Literatur | Nummer 585 - März 2023

KONSEQUENTE VIELSTIMMIGKEIT

Mit Wo wir sprechen. Schwarze Diskursräume trägt Djamila Ribeiro zur Erweiterung der Wahrnehmung Schwarzer Frauen bei

Von Lucia Fuchs

„Wer darf sprechen? Was passiert, wenn wir sprechen? Und über was dürfen wir sprechen?“, fragt die brasilianische Philosophin und Bestsellerautorin Djamila Ribeiro. In Wo wir sprechen. Schwarze Diskursräume entlarvt sie spielerisch die systematische Verzerrung des Diskurses, die die Stimmen weißer cis-Männer aus privilegierten Schichten seit Jahrhunderten zum Maßstab objektiven Wissens gemacht hat. Das gelingt besonders eindrücklich, da sie explizit und konsequent aus ihrem Diskursraum als Schwarze Frau schreibt.

Das Buch beginnt mit der Geschichte von Sojourner Truth. Die ehemals versklavte US-Amerikanerin hat sich gegen alle Widerstände eine Sprecherinnenposition in den abolitionistischen und feministischen Debatten des 19. Jahrhunderts erkämpft. So zeigt Ribeiro, dass Schwarze Frauen, auch wenn das selten überliefert ist, immer eine wichtige Rolle in emanzipatorischen Kämpfen gespielt haben und dass sie dabei ein Dilemma aushalten müssen: Antirassismus fokussiert oft die von Rassismus betroffenen Männer, während im Feminismus die weiße Frau im Zentrum steht. Die Schwarze Frau rückt gleichzeitig in den Schatten von Rassismus und Patriarchat.

Diese doppelte Marginalisierung – durch weitere Intersektionen wie Ethnie oder sexuelle Identität erweiterbar – prägt auch den heutigen Diskurs. Noch immer können weiße cis-Menschen aus privilegierten Schichten von einer scheinbar neutralen Position aus sprechen und dadurch Wissen erzeugen, das für alle gültig scheint. Marginalisierte Menschen dagegen sprechen aus einer markierten Position und stehen für das vermeintlich Spezifische und Subjektive. Ribeiro plädiert dafür, kenntlich zu machen, dass es keine neutrale Position gibt.

Das Recht auf eine eigene Stimme ist keine theoretische Frage. Sie ist direkt mit materiellen Verhältnissen verbunden: Wenn Maßnahmen gegen häusliche Gewalt auf weiße Frauen zugeschnitten sind, bleiben sie für Schwarze Frauen unwirksam. Wenn Schwarze Frauen nicht statistisch erfasst werden, fallen sie als erste aus dem Rentensystem.

Das Konzept der Schwarzen Diskursräume setzt dem etwas Konstruktives entgegen. Es steht dafür, dass es nicht um individuelle Befindlichkeiten geht, sondern um soziale Umstände, die zu geteilten Erfahrungen führen. Unmissverständlich macht Ribeiro klar, dass verschiedene Marginalisierungen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern als zusammenhängende Struktur bekämpft werden müssen. So kann eine positive Gesellschaftsvision entstehen.

Wo wir sprechen ist ein vielstimmiges Buch: Ribeiro webt Zitate vorwiegend Schwarzer und lateinamerikanischen Wissenschaftlerinnen ineinander und fängt die teilweise abstrakten Gedanken durch ihren Kommentar wieder ein. Sie nutzt ihre Positionalität als analytisches Werkzeug und trägt so auch bei in post- und dekolonialer Kritik geschulten Leser*innen zu einer Wahrnehmungsverschiebung bei. Aber auch als Einstieg in die Themen Feminismus, Rassismus und Intersektionalität ist das Buch empfehlenswert.

Djamila Ribeiro // Wo wir sprechen. Schwarze Diskursräume // Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Inajá Correia Wittkowski // Herausgegeben von Jamila Adamou, Ana Graça Correia Wittkowski und Inajá Correia Wittkowski // edition assemblage // 2022 // 111 Seiten // 10 Euro

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