Dossier 18 - Vivas nos queremos | Kolumbien

GEWALT UND GESETZ: KOLUMBIEN

Gewalt und Gesetz. Beginn einer Dokumentation geschlechtsspezifischer 
Rechtsprechung in 19 Ländern

Von Elena von Ohlen

Illustration: Xueh Magrini Troll, @xuehka

Kolumbien blickt auf eine vergleichsweise lange Geschichte der juristischen Verankerung von Feminiziden zurück. Das 2015 erlassene Gesetz Rosa Elvira Cely gilt als eines der progressivsten weltweit – wird de facto jedoch zu wenig angewendet.

Im Jahr 2008 wurde dem Artikel 104 des kolumbianischen Strafgesetzbuches, der strafverschärfende Umstände zum Tatbestand Mord behandelt, ein elfter Absatz hinzugefügt. Er sollte zur Geltung kommen, wenn der Mord an einer Frau begangen wurde, weil sie eine Frau ist. Einer der wenigen Fälle, bei denen dieser Absatz herangezogen wurde, landete 2015 prompt vor dem Obersten Gerichtshof: Ein Gericht in Medellín hatte den Absatz 11 und somit ein geschlechtsspezifisches Tötungsmotiv in einem Mordfall ausgeschlossen. Die Frau wurde von ihrem ehemaligen Partner erstochen, nachdem dieser sie in den Jahren zuvor mehrfach lebensgefährlich verletzt und mit Mord gedroht hatte. In dritter Instanz urteilte die Richterin des Obersten Gerichtshofs, dass der Ausschluss des Absatzes 11 ein Gesetzesbruch gewesen sei und die Entscheidung unter anderem ein Verstoß gegen die kolumbianische Verfassung. Daraufhin wurde im Juli desselben Jahres nach massivem Druck seitens und Mitarbeit feministischer Organisationen ein eigenständiges Gesetz für den Tatbestand Feminizid entwickelt: das Gesetz Rosa Elvira Cely, benannt nach einer Frau, die im Mai 2012 in Bogotá von einem Mitschüler vergewaltigt und gepfählt wurde. Der Artikel 104 A hält nun fest, dass „wer den Tod einer Frau aufgrund ihres Status als Frau oder aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität verursacht“ mit einer Gefängnisstrafe von 250 bis 500 Monaten bestraft werden soll. Trans Frauen werden somit explizit eingeschlossen, eine eigene juristische Kategorie für Transfeminizide existiert jedoch nicht.

In einem separaten Artikel 104 B werden zudem zahlreiche strafverschärfende Umstände aufgeführt. Wenn der Feminizid beispielsweise an einer Frau verübt wurde, die Vertreibung oder rassistischer, klassistischer oder homophober Diskriminierung ausgesetzt war, wird das Strafmaß auf bis zu 600 Monate Freiheitsentzug angesetzt, also maximal 50 Jahre. Es stellt somit das einzige Feminizid-Gesetz in dieser Übersicht dar, das explizit intersektionale Komponenten berücksichtigt.

Wie so oft scheitert es jedoch an der Umsetzung: Die fehlende spezielle juristische Bildung, der Mangel an begleitenden kriminalpolitischen Maßnahmen, zu wenige Ressourcen in der Staatsanwaltschaft und keine ganzheitliche Erfassung von Fallzahlen führen zu einer lediglich sporadischen Anwendung des Gesetzes und zu statistischem Chaos. Das Nationale Institut für Rechtsmedizin zählte im Jahr 2018 beispielsweise 960 ermordete Frauen, offiziell werden aber nur 73 Fälle als Feminizide geführt. Die tatsächlichen Fallzahlen erfassen bisher nur feministische Organisationen. Das Observatorio Feminicidios Colombia zählte 663 Feminzide im Jahr 2018, 571 im darauffolgenden 2019.

Dieser Text ist Teil der Übersicht Gewalt und Gesetz aus unserem Dossier ¡Vivas nos queremos! Perspektiven auf und gegen patriarchale Gewalt. Das Dossier kann hier heruntergeladen werden oder über unser Aboformular gegen Versandkosten bestellt werden.

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