Kleinstadt gegen Großprojekt
Bürger_inneninitiative stoppt Bau einer Saatgutfabrik des Agrar-Giganten Monsanto
Es ist das ambitionierteste Projekt Monsantos in der Region: Eine Anlage zur Aufbereitung von genmanipulierten Maissamen mit einem Lagerbestand von bisher beispielloser Größe. Doch weit ist der Gen-Multi mit seinem Vorhaben in unmittelbarer Nähe der Kleinstadt Malvinas Argentinas bisher nicht gekommen. Seit dem 19. September blockiert ein von Bürger_innen organisiertes Protestcamp die Zufahrtswege zur Baustelle. Seither hat es verschiedenen Übergriffen und Räumungsversuchen seitens der Polizei und Teilen der korrumpierten Baugewerkschaft UOCRA (Unión Obrera de la Construcción de la República Argentina) standgehalten. Zuletzt ging die Polizei am 30. Dezember gewaltsam gegen die Protestierenden vor. Das Kollektiv Asamblea Malvinas Lucha por la Vida (Vereinigung von Malvinas Kampf für das Leben), das sich seit der Ankunft des Agrar-Multis in der Ortschaft organisiert, reagierte auf den Angriff mit folgender Meldung: „Sie haben uns nicht zu Fall gebracht, sondern uns Kraft gegeben, um weiter Widerstand zu leisten.” Die Mitglieder der Asamblea fordern, über das Großprojekt und die Zukunft ihres Dorfes mit einer Bürger_innenbefragung entscheiden zu können, so wie es das argentinische Bundesumweltgesetz vorsieht.
Nach über 100 Tagen des Protestcamps, ging am 8. Januar ein Lächeln durch Malvinas Argentinas. Ein Gericht auf Provinzebene stoppte die Bauarbeiten für die Fabrikanlage bis auf Weiteres. Laut Rechtsspruch kann nun erst weitergebaut werden, wenn die Umweltverträglichkeitsstudie und Bürger_innenbefragung durchgeführt wurden, die für ein industrielles Vorhaben dieser Größenordnung gesetzlich vorgeschrieben sind. Monsanto hat bereits erklärt, Einspruch gegen das Urteil erheben zu wollen. Der 23-jährige Gastón Mazzalay von Malvinas Lucha por la Vida feierte das Urteil: „Das ist ein weiteres Nein für Monsanto!” Aber auch wenn dies ein Triumph für die aktive Bürgerschaft sei, erhoffe man sich innerhalb der Organisation eine „grundlegende Lösung” – eine endgültige Ablehnung der Genehmigung für Monsanto. Für Mazzalay bleibt kein Zweifel daran, dass der soziale Druck, den die Asamblea ausübt, Einfluss auf die öffentlichen Behörden hat. In einem Ort, der wegsieht, hat Monsanto freie Fahrt. In Malvinas ist das nicht der Fall.
Es sind viele, die die Blockade aufrecht erhalten, die so lange weitergehen soll, bis Monsanto endgültig das Gebiet verlassen hat. Einige Dutzend junge Menschen bilden den harten Kern. Die Zahl der zusätzlichen Unterstützer_innen variiert im Verlauf der Tage, mal sind es 30 mal über 500, die sich im Protestcamp versammeln. Vanina Barboza Vaca ist eine der etwa 14.000 Einwohner_innen der Ortschaft Malvinas, die über Landstraße in etwa 20 Minuten von der Provinzhauptstadt Córdoba zu erreichen ist. Auch sie ist Mitglied der Asamblea: „Wir kämpfen für eine saubere Umwelt für uns und unsere Kinder. Für die, die nach uns kommen und für die, die schon hier sind, sich aber kein Gehör verschaffen können“, sagt sie mit lauter Stimme. Die Nachbar_innen aus der Asamblea wissen, dass dieser Fabrik die Türen zu öffnen zugleich bedeutet, ein Modell der industriellen Landwirtschaft zu nähren – und somit all seine Nebenprodukte wie die großflächige Entwaldung, die gewaltsame Vertreibung von Familien und den Einsatz von Chemikalien. Vanina veranschaulicht dies so: „Monsanto wird nichts anderes machen, als unsere Böden zu plündern und sie den kleinbäuerlichen Familien so ausgelaugt zurückzulassen, dass sie diese nicht mehr bestellen können.“
Vor den Toren Monsantos, am Rande der Ruta A188, sind im Laufe der Wochen Zelte, Dächer aus Plastikplanen und Lehmhütten aus dem Boden geschossen. Zu den Nachbar_innen der Region gesellen sich Jugendliche aus der Provinzhauptstadt Córdoba, Studierende, Lehrende und andere soziale Organisationen, die sich mit dem Wachehalten abwechseln. So verhindern sie, dass LKWs und Maschinen auf das Gelände des Gen-Multis gelangen. Alles wird kollektiv organisiert: Gekocht wird für alle Anwesenden, die Lebensmittel bringen Unterstützer_innen mit, Unterstände zum Schutz vor Regen und extremer Hitze werden gebaut, gespendete Kleidung und Decken geteilt. Das Camp selbst ist zu einem großen Ort des Lernens geworden: Nach Prinzipien des ökologischen Anbaus wird Gemüse gepflanzt, Künstler_innen ziehen mit Theater- und Tanzaufführungen durchs Camp, es gibt Konzerte und Referent_innen sowie Journalist_innen mit kritischem Blick auf das extraktivistische Landwirtschaftsmodell halten Vorträge. Sogar Manu Chao und der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel sind unter den Besucher_innen des Camps gewesen.
Die neu gegründete Asamblea profitiert von den Erfahrungen von Organisationen wie den Madres del Barrio Ituzaingó Anexo (Mütter des Viertels Ituzaingó), die sich seit mehr als einem Jahrzehnt in einem Vorort Córdobas gegen den exzessiven Einsatz von Agrarchemikalien wehren. Die Madres sind eine unentbehrliche Referenz für die neue Protestgeneration. Nach acht Jahren Rechtsstreit erreichten sie im Jahr 2012 die Verurteilung eines Agrarproduzenten und Sprühflugzeugbesitzers aufgrund unsachgemäßen Einsatzes von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Das argentinische Bundesgesetz für Schadstoffe ahndet den Einsatz von Chemikalien, die auf umwelt- und gesundheitsschädliche Weise eingesetzt werden. Obwohl es beim Einsatz von Sprühflugzeugen praktisch unmöglich ist, dass die Chemikalien nur die vorgesehenen Flächen erreichen, kam das Gesetz zum ersten Mal im Agrarbereich zum Tragen. Der Rechtsspruch wurde so zum Präzedenzfall für Argentinien und Lateinamerika. In diesem Jahr geht es mit der Verhandlung in einer zusammengehörigen Klage weiter, in der versucht wird, die direkte Verbindung zwischen dem Einsatz von Herbiziden und der Ausbreitung von Krankheiten nachzuweisen. In Ituzaingó weisen laut öffentlichen Studien 80 Prozent der Kinder Rückstände von Chemikalien im Blut auf.
Sofía Gatica, 46, ist Gründerin des Kollektivs der Madres und eine international bekannte Umwelt-aktivistin. Sie führt die Blockade gegen Monsanto in Malvinas an. Seit Beginn des Camps hat Sofía verschiedene Drohungen erhalten, wurde sowohl von Unbekannten auf der Straße als auch von der Polizei gewaltsam angegriffen. „Niemand hilft uns. Die Anwohner stehen ganz allein gegen das größte multinationale Unternehmen der Welt, das ausbeuterisch und gewalttätig ist“ ,beklagt sie sich. „Während an der Basis gekämpft wird, schauen die Regierenden weg.”
Oder im Gegenteil: Sie schauen direkt hin. Am 15. Juni 2012 wurde das Projektvorhaben von Monsanto in Malvinas Argentinas öffentlich. Auf dem Treffen des Rates der Amerikas in New York, einem Forum, auf dem sich große Unternehmen mit den Regierenden des Kontinents versammeln, um offene Märkte und „Demokratie” innerhalb der Amerikas zu propagieren, gab die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner vom links-peronistischen Wahlbündnis Frente para la Victoria die zukünftige Investition bekannt. „Ich bin sehr stolz”, verkündete sie auf der Versammlung mit Blick auf die Broschüre des Großprojekts, das der Agrargigant für die Menschen in Córdoba vorgesehen hatte. Cristina Kirchners Unterstützung für Monsanto fand ihre Entsprechung auf lokaler Ebene quer durch die politische Bank. Der Bürgermeister von Malvinas, Daniel Arzani von der Radikalen Bürgerunion (UCR), hatte schon im März 2012 Machbarkeitsstudien durchgeführt, um mit den Bauarbeiten für die Fabrik von Mon-santo zu beginnen. Auf diese Studien bezieht sich auch die Projektanmeldung, die das Unternehmen dem Landesumweltamt von Governeur José Manuel de la Sota vom regionalen Wahlbündnis Unión por Córdoba präsentiert hat. Auch De la Sota tritt als öffentlicher Befürworter der Investition auf. Die drei Amsträger_innen – Präsidentin, Governeur und Bürgermeister – gehören unterschiedlichen politischen Lagern an. Aber alle drei stimmen mit Monsanto überein.
Bereits seit 1956 treibt die Firma Monsanto in Argentinien ihr Unwesen. Sie begann 1980 in der Provinz Buenos Aires mit der Abfüllung von Roundup, ihrem auf Glyphosat basierenden Unkrautbekämpfungsmittel. 1996 erreichte sie unter der Regierung Carlos Menem die Zulassung ihrer genmanipulierten und dadurch gegen Roundup resistenten Sojabohnensorte Roundup Ready (RR). Heute werden in Argentinien jährlich mehr als 200 Millionen Liter des hochgiftigen Herbizids eingesetzt. Wie Pablo Vaquero, Vizepräsident des argentinischen Ablegers von Monsanto gegenüber der Zeitung La Voz del Interior bekannt gab, beansprucht das Unternehmen 40 Prozent des argentinischen Agrochemie-Marktes. Und nicht nur das – Monsanto ist internationaler Marktführer im Saatgutverkauf, an vierter Stelle auf dem Chemikalienmarkt und berüchtigt für eine „agressive Taktik” zur Durchsetzung der Produkte, wie die Organisation der Kleinbäuer_innen Via Campesina in ihrem Bericht „Kampf gegen Monsanto” offen legt.
In Malvinas plant das transnationale Unternehmen 216 Silos, in denen jeweils 137 Tonnen genmanipuliertes Saatgut lagern sollen. Laut firmeneigenen Angaben werden bei nur 20 Prozent Auslastung der Fabrik jährlich 350.000 Liter Chemikalien eingesetzt werden. Eine Ziffer, die mit den zunehmenden Produktionsphasen ansteigen wird. Diese Zahlen haben die Nachbar_innen in Alarmzustand versetzt. Die Sorgen um die möglichen Gesundheitsschäden, die von dem riesigen Vorhaben ausgehen, wurden von der Nationalen Universität Córdobas (UNC) bestätigt. Vier Fachbereiche der Medizinischen Fakultät (Psychosoziale Medizin, Allergologie und Immunologie, Medizin I und Pädiatrie) wiesen darauf hin, dass das Wohnen im Umfeld der Silos aufgrund des mit Herbiziden besprühten Mais mit einem hohen Risiko für die Atemwegssysteme verbunden sei. Die Ablüftung der Fabrik liegt nur 700 Meter von einer Grundschule und einem Kindergarten entfernt.
Zunächst hatte die Asamblea den Baustopp auf juristischem Weg versucht. Aber die höchste richterliche Instanz Córdobas hatte ihre Verfassungsbeschwerde mit der Begründung abgewiesen, eine Umweltverträglichkeitsstudie sei erst vor Inbetriebnahme der Fabrik notwendig. Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte der UNC prangert das parteiische Vorgehen der öffentlichen Instanzen zugunsten Monsantos an. Fälschlicherweise sei es so dargestellt worden, dass die Bürger_innenbefragung im Ermessen der Umweltbehörde liegen würde. Aber die Befragung sei im Gegenteil eine „verpflichtende Instanz” für die Genehmigung des Monsanto-Projekts, so die Beobachtungsstelle mit Hinweis auf das Allgemeine Umweltbundesgesetz, auf das sich nun auch das neue positive Urteil des Arbeitssgerichtes bezieht. Es löst den grundlegenden Rechtsstreit und besagt, dass sowohl die Baugenehmigung der Gemeinde, als auch die vom Landesumweltamt gebilligte Projektanmeldung verfassungswidrig sind.
Der selbst organisierte Baustopp durch die Blockade war das letzte Mittel, zu dem die Nachbar_innen von Malvinas gemeinsam mit anderen Organisationen gegriffen hatten. Angesichts der andauernden Repressionen und des komplizenhaften Schweigens der Behörden, geben sie auch jetzt keine Ruhe: „Die Menschenrechte der Nachbar_innen müssen eingehalten werden!”, drängt Vanina Barboza Vaca, während im Hintergrund die Protestrufe nachhallen, die schon lange über die Grenzen von Malvinas Argentinas hinaus zu hören waren: „Nein zu Monsanto, Ja zum Leben! Volksbefragung sofort!“Endlich wurden sie nun auch im Gerichtssaal gehört.