Kolumbien | Nummer 330 - Dezember 2001

Kolumbien gleich Afghanistan? – Die Intervention hat schon begonnen

Wie die USA ihre neue Anti-Terror-Strategie auf Kolumbien übertragen

Nach dem 11. September wollen die USA den Konflikt in Kolumbien in einem Zug mit der Beseitigung des Regimes in Afghanistan lösen. Die Strategie wie auch die Definition von Terrorismus folgen dabei ähnlichen Mustern.

Dario Azzellini

In einem Brief, den der US-Präsident George W. Bush Ende Oktober an den kolumbianischen Präsidenten Pastrana schrieb, um sich für das Mitgefühl nach den Anschlägen vom 11.9. zu bedanken, merkte er am Schluss an: „Das kolumbianische Volk hat schwer gelitten unter denen, die das Reich des Gesetzes angreifen, aber diese Kriminellen konnten eine der ältesten Demokratien der Hemisphäre nicht besiegen. Ich weiß, dass unser Beistand im Kampf Kolumbiens das Gegenstück zu Ihrem Beistand für das amerikanische Volk in diesen schwierigen Zeiten ist. Ich hoffe mit Ihnen zusammen zu arbeiten, um dieser schwierigen Herausforderung zu begegnen.“

Engagement der USA

Vom 7. – 11. November reiste dann Pastrana in die USA, um den US-Außenminister Colin Powell zu treffen. Dort dürfte ein weiter gehendes Engagement der USA in Kolumbien zur Sprache gekommen sein. Noch Anfang 2001 schrieb die rechte „Rand Corporation”, eine Stiftung des Flugunternehmens Douglas, in einem Bericht über Kolumbien für die US-Airforce, im Falle eines Scheiterns der Drogen- oder Aufstandsbekämpfung der Regierung Pastrana müssten sich die USA entscheiden, entweder einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust hinzunehmen oder ihr Engagement im Konflikt weiter zu steigern.
Dieser Fall scheint nun – im Schatten des Krieges gegen Afghanistan – eingetreten zu sein. Philip Reeker, Sprecher des US State Department, schließt zwar eine direkte US-Militärintervention in Kolumbien aus. Doch zugleich betonte Francis Taylor, „Anti-Terrorismus-Koordinator“ der dieser Behörde, am 15. Oktober auf einer Pressekonferenz nach einer nicht-öffentlichen Sitzung der „Interamerikanischen Konferenz gegen Terror (CICTE), dass „terroristische Organisationen“ in Kolumbien ebenfalls Ziel der „Antiterrorismus-Kampagne“ der USA im Gefolge des 11. Septembers sein würden. In Kolumbien und anderen Ländern Lateinamerikas werde eine ähnliche Strategie zum Tragen kommen, wie sie von den USA in Afghanistan verfolgt wird. Bezüglich der Guerillas und der Paramilitärs „werden wir alle in unserer Macht stehenden Ressourcen und wenn notwendig auch militärische Gewalt anwenden, um ihre Aktivitäten zu stoppen“, so Taylor weiter. Da die Ernennung eines Staatssekretärs für Lateinamerikafragen durch die Bush-Regierung ausblieb, kam Taylor in den vergangenen Monaten eine zentrale Rolle in der Kolumbien-Politik der USA zu.
Fernando Tapias, Generalkommandeur der kolumbianischen Streitkräfte, der auch an dem CITCE-Treffen teilnahm, betonte, Kolumbien bräuchte keine Intervention ausländischer Truppen. „Wir bieten unsere Kräfte auf und fordern Unterstützung in den Bereichen Ausbildung, technischer Beistand und geheimdienstliche Tätigkeiten“. Nach weiteren Gesprächen mit Pentagon-Vertretern zeigte Tapias sich zufrieden: „Seit dem 11. September hat sich die Situation geändert. Sie (die US-Amerikaner) verstehen uns jetzt besser, da sie die Auswirkungen dieser Mischung aus Terrorismus und Drogen, die so schwer wiegende Folgen für die Menschheit hat und unter denen wir seit Jahren leiden, selbst erleben.“

US-Botschafterin spricht Klartext

In Kolumbien transformierte die US-Botschafterin Anne Patterson die ausgegebene Linie bei einem Auftritt vor dem Kongress der Nationalen Föderation der Händler (Fenalco) Ende Oktober in einen Vergleich zwischen den Taliban und den kolumbianischen Guerillas und Paramilitärs: Ebenso wenig wie die Taliban und Osama Bin Laden den Islam repräsentierten, suchten die „kolumbianischen Terroristen“ nach sozialer Gerechtigkeit für die Bevölkerung. „Im Unterschied zu den Terroristen in Afghanistan haben die kolumbianischen Gruppen zwar keine direkte globale Reichweite. Doch jede dieser Gruppen übt Terrorismus gegenüber den Kolumbianern aus und schwächt die Fundamente der ältesten Demokratie Lateinamerikas“, so Patterson.
Die Botschafterin äußerte auch die Sorge, dass Taliban-Drogenhändler sich nach Kolumbien absetzen könnten, um von dort aus den Heroin-Fluss in die USA aufrecht zu erhalten. Doch die USA werden Kolumbien im Kampf gegen den Drogenhandel nicht alleine lassen, so Patterson weiter, und würden die militärische Hilfe fortführen und aufstocken. „Vor Ende des Jahres werden noch weitere zehn Blackhawk-Hubschrauber nach Kolumbien geliefert und Anfang nächsten Jahres weitere 25.“ Zudem wurde eine weitere Finanzspritze von 882 Millionen US-Dollar für die Andenstaaten angekündigt, von denen 440 Millionen an Kolumbien gehen sollen. Außerdem würden Sondereinheiten zur Ausbildung von Einsätzen gegen Entführungen nach Kolumbien gesandt werden, denn laut Patterson müsse „diese Plage in Kolumbien ausgerottet werden“.

Revolutionssteuern

In die unzähligen Entführungen, die jedes Jahr zu verzeichnen sind, sind alle Akteure im kolumbianischen Konflikt verwickelt: Polizei, Militär, Paramilitärs und Kriminelle zur persönlichen Bereicherung und die Guerilla-Organisationen, um nicht bezahlte „Revolutionssteuern“ von größeren Unternehmen und reichen kolumbianischen Familien einzutreiben. Doch ob gerade die kolumbianischen Spezialtruppen der GAULA, die seit Jahren in Antiguerilla-Taktiken und dem Vorgehen bei Entführungen ausgebildet werden, der richtige Adressat dafür sind, ist mehr als fraglich, denn der Wissensvorsprung der GAULA-Truppen führte bisher dazu, dass sie selbst tief in den Paramilitarismus und sogar in Entführungen verwickelt waren.
„Jede dieser Gruppen in Kolumbien ist tief in den Drogenhandel verstrickt. Jede hat enorme Einnahmen aus dem Drogenhandel. Jüngst haben auch die AUC (die Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens; A. d. Red.) den gleichen Weg eingeschlagen“, begründet die US-Botschafterin das US-Engagement gegen die Guerillas und sogar die Forderung nach Auslieferung ihrer Vertreter in die USA. Dabei spielt die Drogenökonomie nur bei den Paramilitärs tatsächlich eine zentrale Rolle. Die Verwicklung der AUC in den Drogenhandel, zusammen mit der kolumbianischen Oligarchie und dem Militär, ist wiederholt belegt worden. Vielleicht hat deshalb die US-Regierung ihren ehemaligen geheimen Verbündeten AUC in diesem Jahr in ihrer „Terrorliste“ aufgenommen.
Die ELN (Ejército de Liberación Nacional) hingegen hat aus sozialen und ökologischen Gründen eine sehr strikte Haltung gegen den Drogenanbau und -handel. Selbst Organisationen wie das „Geopolitische Drogenobservatorium“ (OGD) mit Sitz in Frankreich attestieren ihr, keinerlei Verbindung zum Drogengeschäft zu haben. Die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) hingegen besteuert in den Gebieten unter ihrer Kontrolle die Geschäfte der Händler, schützt die Kleinbauern vor den selbigen und garantiert ihnen Verkaufspreise. Dies ist jedoch nicht ihre einzige Einnahmequelle. Aussagen Pattersons wie: „US-amerikanische Experten haben ausgerechnet, dass allein die FARC jährlich mehrere hundert Millionen US-Dollar durch den Drogenhandel einnimmt. Im Putumayo, dem operativen Zentrum des Plan Colombia, ist die FARC nichts weiter als eine Organisation des Drogenhandels“, sind also dazu gedacht, die Aufstandsbekämpfung als „Krieg gegen Drogen“ zu tarnen.

Friedensprozess kommt nicht weit

Schließlich wurden bisher auch unzählige kolumbianische Politiker und Militärs und selbst MitarbeiterInnen der US-Botschaft und des mit der Organisation der Besprühung der Koka-Felder beauftragten US-Militärunternehmens DynCorp des Drogenhandels oder Waschens von Drogengeldern überführt, während es bisher noch keinen Prozess aus den gleichen Gründen gegen ein Guerilla-Mitglied gab. Die Ankündigungen von Anne Patterson kommen zudem just in einem Moment, in dem der Dialog zwischen Regierung und FARC in einer Krise steckt. Kurz vor Ablauf des Abkommens über die von der FARC kontrollierte 42.000 Quadratkilometer große entmilitarisierte Zone im Süden Kolumbiens wurde dieses Mitte Oktober von der Regierung verlängert. Zunächst drohte die Situation zu eskalieren, da die Armee in das entmilitarisierte Gebiet eingedrungen war und zwei FARC-Angehörige erschoss, während die Regierung die FARC des Mordes an der ehemaligen Ministerin beschuldigte. Ein Abkommen, in dem sich Regierung und FARC auf verschiedene Maßnahmen verpflichteten, machte eine Verlängerung der Entmilitarisierung dennoch möglich. Doch schon wenige Tage später geriet der bisher ohnehin ergebnislose Dialog erneut in eine Krise, als sich die kolumbianische Regierung weigerte, das Überfliegen der Zone mit Militärflugzeugen einzustellen. Aus der kolumbianischen Armee und rechten Kreisen Kolumbiens wurden wieder Stimmen laut, die eine militärische Lösung fordern.
Wie gefährlich es ist, sich in diesem Zusammenhang gegen eine militärische Lösung auszusprechen, zeigt das Beispiel der „Notables“, einer dreiköpfigen Kommission, die beauftragt wurde, ein Dokument mit Vorschlägen zum Friedensprozesses mit der FARC zu erarbeiten. Das Ergebnis wurde Anfang Oktober veröffentlicht und nannte unter anderem einen Waffenstillstand zwischen Regierung und FARC und die uneingeschränkte Bekämpfung der Paramilitärs durch Militär und Guerilla als eine Grundvoraussetzung für einen Frieden. Noch am Tag der Veröffentlichung gingen zwei der drei Kommissionsmitglieder auf Grund schwer wiegender Todesdrohungen ins Exil.

US-Amerikaner in Kolumbien

In den vergangenen Jahren drohten die USA wiederholt mehr oder weniger offen mit einem direkteren Eingreifen. Bisher ist die US-Army jedoch nicht einmarschiert. Das heißt allerdings nicht, dass die USA auf eine Präsenz im Konflikt verzichten würden. Aktuell befinden sich laut Pentagon 175 bis 200 US-Militärs in Kolumbien, die der kolumbianischen Armee als Militärberater im „Kampf gegen Drogen“ beistehen, sowie weitere 100 Agenten des CIA und der Antidrogenbehörde DEA. Weitere 15.000 US-Soldaten verschiedener Einheiten sind im vergangenen Jahr auf die Grenzstaaten (außer Venezuela) und einige Länder der Karibik verteilt worden. Der Krieg gegen die Bevölkerung wird auch zunehmend privatisiert, professionalisiert und internationalisiert. Zusätzlich zu US-amerikanischen Militärausbildern sind mindestens acht private Kriegsunternehmen verschiedener Herkunft in Kolumbien aktiv.
So etwa DynCorp, ein US-Unternehmen aus Reston, Virginia, das logistische Aufgaben für Militäroperationen übernimmt und traditionell eng mit der US-Army zusammenarbeitet. DynCorp ist an der Organisation der Besprühungen beteiligt und stellt die dafür notwendigen Fachkräfte wie Piloten, Mechaniker und medizinisches Personal ein und beschäftigt in Kolumbien 355 Mitarbeiter, die Hälfte davon US-Amerikaner. Auch das US-amerikanische Kriegsunternehmen MPRI, das von ehemaligen hochrangigen US-Militärs geführt wird und bei Pentagonsitzungen stets als Gast eingeladen wird, ist mit etwa 300 Ausbildern und Personal in Kolumbien tätig. MPRI ist in Abstimmung mit dem Pentagon in zahlreichen Ländern weltweit aktiv und beriet auch das kroatische Militär im Jugoslawienkrieg. Bei ihren Aktivitäten verschwimmen einerseits die Grenzen zwischen der Ausbildung von Militärs und Paramilitärs und andererseits die Grenzen zwischen beratender Tätigkeit und direkten Eingriffen in Kampfhandlungen.
Gemäß eines vom US-Kongress verabschiedeten Gesetzes zur Verhinderung der „Vietnamisierung Kolumbiens“ darf die Präsenz US-amerikanischen Personals im Rahmen des Plan Colombia die Zahl von 500 Militärangehörigen und 300 angeheuerten Privatpersonen nicht überschreiten. Doch auch wenn Unternehmen wie DynCorp und MPRI diese Bestimmung damit zu umgehen versuchen, dass etwa die Hälfte ihres in Kolumbien aktiven Personals aus anderen Ländern stammt, dürfte die zulässige Anzahl dennoch weit überschritten sein. Doch auch ein weiteres Engagement sollte stutzig machen: Allein von Januar bis September 2001 wurden bei der Handelskammer von Bogotà 1.515 neue Nichtregierungsorganisationen registriert. Die US-Botschafterin Anne Patterson äußerte gegenüber der rechten kolumbianischen Zeitung El Tiempo, die USA habe allein 80 NGOs entlang des Flusses Putumayo finanziert, die angeblich mit der Aufgabe betraut seien, die Auswirkungen der Besprühungen aus der Luft auf Mensch und Natur zu beobachten.

Chemiekonzern Monsanto

Eine Aufgabe, für die wohl kaum eine solche Vielzahl von NGOs notwendig scheint. Beispielsweise führt das vom Chemiekonzern Monsanto unter dem Markennamen Round-up vertriebene Herbizid Glyfosat, das in Kolumbien eingesetzt wird, nachweislich zu schweren gesundheitlichen Schädigungen bei der betroffenen Bevölkerung, zur umfassenden Vernichtung jeglicher Pflanzen und zur Verseuchung von Quellen und Gewässern. Wie in Vietnam ist der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden Bestandteil einer Kriegspolitik der verbrannten Erde. Als Ende Juli ein Zivilgericht dem Antrag verschiedener indianischer Gemeinden auf ein Verbot der Besprühungen der Koka-Anbauflächen mit Glyfosat aus der Luft statt gab und eine fünfzehntägige Aussetzung der Besprühungen verordnete, war dies für die US-amerikanische Botschafterin Anne Patterson Grund genug, der kolumbianischen Regierung sofortige Folgen betreffs der Unterstützung des Plan Colombia durch die USA anzudrohen. Wenige Tage später gab das Gericht wieder grünes Licht für die zerstörerischen Besprühungen. Es ist daher davon auszugehen, dass viele der NGOs Teil der Aufstandsbekämpfung sind, die die soziale Basis der Guerilla zersetzen und zugleich ein dichtes Spitzelnetz im Dienste der US-Army und der kolumbianischen Armee bilden soll.


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