Klimagerechtigkeit in der Sackgasse
Warum Marktmechanismen uns nicht zum Ziel führen und wie Indigene Völker zu einer nachhaltigeren Lösung beitragen können

Der CO2-Handel gilt vielen als ein vielversprechender Ansatz, um die Klimaziele zu erreichen. Die schon 1997 im Kyoto-Protokoll aufgenommenen marktbasierten Instrumente werden auch auf der nächsten Klimakonferenz (COP30) in Brasilien ein wichtiges Thema sein.
Die Hoffnung dahinter: Ein immer höherer CO2-Preis wird Investitionen in den Klimaschutz wirtschaftlich attraktiv machen. Er soll den Staaten, neben den CO2- Reduktionsmaßnahmen im eigenen Land, zusätzliche Instrumente bieten, um ihre Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen.
Neben dem Emissionshandel zwischen Industrieländern wurden im Kyoto Protokoll deshalb zwei wichtige projektbezogene Instrumente ins Leben gerufen: die Joint Implementation („gemeinsame Umsetzung“) und der Clean Development Mechanism („Mechanismus zur umweltgerechten Entwicklung“). Diese flexiblen Marktmechanismen werden von den Vereinten Nationen und den jeweiligen Nationalregierungen überwacht und politisch begleitet. Darüber hinaus wurde im Kyoto-Protokoll angeregt, dass jede*r sich über freiwillige Kompensationsmaßnahmen an den Reduktionsanstrengungen beteiligen kann.
Zehn Jahre später, auf der Klimakonferenz in Bali 2007, wurde diese Marktlogik auch auf den Bereich der Wälder mit dem REDD+-Mechanismus (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation; Emissionsreduktionen aus Waldzerstörung und Degradierung) übertragen.
Kompensationsinstrumente bergen die Gefahr, den Blick von der dringend notwendigen Abkehr von den fossilen Ressourcen abzulenken. Besonders problematisch sind Kompensationen mit Waldflächen, da Wälder keine verlässlichen, dauerhaften CO2-Speicher sind – und sie außerdem Lebensräume für Menschen sowie vielfältige Ökosysteme darstellen. Als ökologisches System speichern Wälder zwar Kohlenstoff, geben diesen jedoch durch natürliche Prozesse, wie das Absterben der Bäume, auch wieder frei. Ein zentrales Kriterium für die institutionelle Anerkennung von Reduktionsmaßnahmen ist jedoch die Bestätigung, dass die jeweilige Reduktion dauerhaft erfolgt (die sog. Permanenz). Ein Wald kann diese Dauerhaftigkeit jedoch niemals garantieren.
Handel mit dem Wald
Abgesehen davon, dass Wälder der dauerhaften CO2-Senkung nicht dienen können, wird ihre Einbindung in das Kompensationsgeschäft für die dort lebenden Menschen zur Bedrohung. Viele Indigene Völker in Amazonien machen die Erfahrung, dass der REDD+-Mechanismus eine zusätzliche Gefährdung ihrer Lebensweise und ihrer Territorien wird. Teil der Problematik ist es, dass der akute Bedarf an Finanzmitteln zum Schutz ihrer Gebiete dazu führt, dass die im Zusammenhang mit REDD+-Projekten von Unternehmen und internationalen NGOs versprochenen Gelder zunächst attraktiv für Indigene Gemeinden scheinen. Die Ergebnisse beziehen ihre Interessen jedoch selten wirklich mit ein. „Am Anfang gab es viele Hoffnungen, dass REDD den Indigenen Völkern auch einen ökonomischen Vorteil bringen würde. Diese Hoffnung wurde von vielen Beratern, die uns über REDD informierten, geschürt. Je weiter die Diskussion voranschritt, desto mehr wuchsen die Bedenken hinsichtlich des Instrumentes“, berichtet die Indigene Vertreterin der Asháninka in Peru Teresita Antazú. Sie erläutert weiter, dass zu Beginn in den Gemeinden vor allem die Vorteile von REDD+ hervorgehoben wurden und die Probleme kaum thematisiert wurden. Einige Asháninka begannen, Teile ihres Territoriums für REDD+-Projekte auszuweisen. Als sie nach und nach erfuhren, dass sie in diesen Gebieten nicht mehr ihren traditionellen Aktivitäten wie Jagen, Fischen und Feldbau nachgehen könnten, sanken sowohl die Zustimmung als auch ihr Interesse an REDD+, so Antazú: „Wenn wir nichts mehr anpflanzen können und als Ausgleich nur Almosen erhalten, dann wollen wir nicht dabei sein.“
Seit 2007 sind viele Millionen Euro in die Entwicklung von REDD+-Strukturen geflossen. Deutschland ist einer der wichtigen Geldgeber. Keine dieser Strukturen erweist sich als wirksames Mittel, um mit den horrenden Gewinnmargen mitzuhalten, die die parallele Zerstörung der Wälder einbringt. Und diese nimmt in ihrer Geschwindigkeit immer weiter zu.
Funktionierende jahrtausendalte Strukturen fördern
Statt weiterhin Steuergelder in den Aufbau von wirkungslosen Strukturen und Instrumenten einzusetzen, sollten diejenigen gestärkt werden, die seit Jahrtausenden mit statt gegen die Natur wirtschaften. So könnten beispielsweise Indigene Völker, die Millionen von Hektar Regenwald in Amazonien durch ihre Lebensweise zu bewahren versuchen, für ihre Anstrengungen gefördert und entlohnt werden. Alle Menschen profitieren von den unverzichtbaren ökologischen Leistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Erhalt der Biodiversität und die Aufrechterhaltung von Wasserkreisläufen des Amazonas. Selbst die exportorientierte Landwirtschaft in Lateinamerika ist von diesen Wasserkreisläufen abhängig. Der Dachverband der Indigenen Organisationen des Amazonasbeckens (Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica, COICA) verfolgt gemeinsam mit RIA – REDD Indígena Amazónico genau diese Argumentationsweise und stellte schon 2011 ihren Ansatz als Alternative zum REDD+ Ansatz der Weltgemeinschaft vor.
Das Konzept des Indigenen REDD verfolgt einen grundlegend anderen Ansatz als die derzeitigen Kompensationsprojekte: Es zielt darauf ab, die rechtliche Anerkennung Indigener Territorien zu sichern und ihre Bewohner*innen im Schutz ihrer Wälder zu stärken. Ein zentrales Element ist ein von Indigenen selbst entwickeltes und durchgeführtes Mess-, Berichts- und Prüfungswesen, mit dem sie die klimatischen Veränderungen und die Nutzung ihrer Gebiete eigenständig überwachen. Damit bleibt die Kontrolle über ihre Territorien in ihren Händen. Im großen Unterschied zu den offiziellen REDD+-Projekten geht es hierbei nicht um die Schaffung handelbarer Zertifikate, sondern um die Stärkung von Rechten und Selbstbestimmung.
Das Indigene REDD gilt als sozialverträgliche Alternative zu den marktgestützten Mechanismen und als wirksamer Beitrag zum Klimaschutz, der auf einer nachhaltigen Bewirtschaftung Indigener Territorien im Amazonasbecken basiert und gleichzeitig die Rechte der Völker und ihre Selbstbestimmung stärkt.
Klimagutschriften sind Schlupflöcher für Industriestaaten
Vor dem 30. Klimagipfel im Amazonasgebiet steht der Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens im Fokus. Eine neue Version der früheren flexiblen Instrumente regelt darin die Zusammenarbeit von Staaten zur Erreichung ihrer Klimaschutzverpflichtungen. Damit wird es Staaten ermöglicht, ihre nationalen Klimaziele auch durch die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen im globalen Süden zu erreichen. Grundsätze zur Regulierung des Artikel 6 wurden auf der COP 29 in Baku auf den Weg gebracht, aber das Ringen um Details und die politische Debatte geht auch in Belém weiter.
Wegen bisheriger Erfahrungen besteht die Befürchtung, dass auch hier große Schlupflöcher entstehen. Selbst die EU hat in ihrem Klimaziel für 2040 die Anrechnung von Klimagutschriften vorgesehen. Dabei wäre genau jetzt ein sozialverträgliches Instrument wie das Indigene REDD dringend notwendig.
Die Konferenz in Belém wird daher auch zur Bewährungsprobe: Geht es um echten, ambitionierten Klimaschutz – oder darum, dass Industrieländer durch immer größere Schlupflöcher von Kompensationsmechanismen wie REDD+ ihre Verantwortung auf diejenigen abwälzen, die am wenigsten zu dieser Krise beigetragen haben.
Thomas Brose ist Geschäftsführer der Europäischen Geschäftsstelle des Klima-Bündnisses in Frankfurt am Main.
Die neue Welt der Klimapolitik
Der Emissionshandel ist als zentrales Element einer neuen Klimapolitik im Pariser UN-Klima-Abkommen von 2015 verankert. Die Idee dahinter: Ein Verursacher von CO2-Emissionen kann diese durch den Kauf von CO2-Reduktionen an einem anderen Ort kompensieren. Voraussetzung für diesen Austausch ist ein Preis für CO2 und die Etablierung eines (Kohlenstoff)Marktes. Auf diesem freiwilligen Markt werden Zertifikate gehandelt, die sogenannten Kohlenstoffkredite.
Der Artikel 6 des Pariser Abkommens sieht die Etablierung eines globalen CO2 Handels auf der Basis von Kompensationen vor. Zum einen sollen Staaten einen Teil ihrer eigenen Klimaziele durch die Förderung von Klimamaßnahmen in Ländern des Globalen Südens erreichen können, zum anderen soll dies auch Firmen oder anderen privaten Akteuren offen stehen. Damit ist ein globaler Markt geschaffen, der unter einheitlichen Regeln den Austausch zwischen Emissionen durch das Verbrennen fossiler Ressourcen und Kohlenstoffspeicherung aus naturbasierten CO2 Krediten ermöglicht und reguliert. Mit der zunehmenden Implementierung der Mechanismen, die im Artikel 6 vorgesehen sind, wird Kompensation zu einem fundamentalen Bestandteil der Klimapolitik. Die große Mehrheit der naturbasierten handelbaren CO2-Zertifikate stammen bis dato aus der Reduktion von Entwaldung, also dem REDD+ Mechanismus, der im globalen Klimaregime verankert ist und im Pariser Abkommen explizit aufgeführt wird.




