernando Collor, an dem sich mein Film ja auch ein bißchen rächt, der in seiner vierjährigen Amtszeit mit dem brasilianischen Kino aufgeräumt hat. Denn bis dahin lebten die brasilianischen FilmemacherInnen von der Finanzierung durch die öffentliche Filmgesellschaft Embrafilm, die alle Produktionen vertrieb. Erst nach langen Auseinandersetzungen konnten wir andere Finanzierungsmöglichkeiten auftun. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir wieder angefangen, Filme zu machen. Aber wir hängen nach der neuen Gesetzgebung von der Privatwirtschaft ab. Letztlich glaube ich nicht, daß das brasilianische Kino ohne Unterstützung des Staates überleben kann.